OECD-Bericht zur Bildung in Deutschland – Schleicher: Wie der Lehrerberuf für junge Menschen attraktiver werden könnte
BERLIN. Die OECD stellt dem deutschen Bildungssystem in einem Bericht erneut ein durchwachsenes Zeugnis aus. Die Schere geht immer weiter auseinander: Es gibt einerseits mehr junge Menschen mit höheren Abschlüssen, andererseits aber auch mehr, die weder Ausbildung noch Arbeit haben. Der Lehrermangel in Deutschland hat angeblich weder mit zu wenig Geld noch mit einer zu hohen Unterrichtsverpflichtung zu tun – PISA-Koordinator Prof. Andreas Schleicher mahnt mehr Karriereoptionen und Teamwork für Lehrkräfte an.
Der Anteil jüngerer Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten nach OECD-Angaben in Deutschland deutlich erhöht. Allerdings ist zuletzt auch der Anteil derjenigen gestiegen, die ohne Ausbildung und Arbeit dastehen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) legte am Dienstag in Berlin Zahlen dazu vor. Der jährliche Bericht «Bildung auf einen Blick» enthalte «wie immer Licht und Schatten», sagte Kornelia Haugg, Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium.
2021 hatten demnach 36 Prozent der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland einen sogenannten Tertiärabschluss, im Jahr 2000 waren es noch 22 Prozent. Als Tertiärabschluss wird etwa ein Abschluss an einer Universität oder Fachhochschule bezeichnet oder ein Meister im Handwerk. Als Gründe für den Anstieg werden eine steigende Nachfrage nach hochqualifizierten Fachkräften genannt und bessere Verdienstmöglichkeiten – von einem «Akademisierungswahn», der immer wieder beklagt wird, kann also keine Rede sein. OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher sprach von einem «sehr hohen Einkommensbonus» bei höheren Abschlüssen. «Bildung zahlt sich aus», sagte Schleicher.
«Tertiärabschlüsse sind häufig mit besseren Beschäftigungsaussichten verbunden. Deutschland bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme»
Das lässt sich anhand der Zahlen nachweisen. Im Schnitt der OECD-Länder verdienen Vollzeitbeschäftigte mit Hochschulabschluss oder Meister demnach rund 50 Prozent mehr als Arbeitskräfte mit Berufsausbildung oder Abitur und fast doppelt so viel wie Arbeitskräfte ohne berufliche Ausbildung oder mit mittlerem Schulabschluss. Hochqualifizierte sind zudem seltener von Arbeitslosigkeit betroffen. So heißt es in dem Bericht: «Tertiärabschlüsse sind häufig mit besseren Beschäftigungsaussichten verbunden. Deutschland bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. In der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen war die Beschäftigungsquote der Arbeitskräfte mit Tertiärabschluss 2021 in Deutschland um 29 Prozentpunkte höher als die der Arbeitskräfte ohne Abschluss des Sekundarbereichs II und um 5 Prozentpunkte höher als die der Arbeitskräfte mit einem Abschluss des Sekundarbereichs II oder einem postsekundären nichttertiären Bildungsabschluss.»
Auch wenn Deutschland bei den Tertiärabschlüssen einen beträchtlichen Anstieg verzeichnet, bleibt dieser jedoch deutlich unter dem OECD-Durchschnitt – der bei 21 Prozentpunkten liegt (nämlich von 27 auf 48 Prozent). «Durch diesen vergleichsweise langsamen Anstieg der Tertiärabschlussquote hat sich der Abstand zwischen Deutschland und den meisten anderen OECD-Ländern weiter vergrößert. Während der
Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit Tertiärabschluss in Deutschland im Jahr 2000 noch
5 Prozentpunkte unter dem OECD-Durchschnitt lag, waren es 2021 bereits 12 Prozentpunkte.»
Andererseits: Fast jeder zehnte junge Mensch in Deutschland geht dem Bericht zufolge aber auch weder einer Ausbildung noch einer Arbeit nach. Der Anteil der 18- bis 24-Jährigen, die das betrifft, ist von 8,2 vor Corona auf 9,7 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Karin Prien (CDU) sieht eine Ursache in der Zuwanderung der vergangenen Jahre. Sie nannte die Entwicklung «erklärbar, aber nicht befriedigend». Man müsse sich diesen Jugendlichen und jungen Menschen offensichtlich noch intensiver zuwenden.
Von der Grundschule bis zur Universität gibt Deutschland dem Bericht zufolge mehr Geld für jeden Bildungsteilnehmer aus, als der OECD-Durchschnitt – in absoluten Zahlen allerdings nur. 2019 waren es umgerechnet 14.632 US-Dollar (OECD-Schnitt 11.990 Dollar). Pro Schüler oder Schülerin kamen vom 6. bis zum 15. Lebensjahr umgerechnet 121.000 Dollar an Bildungsausgaben zusammen (OECD-Durchschnitt 105.502 Dollar).
«Die Attraktivität des Lehrerberufs hängt von zahlreichen Faktoren ab. Das Gehalt und die Unterrichtsverpflichtung spielen dabei eine große Rolle»
Setzt man die deutschen Bildungsausgaben allerdings in Relation zur Wirtschaftskraft, sehen die Zahlen anders aus – Deutschland liegt deutlich unter dem Durchschnitt: «2019 gaben die OECD-Länder im Durchschnitt 4,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildungseinrichtungen vom Primar- bis zum Tertiärbereich aus. In Deutschland lag der entsprechende Anteil bei 4,3 Prozent.» Auch in Relation zu den Staatsausgaben zeigt sich das mäßige Engagement: «Die öffentlichen Bildungsausgaben vom Primar- bis zum Tertiärbereich machen in Deutschland 9,2 Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben aus und sind damit niedriger als im OECD-Durchschnitt (10,6 Prozent).» Zur Einordnung: Zur OECD gehören Industrieländer wie die USA, Dänemark und Japan – aber auch Schwellenländer wie Kolumbien, Costa Rica und die Türkei.
Der Lehrkräftemangel in Deutschland hat nach Einschätzung der Experten allerdings nichts mit fehlendem Geld zu tun. Die Durchschnittsgehälter in der Mittelstufe in Deutschland etwa zählten den Angaben zufolge zu den höchsten im OECD-Raum.
So heißt es in dem Bericht:
- «Viele Länder haben Schwierigkeiten, eine ausreichende Zahl qualifizierter Lehrkräfte einzustellen und zu halten. Die Attraktivität des Lehrerberufs hängt von zahlreichen Faktoren ab. Das Gehalt und die Unterrichtsverpflichtung spielen dabei eine große Rolle. Im Hinblick auf diese beiden Aspekte bietet Deutschland im Vergleich zu vielen anderen OECD-Ländern gute Bedingungen. Die Durchschnittsgehälter von Lehrkräften des Sekundarbereichs I (…) sind mehr als doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt.»
- «Die tatsächlichen Gehälter von Lehrkräften sind im Schnitt immer noch in fast allen OECD-Ländern und in fast allen Bildungsbereichen niedriger als das Erwerbseinkommen der Arbeitskräfte mit Tertiärabschluss. Deutschland stellt in dieser Hinsicht eine der wenigen Ausnahmen dar. Die Lehrkräfte des Sekundarbereichs I (allgemeinbildender Zweig) verdienen in Deutschland fast genau so viel wie die übrigen Beschäftigten mit Tertiärabschluss im Durchschnitt.»
- «Die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit von Lehrkräften ist mit 1.795 Stunden pro Jahr hoch, das jährliche Unterrichtspensum von Lehrkräften des Sekundarbereichs I beträgt jedoch nur 641 Stunden, verglichen mit einem OECD-Durchschnitt von 711 Stunden. Dadurch haben Lehrkräfte in Deutschland mehr Zeit für die Unterrichtsvorbereitung und für Interaktionen mit den Schüler*innen außerhalb des Unterrichts, was auch der Unterrichtsqualität zugutekommt.»
- «Zwischen 2015 und 2021 sind die gesetzlichen bzw. vertraglich vereinbarten Gehälter von Lehrkräften des Sekundarbereichs I (allgemeinbildender Zweig) mit 15 Jahren Berufserfahrung und den häufigsten Qualifikationen im OECD-Durchschnitt real um 6 Prozent gestiegen. In Deutschland belief sich der Anstieg auf 10 Prozent und lag damit über dem OECD-Durchschnitt.»
- «Die Arbeitszeit von Lehrkräften umfasst neben dem Unterricht auch andere Tätigkeiten wie Unterrichtsplanung und -vorbereitung, Bewertung von Schülerleistungen, sowie Kommunikation und Zusammenarbeit mit Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Für solche Tätigkeiten werden in Deutschland im Sekundarbereich II formal 66 Prozent der Arbeitszeit der Lehrkräfte veranschlagt. Im OECD-Durchschnitt sind es 56 Prozent.»
Um mehr junge Menschen für den Beruf zu begeistern, muss dieser Schleicher zufolge attraktivere Karrierechancen und -wege bieten und Möglichkeiten, professionell im Team zu arbeiten, etwa bei der Entwicklung von Unterricht.
Positiv hervorgehoben wird, dass viele Kinder in Deutschland an frühkindlicher Bildung teilnehmen. 39 Prozent der unter Dreijährigen besuchten 2020 in Deutschland eine Kita oder eine andere Tageseinrichtung. Das ist deutlich über dem OECD-Schnitt (27 Prozent) und mehr als eine Verdopplung im Vergleich zu 2005 (17 Prozent). Bei den drei- bis fünfjährigen liegt die Quote bei 94 Prozent, was ebenfalls überdurchschnittlich ist. Deutlich besser ist auch das Betreuungsverhältnis: In Deutschland kümmert sich den Angaben zufolge ein Erzieher oder eine Erzieherin um sieben Kinder, im OECD-Mittel sind es 13 Kinder pro Fachkraft.
Auch mit einem Märchen räumen die Expertinnen und Experten auf: nämlich dass in Deutschland auf dem Höhepunkt der Pandemie die Schulen mit am längsten geschlossen gewesen seien. Wörtlich heißt es in dem Bericht: «Wie in den meisten anderen OECD-Ländern wurden auch in Deutschland die Schulen im Schuljahr 2021/22 nicht vollständig wegen der Covid-19-Pandemie geschlossen. Mit höchstens 85 Tagen vollständiger Schulschließungen während der gesamten Pandemie (bezogen auf den Sekundarbereich I) bewegt sich Deutschland in der Nähe des OECD-Durchschnitts.» News4teachers / mit Material der dpa
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October 4, 2022 at 07:55PM