Ohne harte Kirchenbänke
Gottesdienstbesuche so hart wie Kirchenbänke – wer kennt sie nicht? Maja Goertz schreibt in diesem Text von einer anderen Erfahrung und von ihren Wünschen an alle weiteren Gottesdienste.
„Das war der schönste Gottesdienst meines Lebens“. Diesen Satz habe ich letzte Woche in mein Handy getippt. Die letzte Nachricht davor war ein Foto des Raums mit hoher Decke und: „Puh, jetzt Gottesdienst, melde mich später“.
Diese WhatsApp-Nachrichten habe ich aus Leipzig verschickt, wo ich über das Wochenende gemeinsam mit dem Jahrgang meiner Journalistenschule war. Am Nachmittag des Vortags hatten wir die Aufgabe bekommen, einen Gottesdienst für den Sonntagvormittag vorzubereiten. Wir haben begonnen zu sammeln: Was macht einen guten Gottesdienst für uns aus?
Das alle was zu tun haben. Und, dass es nicht so lange dauert, waren die Antworten.
Die Gruppe ist bunt gemischt. Einige sozialisiert durch katholische Jugendarbeit, einige, die auch an ihrem Studienort noch regelmäßig in die Kirche gehen, manche, die seit ihrer Firmung kaum noch dort waren.
„Ich fühle mich in den meisten Gottesdiensten eigentlich nicht wohl“, habe ich während der Vorbereitung gesagt und viele haben genickt.
Religion war immer schon ein Thema – aber kein einfaches
Das war nicht immer so. Ich bin getauft worden, mit neun zur Erstkommunion gegangen, einige Jahre später gefirmt worden, dafür habe ich mich selbst entschieden.
Meine Eltern sind Theolog:innen. Wenn mich Freund:innen fragen, welche Rolle Kirche und Glaube als in meinem Leben spielen und wie das als Kind für mich war, dann erkläre ich, dass Religion immer ein Thema war. Beim Abendessen ging es, oft mit hochgezogenen Brauen, um die Geschehnisse in Rom, deutsche Bistümer und den Umgang mit Homosexualität in der katholischen Kirche. Diese Themen waren in meinem Alltag immer präsenter als regelmäßige Kirchenbesuche.
Dennoch: Ich habe in meinem Leben schon an vielen Gottesdiensten teilgenommen. Als Messdienerin neben dem Pfarrer, der klassische Sonntagsgottesdienst um halb zehn, oder, wenn ich Glück hatte, um halb zwölf, Osternächte, Jugendgottesdienste mit Gitarrenmusik, Feiertage.
Ich weiß, wie ein Gottesdienst funktioniert. Wann Musik kommt, wann man sich bekreuzigt und wie man das Vater Unser halblaut mitmurmelt. Wenn gemeinsam gebetet wird, sage ich „ich glaube“, statt „wir“. Anders würde ich es als übergriffig empfinden. Ich kann und möchte nur für mich sprechen ─ das hat mir meine Mutter früh beigebracht.
Die Sache mit der Liturgie
Mir gelingt es in Gottesdiensten selten, mich auf das Geschehen ein- und mich in den Moment fallen zu lassen. In Kirchen ist es oft kalt, der Pfarrer weit weg, die Bänke hart.
Die Lieder, die in Jugendgottesdiensten gesungen wurden, bei meiner Firmung war es eine umgedichtete Version von Mark Forsters „Chöre“ (es hieß dann in etwa: „Und die Engel singen für dich“, statt „die Chöre singen für dich“) ließen mich oft denken: Das hier ist eher unangenehm (und mit fünfzehn auch peinlich) als besinnlich. Ich schweife bei vielen Predigten ab und denke darüber nach, was mich eigentlich aus der Kirche wegtreibt, die Skandale, die man kaum aufzählen kann. Sie berühren mich emotional mehr als das Geschehen um mich herum, sie machen mich wütend, sie machen, dass ich noch seltener in die Kirche gehe und mich, wenn ich dort bin fragen lassen, was mich dort noch hält.
Ich fühle mich in Kirchen oft wie ein Fremdkörper, distanziert von Pfarrern, die mich nicht kennen und allgemeingültige Aussagen für alle Anwesenden treffen. Trotz der Anonymität, in die ich in Kirchenräumen schlüpfe, mache mit, was alle machen.
Ich kann die Gebete auswendig, die meisten Lieder nicht, aber ich weiß, wann erwartet wird, dass ich mich hinknie und wie lange es dauert, bis meine Kniescheiben davon weh tun.
Das alles ist mein persönliches Empfinden. Aber immer, wenn ich davon erzähle, sage ich auch, wie schade ich das finde. Dass ich mir wünsche, dass Kirche ein Wohlfühlort für mich wäre und ich mich darin nicht fühle, wie wenn die Polizei an einem vorbeifährt und man automatisch auf die Bremse tritt. Ich höre immer wieder von Freund:innen, dass es ihnen ähnlich geht, oder zumindest, dass sie dieses Gefühl verstehen. Besonders dann, wenn man am neuen Studienort keine neue Gemeinde sucht und nur noch an Weihnachten, vielleicht noch an Ostern, in die Kirche geht. Weil das halt dazugehört, weil sich das die Eltern wünschen und man irgendwie doch noch ein wenig daran festhält, es nochmal zu probieren, mit den Gottesdiensten.
Aber es gibt das doch, den Gottesdienst, der zu mir passt
In Leipzig haben wir es gemacht: Aufgeteilt in fünf Gruppen haben wir uns einen Platz im Park gesucht und uns dort überlegt, was wir gerne zu dem Gottesdienst am nächsten Tag beitragen würden. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt haben noch die wenigsten von uns gedacht: Das wird wirklich etwas Besonderes morgen.
Wir haben das Wochenende in einem Kloster mit angeschlossenem Gästehaus verbracht, den Gottesdienst in einem Raum mit hohen Decken, gepflasterten Wänden und großen Fenstern gefeiert. Ohne Pfarrer, ohne Eucharistie, nur wir. Als es los ging, um halb elf, blieben die großen Fenster geöffnet, wir setzten uns in einem Halbkreis hin, einige im Schneidersitz.
Es gab keine Kirchenbänke, die in unsere Rücken drückten, dafür ein Klavier, Eingangsmusik, Gloria, das Evangelium, eine Predigt, Friedenswünsche und Weihrauch – den groben Ablauf haben wir eingehalten. Der Raum, in dem wir saßen, der Raum zwischen uns, ist zu einem Begegnungsraum geworden. Zwei aus der Gruppe, einer davon Theologiestudent, eine zu denen gehörend, die seit der Firmung kaum noch in die Kirche gegangen waren, haben gepredigt. Wer wollte, hat gesungen, Videobotschaften von Freund:innen, die nicht bei uns sein konnten, wurden abgespielt. Vor allem aber haben wir uns Fragen gestellt. Was beschäftigt dich gerade? Wie triffst du Entscheidungen? Was hilft dir dabei?
Wer mochte, konnte persönliche Antworten laut aussprechen, wer wollte, konnte sitzen bleiben und schweigen. Zum Schluss des Gottesdienstes sind wir alle aufgestanden und haben Wachholderzweige miteinander getauscht und uns dabei gegenseitige Wünsche ausgesprochen. Irgendwann sind mir ein paar Tränen über die Wange gelaufen, weil ich mich mit dieser Gruppe an Menschen so verbunden gefühlt habe.
Ich wünsche mir Begegnung
Ich glaube, dass es das ist, was den Gottesdienst für mich zu einer religiösen Begegnung gemacht hat.
Die Verbundenheit, die ich zu den Menschen um mich herum gefühlt habe, die Offenheit, das Nichts-Müssen und die Erfahrung, mich in diesem Kontext öffnen konnte, statt mich in einer Stunde Liturgie immer mehr zu verschließen und die Hände in den Jackentaschen zu vergraben.
Ein Begegnungsraum – so wünsche ich mir Gottesdienste. Für manche mag das während einer gemeinsamen Eucharistiefeier erfahrbar sein. Für mich brauchte es eine offene Liturgie, in der wir mehr über Freundschaft, Stress und Erwartungen geredet haben, als über Heilige. Und vielleicht auch, dass ich mich nicht daran stören musste, dass gerade keine Frau oben vor der Gemeinde stehen kann und ein Pfarrer, der sich weit weg von mir und meinem Leben anfühlt, etwas sagt, was mich im besten Falle berühren sollte. In unserem Fall brauchte es überhaupt niemanden, der das für uns macht, das konnten wir in diesem Moment selbst am meisten. In diesem Gottesdienst habe ich Verbundenheit gespürt. Und das ist es, was ich mir in der Kirche wünsche.
Hashtag der Woche: #verbunden
(Beitragsbild @wildlittlethingsphoto)
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September 26, 2022 at 07:41AM