BONN. Nur acht Prozent der Schülerinnen und Schüler in Deutschland, das ergab das gestern erschienene Schulbarometer, fühlen sich in der Schule wirklich wohl (News4teachers berichtete) – lediglich vier Prozent meinen, dass ihnen das Schulgebäude, in dem sie sich werktäglich aufhalten müssen, gefällt. Muss das so sein? Die Frage, wie ein Lernraum der Zukunft aussehen sollte, beschäftigt den Bürgerrat Bildung und Lernen* (der am kommenden Wochenende in Leipzig tagt) – aktuell auch im neuen Podcast „Bildung, bitte“. Darin diskutieren Bürgerratsmitglied Kilian Safranik mit der Architektin Barbara Pampe und dem Journalisten Andreas Bursche, welche Auswirkungen die Lernumgebung auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler haben kann.
In der neuen Folge des Podcasts „Bildung, bitte!“ des Bürgerrats Bildung und Lernen dreht sich alles um die Frage: Wie wichtig ist Wohlfühlen beim Lernen? Moderator Andreas Bursche (bekannt vom WDR) beleuchtet, ob Schulen als Lebensorte genauso wie moderne Büros angenehmer gestaltet werden könnten – mit Rückzugsorten und Wohlfühlzonen.
Kilian Safarik, Mitglied des Bürgerrats Bildung und Lernen und ehemaliger Schüler aus Brandenburg, teilt seine persönlichen Erfahrungen: Nach einer erfolgreichen Grundschulzeit verlor er später den Anschluss, fühlte sich zunehmend unwohl und zog sich zurück. „Es war nicht mehr schön“, sagt er, und berichtet, wie fehlende Rückzugsorte seine Schulzeit prägten. „Ich bin natürlich noch regelmäßig zur Schule gegangen, aber bin dann natürlich nicht gerne nach der Schule noch da geblieben, habe da nicht noch mit Leuten groß gequatscht. Bin dann wirklich immer nur hin und zurück und auch manchmal, wenn ich mal einen Freiblock hatte, in der einen Stunde nur ganz schnell nach Hause, damit ich da halt nicht im Schulgebäude rumlungern muss“, erzählt er.
Barbara Pampe, Architektin und Vorständin der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, erklärt, warum herkömmliche „Klassenraumflurschulen“ nicht mehr zeitgemäß sind. Sie fordert variablere Raumkonzepte: „Wenn Schule ein Lebensort wird, brauchen wir mehr als Klassenzimmer und Flure – vor allem Rückzugsorte.“
Eingeblendete Kinderstimmen aus Schulen bestätigen den Bedarf: „In meiner Schule ist die Bibliothek der beste Ort, weil es dort gemütliche Stühle gibt und ich mich gut konzentrieren kann“, erzählt ein Schüler. Ein anderer wünscht sich einen „Chill- und Lernraum“ mit Sitzsäcken und Steckdosen.
Kilian Safarik schildert, wie fehlende Ruhe und der Mangel an persönlichen Rückzugsräumen ihn in der Oberstufe belasteten: „Da hat sich so eine Anspannung reingebracht, und ich konnte mich gar nicht auf den Unterricht konzentrieren.“ Zudem habe ihm das Kurssystem zu schaffen gemacht, erzählt Kilian Safarik. Im Klassenverband habe er sich wohl gefühlt, aber im Kurssystem der Oberstufe habe ihm der sichere Raum gefehlt. „Vier Blöcke am Tag, in jedem Block unterschiedliche Leute, das war halt einfach irgendwo zu viel“, erläutert er.
Architektin Barbara Pampe ergänzt, dass es für ein optimales Lernumfeld vielseitigere Raumkonzepte brauche. Sie betont: „Schule ist ein Lebensort – genau wie moderne Arbeitsplätze brauchen wir variable Räume für Gruppenarbeit, Rückzug und Begegnung.“
Die drei Gesprächspartner diskutieren darüber, warum sich viele Schulen bis heute nicht an die modernen Anforderungen angepasst haben. Zudem werfen sie einen Blick auf inspirierende neue Schulkonzepte, die Raum für Kreativität und Entfaltung schaffen.
„Schöne Räume allein machen keine gute Schule – es kommt darauf an, wie sie genutzt werden“
Kilian Safarik schildert seine Eindrücke vom Bildungscampus Nord in Köln, wo er erstmals erleben konnte, wie innovative Raumgestaltung Lern- und Denkanstöße fördern: „Ohne dieses Modell hätte ich mir gar nicht vorstellen können, wie anders Schule sein könnte“, sagt Safarik. Er habe sich auf dem Bildungscampus nicht wie an einer Schule gefühlt, da die Räume dort viel heller waren, als er es von Schulen gewohnt ist.
Barbara Pampe erklärt, warum solche Leuchtturmprojekte wichtig sind: „Sie zeigen, dass Schulen nicht nur Kästen mit Fluren und Klassenzimmern sein müssen. Wenn Räume durchdacht gestaltet sind, fühlen sich Lernende wertgeschätzt – das steigert Motivation und Wohlbefinden.“
Warum setzen sich solche Ansätze nicht flächendeckend durch? Barbara Pampe sieht den Fokus oft zu wenig auf Bildung und Bildungsarchitektur gerichtet: „Es braucht eine enge Verzahnung von Architektur und Pädagogik. Schöne Räume allein machen keine gute Schule – es kommt darauf an, wie sie genutzt werden.“
Ein Beispiel zeigt, dass Investitionen in Qualität belohnt werden: Eine Schule mit eleganten Holzmöbeln und Wohlfühlatmosphäre verzeichnete nahezu keinen Vandalismus. Barbara Pampe erklärt: „Schüler*innen lernen schnell, mit wertvollen Räumen respektvoll umzugehen, wenn man ihnen zeigt, dass ihre Umgebung es wert ist, geschützt zu werden.“
Wird am Wohlfühlort Schule die Disziplin geopfert? Andreas Bursche bringt die preußische Tradition ins Spiel, die Generationen kluger Köpfe hervorgebracht hat, und fragt kritisch, ob Schulen nun auch Chill-Orte sein müssen. Barbara Pampe kontert klar: „Wohlfühlen heißt nicht chillen. Es heißt, in einer Umgebung zu lernen, die Arbeit und Konzentration fördert, ohne Disziplin oder Ernsthaftigkeit zu vernachlässigen.“ Kilian Safarik ergänzt aus eigener Erfahrung: „Man kann sich zusammenreißen und lernen, aber es geht leichter, wenn das Umfeld angenehm ist – frische Luft, entspanntes Klima. Man kommt gerne dorthin.“
Die Diskussion wendet sich dann praktischen Aspekten zu mit der Frage: Wie können bestehende Schulgebäude zukunftsfähig gestaltet werden? Barbara Pampe betont die Notwendigkeit eines Dialogs: „Pädagogik und Architektur müssen zusammengedacht werden. Schulen sollten sich fragen: Wie wollen wir lernen und lehren? Und Schulträger müssen diese Prozesse initiieren, statt einfach Standardlisten abzuhaken.“
In Deutschland ist der Schulbau jedoch föderal organisiert – eine Herausforderung, da Bau und Pädagogik oft in getrennten Händen liegen. Die Lösung? Kommunen müssen Prozesse starten, in denen alle Beteiligten – Pädagog*innen, Architekt*innen, Schüler*innen und das Quartier – gemeinsam herausfinden, was ihre Schule wirklich braucht.
Kilian Safarik berichtet aus den Diskussionen im Bürgerrat, wie Schüler*innen über ihre ideale Lernumgebung nachdenken. Reflektiert äußerten sich schon die Jüngsten, etwa zur Idee von Haustieren oder Pflanzen im Klassenraum. Viele Kinder fanden das nicht praktikabel: „Wer kümmert sich in den Ferien darum? Das lenkt doch eher ab.“ Diese Gespräche zeigen: Partizipation fördert erstaunlich oft Vernunft.
„Diese Schule lebt Vielfalt. Sie bietet Licht, Wärme, Rückzugsorte und Raum für gemeinsames Arbeiten. Und das macht den Unterschied – man fühlt sich sofort wohl und ernst genommen“
Barbara Pampe bringt Inspiration aus Dänemark mit, wo eine Schule die perfekte Balance zwischen Funktionalität und Kreativität gefunden hat. Schon von außen beeindruckt die Architektur mit Terrassen, die den Außenraum aktiv einbinden. Im Inneren überrascht die Gestaltung: eine Mischung aus offenen Räumen mit Blickachsen, Rückzugsorten, warmen Holzmaterialien und hochwertigen Möbeln. Besonders einladend: Eine breite Treppe mit Sitzstufen, die als Treffpunkt dient. Lernen passiert hier überall – individuell oder in Gruppen, in Räumen oder auf Kissenflächen.
„Diese Schule lebt Vielfalt. Sie bietet Licht, Wärme, Rückzugsorte und Raum für gemeinsames Arbeiten. Und das macht den Unterschied – man fühlt sich sofort wohl und ernst genommen“, erläutert Pampe.
Sie berichtet außerdem davon, dass in der dänischen Schule architektonische Raffinesse die Lautstärke reduziert – und das nicht nur durch clevere Bauweise. Kilian Safarik ergänzt: „Wenn Räume mit Liebe gestaltet sind, respektiert man sie mehr. Es gibt weniger Vandalismus, weil man merkt, dass hier Sorgfalt hineingeflossen ist.“ Er meint: Dieser Ansatz könnte das Lernen auf ein neues Niveau heben. News4teachers
Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.
Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?
Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde bereits erarbeitet und an die KMK übergeben. Am kommenden Wochenende steht eine weitere Sitzung in Leipzig an, auf der die weiterführende Frage diskutiert werden soll: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“
Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.
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Der Beitrag Podcast: Nur jedem 25. Schüler gefällt das Schulgebäude, in dem er den Tag verbringt – wie sieht der Lernraum der Zukunft aus? erschien zuerst auf News4teachers.
Title: Podcast: Nur jedem 25. Schüler gefällt das Schulgebäude, in dem er den Tag verbringt – wie sieht der Lernraum der Zukunft aus?
URL: https://www.news4teachers.de/2024/11/podcast-nur-jedem-25-schueler-gefaellt-das-schulgebaeude-in-dem-er-den-tag-verbringt-wie-sieht-der-lernraum-der-zukunft-aus/
Source: News4teachers
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Date: November 21, 2024 at 12:45PM
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