DOMRADIO.DE: Was passiert aus dogmatischer Sicht bei der Priesterweihe?
Prof. Dr. Jan-Heiner Tück (Arbeitsbereich Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Wien): Im Wiener Stephansdom ist die Weihe ein dichter Augenblick. Die Domglocken läuten, die Gläubigen verharren still auf ihren Plätzen, während der Bischof den knieenden Kandidaten schweigend die Hände auflegt. Die ex-zentrische Dimension von Kirche, dass also Christus ihre eigentliche Mitte ist, wird hier deutlich, der Einbruch des Heiligen in die Zeit liturgisch erfahrbar.
Was aber passiert da genau? Mit der Weihe erfolgt die sakramentale Indienstnahme durch Jesus Christus im Heiligen Geist. Sie ist unwiderruflich und gilt für immer. Ein Skandal für eine Kultur des Provisorischen, die alles unter Vorbehalt stellt und damit funktionalisiert.
"Keiner hat im Übrigen ein Anrecht auf die Weihe, sie ist keine Belohnung für erworbene Kompetenzen oder erbrachte Leistungen."
Keiner hat im Übrigen ein Anrecht auf die Weihe, sie ist keine Belohnung für erworbene Kompetenzen oder erbrachte Leistungen. Natürlich gibt es im Vorfeld eine gründliche Prüfung der Kandidaten. Aber im Hintergrund der Weihe steht die persönliche Antwort auf einen göttlichen Ruf, den die Kirche bestätigt.
Die Ordination selbst ist Sakrament, sichtbare Übertragung einer unsichtbaren Gabe. Das kommt im Ritus der Handauflegung durch den Bischof und das anschließende Weihegebet schön zum Ausdruck. Bedeutsam sind auch die Worte, die der Bischof nach der Weihe bei der Überreichung von Brot und Wein spricht: "Empfange die Gaben des Volkes für die Feier des Opfers. Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes."
DOMRADIO.DE: Die dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche unterscheidet zwischen dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen und dem Priestertum des Dienstes, das hierarchische Priestertum (vgl. Lumen gentium 10). Diese unterscheiden sich dem Wesen nach, sind aber einander zugeordnet. Ist der geweihte Priester damit ein anderes Wesen?
Tück: Die Kirchenkonstitution Lumen gentium hat Ansätze einer Theologie der Laien (Yves Congar, Karl Rahner) aufgenommen und die Würde der Laien eigens unterstrichen. Durch Taufe und Firmung haben sie Anteil am Priestertum Christi, daher spricht man vom "gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen".
Das Konzil lehrt nun, dass es zwischen Laien und Priestern keine graduelle Differenz gibt. Das wird von manchen als Argument für eine Differenzeinebnung missverstanden. Es ist aber, wie Sie richtig sagen, zugleich von einer essentiellen Differenz, einem "Unterschied des Wesens", die Rede.
Nun haben Wesenskategorien in postmodernen Zeiten keinen guten Klang. Es gibt auch in Teilen der Theologie eine unbedingte Abneigung gegen alles Unbedingte. Die Rede vom Wesen zeigt hier an, dass der Priester durch das Weihesakrament unwiderruflich und ein für alle Mal durch Christus in Dienst genommen wird. Die scholastische Sakramententheologie spricht – wie bei Taufe und Firmung – vom "character indelebilis", dem unauslöschlichen Mal.
Das bedeutet nicht, dass mit der Priesterweihe ein ontologisches Plus verliehen wird, das den Kleriker nun über die Laien erhebt. Vielmehr wird der geweihte Priester zum Dienst für die Kirche bestellt. Er kann qua Ordination etwas, was Laien nicht können: der Eucharistiefeier vorstehen, die Absolution erteilen, die Krankensalbung spenden usw.
Im Kontext des Synodalen Weges in Deutschland hat man den Topos des gemeinsamen Priestertums vor allem auf mehr Mitsprache- und Partizipationsrechte bezogen. Das ist nicht falsch, läuft aber auf eine Halbierung der Aussagen des Konzils hinaus, wenn nicht mitbetont wird, dass es Auftrag, ja Berufung der Laien ist, in den komplexen Lebens- und Berufswelten der späten Moderne dem Evangelium ein ansprechendes Gesicht und eine klare Stimme zu geben.
Laien können etwas, was Priester nicht können. Und diese wechselseitige Angewiesenheit sollte man wieder stärker in den Blick rücken, statt sich in Kompetenzrangeleien zu verheddern.
DOMRADIO.DE: Warum werden nur Männer, nicht aber Frauen geweiht?
Tück: Das ist eine alte, immer wieder gestellte Frage, die den Modernitätskonflikt der katholischen Kirche berührt. Seit 2.000 Jahren gibt es in ihr, aber auch in den Kirchen des Ostens die Praxis, allein Männer zu Priestern zu weihen. Jesus war ein Mann – daher ist es angemessen, dass die sakramentale Repräsentation durch Männer geschieht.
So lautet, knapp gesagt, das Argument, das in modernen Gesellschaften immer weniger überzeugt. Die meisten reformatorischen Kirchen sind daher im 20. Jahrhundert dazu übergegangen, auch Frauen zu ordinieren. Sie haben den Gleichstellungsimperativen amtstheologisch entsprochen.
DOMRADIO.DE: Warum weigern sich die Nachkonzilspäpste unter Einschluss von Papst Franziskus diesen Weg zu gehen, obwohl die Forderungen immer lauter werden?
Tück: Ich vermute, weil sie in der Spur der apostolischen Tradition bleiben wollen, weil sie es für angemessen halten, dass die amtliche Repräsentation Jesu Christi – vor allem in der Eucharistie, wo der Priester nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Christi spricht – Männern vorbehalten ist, weil sie keine Spaltung wollen, weil sie die Ökumene mit den Kirchen des Ostens nicht gefährden wollen, weil sie allen Umcodierungsversuchen zum Trotz an einer bipolaren Geschlechter-Anthropologie festhalten – und weil Johannes Paul II. die Frage 1994 mit quasi unfehlbarer Autorität entschieden hat.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie selbst?
Tück: Ich selbst würde sagen, dass das funktionale Denken moderner Gesellschaften mit dem sakramentalen Denken der Kirche nicht einfach deckungsgleich ist. Frauen sollten in der Kirche stärker präsent sein und überall Positionen erhalten, wo Sachkompetenz gefragt ist, die nicht an die Weihe gebunden ist – also in Ordinariaten, Nuntiaturen oder Dikasterien. Das scheint mir aussichtsreicher, als immer lauter die Frauenordination zu fordern – und enttäuscht zu werden.
Die Frage der Frauenordination allein unter Kategorien von Macht und Diskriminierung zu behandeln, erscheint mir verfehlt. Es geht hier um die sakramentale Dimension der Kirche und die verborgene Gegenwart Jesu Christi in ihrer Mitte. Wer repräsentiert ihn – vor allem in der Feier der Eucharistie? Wäre es theologisch stimmig, wenn ordinierte Frauen in der Person Jesus Christi sprechen würden "Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird"? Ich hätte hier Vorbehalte.
DOMRADIO.DE: Warum?
Tück: Eine kontingenzsensible Offenbarungstheologie nimmt das geschichtliche Datum ernst, dass Gottes Wort Mensch geworden ist, und zwar als Mann.
Gewiss, der allmächtige Gott hätte auch anders können. Das räumt selbst Thomas von Aquin ein. Aber possibilientheologische Spekulationen, ob Gottes Wort nicht auch als Frau oder als Transgender-Person hätte Mensch werden können, erscheinen mir wenig hilfreich. Theologie versucht ja im Nachgang zur faktisch ergangenen und kanonisch bezeugten Heilsgeschichte deren Sinn zu ergründen.
Auch der Hinweis, dass der erhöhte Christus seine geschlechtliche Identität hinter sich gelassen habe und daher getrost auch als "Christa" adressiert werden könne, überzeugt mich nicht. Der Auferstandene zeigt sich mit seinen Wundmalen und erscheint seinen Jüngern. Von einer Annullierung seiner geschichtlich-geschlechtlichen Identität ist keine Rede.
Das Ensemble an alttestamentlichen Verweisen auf die kommende Gestalt des Erlösers zielt auf einen Retter, den Messias und Sohn Davids, nicht auf eine Retterin oder weibliche Heilsfigur. Der auferweckte Gekreuzigte wird als Jesus Christus und Kyrios angerufen – nicht als "Christa", auch wenn es bei den Kirchenvätern vereinzelt allegorische Aussagen gibt, die Christus weibliche Attribute zusprechen.
Der Verweis auf geschichtliche Vorgaben mag epistemisch nicht den Status von zwingenden Vernunftargumenten haben. Aber heilsgeschichtliche Theologie kann die Daten, auf die sie sich rückbezieht, nicht nach Belieben umschreiben. Das wäre "usurpative Theologie" (Eckhard Nordhofen).
Das Weihegebet erinnert im Übrigen an die siebzig Ältesten als Helfer von Moses und Aron, es ruft die Priester des Alten Bundes als "Schatten und Vorausbild des kommenden Heils" auf. Wo diese Bezüge der symbolischen Theologie weggeschnitten werden, lauert ein latenter Markionitismus, der das jüdische Erbe ausschlägt.
"Das Alte Testament kennt ja Prophetinnen und Königinnen, jedoch – im Unterschied zu den benachbarten Kulturen – keine Priesterinnen."
Überhaupt ist es erstaunlich, wie wenig bei aller Israelsensibilität der nachkonziliaren Theologie (vgl. Nostra aetate 4) die alttestamentlichen Wurzeln des Priestertums bedacht worden sind. Das Alte Testament kennt ja Prophetinnen und Königinnen, jedoch – im Unterschied zu den benachbarten Kulturen – keine Priesterinnen.
DOMRADIO.DE: Hierarchie ist inzwischen ein Wort mit einem sehr negativen Kontext, weil viele dabei an Autokratie denken. Wie kann die kirchliche Hierarchie wieder in ein positives Licht rücken, wenn sie nicht aufgegeben werden soll, darf oder kann?
Tück: Autokratie und Hierarchie sind denkbar weit voneinander entfernt. Im Begriff Hierarchie, der im 6. Jahrhundert von Ps. Dionysios Areopagita geprägt wurde, werden das Heilige (hieros) und die Herrschaft/der Ursprung (arche) miteinander verschränkt. Der theologische Ursprung der kirchlichen Ämter wird damit ebenso angezeigt wie der herrschaftskritische Maßstab des Evangeliums: "Bei euch soll es nicht so sein" (Mk 10,43).
Ein hierarchisches Amt in der Kirche ausüben, heißt demnach dienen, für andere da sein. Ein Autokrat hingegen missbraucht die Herrschaft für eigene Zwecke. Diese theologische Hintergrundsemantik des Begriffs ist heute beinahe vergessen und könnte dem verbreiteten antihierarchische Affekt entgegengehalten werden.
Hierarchien gibt es in vielen Bereichen moderner Gesellschaften: in der Wirtschaft, im Bankwesen, im Militär, selbst an der Universität. Überall gilt, dass Inhaber eines Leitungsamtes dann mit erhöhter Zustimmung rechnen können, wenn sie ihre Amtsführung transparent gestalten und ihre Entscheidungen argumentativ begründen. Insofern kann das Amt der Bischöfe von einer synodalen Einbettung nur profitieren. Beratungsresistenz beschädigt die moralische Autorität des Bischofs.
Wenn allerdings im Namen der synodalen Einbettung andere Formen der Kirchenleitung angestrebt werden, die die sakramentale Verfassung der Kirche antasten, kann ich nicht mitgehen. Kirche ist nicht einfach ein Funktionssystem, in dem Leitung durch Delegation auf Zeit zustande kommt. Das Amt in der Kirche wird sakramental verliehen. Der Bischof ist persönlicher Zeuge des Glaubens, der mit Leitungsverantwortung betraut wird, die er nicht hinter Mehrheitsbeschlüssen von Gremien verstecken kann.
DOMRADIO.DE: Wenn ein Priester ganz und gar Priester ist, kann er dann nie Privatmann sein und als solcher handeln? Aus juristischer Sicht scheint es hier diese Unterscheidung zu geben.
Tück: Die Frage würde ich gerne auf die Laien ausweiten. Denn die Krise der Kirche hierzulande hat auch damit zu tun, dass das gemeinsame Priestertum der Gläubigen zu wenig gelebt und gefördert wird. Wo Gläubige sich in der Anonymität verstecken anstatt "aktive Träger der Evangelisierung" zu sein, wo sie tatenlos zusehen, dass ihre Kinder der Kirche den Rücken kehren, wo sie aufhören, sich aktiv mit ihren Begabungen in die kirchliche Gemeinschaft einzubringen etc., agieren sie, ob es ihnen bewusst ist oder nicht, als Krisenverstärker.
Es gibt Sonntagschristen, die als Werktagsmenschen nicht mehr als gläubige Zeitgenossen erkennbar sind. Das ist ein Problem. Analoges lässt sich über die Priester sagen. Sie sind dazu berufen, ihre priesterliche Existenz immer zu leben. Dass sie dafür auch Rückzugsräume brauchen, ist unbestritten. Aber wenn der Priester als Privatmann einen Lebensstil pflegt, der zu seinem öffentlichen Amt nicht passt, ist das kritikwürdig. Doppelmoral ist kein Empfehlungsschreiben für die Kirche.
DOMRADIO.DE: Die vor einiger Zeit veröffentlichte Priesterstudie hat eine bei vielen jüngeren Priestern und Priesteramtskandidaten existierendes Priesterbild aufgeworfen, das gerade in Reformkreisen für Verstörung sorgt. Wird das Priesteramt künftig mehr an Bedeutung verlieren, nicht nur weil es weniger Priester geben wird?
"Die Theologieresistenz, die es unter jungen Priestern teilweise gibt, ist bedenklich."
Tück: Die Kirche in Deutschland wird mit weniger Priestern auskommen müssen. Das ist eine Herausforderung. Die Studie zeigt aber auch: Je jünger Priester sind, umso weniger stehen sie hinter den Reformagenden des Synodalen Weges. Sie sind weniger an Strukturreformen interessiert als am Orientierungspotential des Glaubens. Dass sie in einer weltanschaulich bunten Gesellschaft die Suche nach katholischer Identität neu stellen, ist kein schlechtes Signal.
Das Bemühen um gesellschaftliche Anschlussfähigkeit, das in Theologie und Kirche jahrzehntelang leitend war, wird ambivalent, wenn Kirche zur Dublette gesellschaftlicher Entwicklungen wird. Sie hat dann der Gesellschaft nichts mehr zu sagen. Umgekehrt darf die Suche nach einem katholischen Lebensstil nicht zu geschlossenen Milieus führen. Die Theologieresistenz, die es unter jungen Priestern teilweise gibt, ist bedenklich.
Schließlich erodiert das soziale oder kirchliche Umfeld, aus dem Priesterberufungen hervorgehen. Der Priestermangel entspricht einem Mangel an Gläubigen. Durch Lockerungen der Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Amt wird sich das kaum beheben lassen. Die evangelische Kirche, die das Amt für alle geöffnet hat, ist von der Nachwuchskrise nicht weniger betroffen.
DOMRADIO: Joseph Ratzinger schrieb bereits vor einigen Jahrzehnten, dass er sich durchaus einen Priester im Zivilberuf vorstellen könne. Diakone im Zivilberuf gibt es ja bereits. Warum nicht auch Priester im Zivilberuf?
Tück: Ja, Ratzinger hat 1970 in seinem Buch "Glaube und Zukunft" geschrieben, die Kirche der Zukunft werde "gewiss neue Formen des Amtes kennen und bewährte Christen, die im Beruf stehen, zu Priestern weihen". Davon wollte er später nicht mehr viel wissen. Dabei könnte die Weihe von "viri probati" ein kleiner Baustein sein, um die Krise zu lindern.
Man müsste sich allerdings genau darüber verständigen, welche Eignungskriterien gelten sollen, wie das Alter und Ausbildungsprofil aussehen soll etc. Konzepte dafür gibt es. Aber Papst Franziskus hat im Nachgang zur Amazoniensynode eine Öffnung für die Weihe von verheirateten Kandidaten untersagt, obwohl ein Mehrheitsvotum der Synodalen dafür vorlag. Seither ist es um die Forderung von "viri probati" weltkirchlich eher still geworden.
Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.
Grundsätzlich kann jeder zum Priester geweiht werden, der männlich, katholisch und unverheiratet ist. Wenn er von Gott dazu berufen ist. Ob jemand berufen ist, entscheidet jedoch nicht der Einzelne selbst. Drei Aspekte entscheiden zusammen darüber, ob jemand tatsächlich berufen ist: die Neigung, die Eignung, und die Annahme durch die Kirche.
Title: „Sakramentale Dimension der Kirche“ / Dogmatiker Tück verteidigt Priesterweihe nur für Männer
URL: https://www.domradio.de/artikel/dogmatiker-tueck-verteidigt-priesterweihe-nur-fuer-maenner
Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
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Date: June 3, 2024 at 07:14AM
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