Schulbarometer alarmiert Verbände: Kinder und Jugendliche in „Dauerkrisenschleife“ (aber Lehrkräfte längst überlastet)

DÜSSELDORF. Die Ergebnisse des aktuellen Deutschen Schulbarometers sind alarmierend: Ein erheblicher Anteil der Schülerinnen und Schüler fühlt sich psychisch belastet (News4teachers berichtete). Lehrkräfteverbände und Gewerkschaften sehen akuten Handlungsbedarf. Sie fordern von der Politik deutlich mehr finanzielle Mittel und personelle Ressourcen, um die Situation an den Schulen zu verbessern.

Lehrkräfteverbände und Gewerkschaften sehen Handlungsbedarf angesichts der vielen Schüler:innen, die sich psychisch belastet fühlen. Symbolfoto: Shutterstock/Deborah Lee Rossiter

Schüler:innen in Deutschland sind besorgt: 39 Prozent fühlen sich durch die geopolitische Situation und die Kriege in der Welt belastet, 26 Prozent verspüren Leistungsdruck, 25 Prozent machen sich Gedanken, dass die Menschen Klima und Umwelt zerstören. Das geht aus dem aktuellen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung hervor. Laut der Befragung unter Schüler:innen im Alter zwischen 8 und 17 Jahren steht es auch um die persönliche Situation nicht besonders gut. Rund 20 Prozent fühlen sich psychisch belastet, 27 Prozent schätzen ihre Lebensqualität als gering ein und 20 Prozent geben ein geringes schulisches Wohlbefinden an. Des Weiteren beklagen weite Teile der Schüler:innen mit Blick auf den Schulalltag unter anderem häufigen Unterrichtsausfall, Sanierungsstau und zu viele Störungen im Unterricht.

Lehrkräfteverbände und Gewerkschaften betrachten besonders die von vielen Schüler:innen berichteten Belastungen mit wachsender Sorge. „Wenn sich mehr als 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychisch belastet und in der Schule nicht wohl fühlen, dann müssen wir das sehr ernst nehmen und gegensteuern“, sagt Ralf Neugschwender, Bundesvorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer (VDR). Die Ursachen der Belastung sieht er unter anderem in den multiplen Krisen der letzten Jahre, die Kinder und Jugendliche in eine „Dauerkrisenschleife“ versetzt hätten.

„Mehr denn je gilt: Auf die Lehrkräfte kommt es an“

Das Elternhaus könne vieles offenbar nicht mehr auffangen. „Umso wichtiger wird die Aufgabe der Schulen. Mehr denn je gilt: Auf die Lehrkräfte kommt es an. Sie können ihren Schülerinnen und Schülern Orientierung und Halt geben. Eine vertrauensvolle Lehrer-Schüler-Beziehung kann für Kinder und Jugendliche ein Stabilitätsanker sein.“ Allerdings müssten dafür die Rahmenbedingungen stimmen: „Vielerorts fehlt es immer noch massiv an Angeboten in der Schulsozialarbeit und Schulpsychologie.“ Zudem fordert Neugschwender eine Entlastung der Lehrkräfte von nicht-pädagogischen Aufgaben, damit diese sich wieder stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren könnten und mehr Zeit für den einzelnen Schüler, die einzelne Schülerin hätten.

Ähnliche Schlüsse zieht die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus den Ergebnissen der Befragung. „Psychische Probleme können in einen Teufelskreis münden, der ganze Bildungsbiografien ins Wanken bringen kann“, mahnt Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied Schule. Die Gewerkschaft fordert daher, das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen ins Zentrum schulpolitischer Maßnahmen zu rücken. „Schulen müssen als sichere, gesunde und wertschätzende Orte erlebt werden. Angesichts einer unsicheren Zukunft ist es von zentraler Bedeutung, Räume für soziale Beziehungen, Erfolgserlebnisse und Selbstwirksamkeit zu eröffnen, eine positive Fehlerkultur zu etablieren sowie die psychische und physische Resilienz der Kinder und Jugendlichen zu fördern.“

GEW: Befristete Projektmittel reichen nicht

Die GEW weiß auch, was Schulen dafür benötigen: mehr Personal – sowohl auf Seiten der Lehrenden als auch im Bereich der Schulsozialarbeit und -psychologie –, sowie mehr Zeit im Schulalltag durch eine geringere Unterrichtsverpflichtung der Lehrer:innen. Eine weitere Chance, die Situation zu verbessern, sieht Bensinger-Stolze zudem in der Idee, Gesundheitspersonal an Schulen zu bringen, wie es etwa in Skandinavien zum Standard gehöre. Ebenso könnten niedrigschwellige Unterstützungsangebote dazu beitragen, wie die in einigen Bundesländern bereits etablierten „Mental-Health-Coaches“ (News4teachers berichtete). Solche Strukturen gelte es jedoch zu verstetigen. „Mit zeitlich befristeten Projektmitteln ist weder den psychosozialen Problemen der Schülerinnen und Schüler noch der chronischen Überlastung der Beschäftigten an Schulen beizukommen.“

Auch der Philologenverband Niedersachsen stimmt in die Forderung nach mehr finanziellen Mitteln „für gute Bildung“ ein: „Im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen unsere Schülerinnen und Schüler und dazu gehört auch deren Lebensqualität. Bildung gibt es nicht zum Nulltarif“, betont Christoph Rabbow, Vorsitzender des niedersächsischen Philologenverbandes. Er verweist darauf, dass der Verband schon vor einem Jahr angemahnt habe, dass Psycholog:innen und psychologische Betreuung an den Schulen fehlen, um den gewachsenen Problemen wirksam begegnen zu können. „Unsere Kinder und Jugendlichen verbringen einen großen Teil ihres Lebens in der Schule, hier erwarten sie auch zurecht Unterstützung für ihre Probleme.“ Lehrkräfte allerdings könnten sich aufgrund des Lehrkräftemangels derzeit nicht so um ihre Schüler:innen kümmern, wie sie es eigentlich müssten – und auch wollten. „Lehrerinnen und Lehrer arbeiten tagtäglich jenseits der Belastungsgrenze. Da geht einfach nicht mehr.“

„Bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit“

Diesen Eindruck hat auch Susanne Lin-Klitzing, die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands: „Der dauerhafte Lehrkräftemangel, die permanente Überbelastung der Kollegen und Kolleginnen fordern ihren Tribut. Auch wenn viele bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gehen, können sie den Unterricht nicht so gestalten wie sie gerne würden, was teilweise dazu führt, dass die Unterrichtsqualität nicht mehr im gewünschten Maß gewährleistet werden kann.“ Hinzu kämen verfallende Schulgebäude und mangelhafte Infrastruktur, die sich „weder bei der Schülerschaft noch bei den Lehrkräften positiv auf die Psyche auswirken“. Lin-Klitzing appelliert daher ebenfalls an die Politik, „endlich ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen, um die zu Grunde liegenden, offensichtlichen Probleme zu lösen“. News4teachers

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Date: November 22, 2024 at 01:09PM
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