„Sie haben das Beste aus Michelangelo herausgeholt“ / Vatikanexperte erklärt Konflikte zwischen Michelangelo und den Päpsten

DOMRADIO.DE: Bleiben wir erst mal bei dem Menschen und Künstler. Was war Michelangelo überhaupt für ein Typ? 

Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte und Autor): Er war ein Künstler mit einer sehr komplexen Persönlichkeit. Man kann ruhig sagen, dass er ein Energiebündel war, das schwer zu bändigen gewesen ist. Er war natürlich eine unglaubliche Persönlichkeit, eine unglaubliche Gestalt, die die Kunstwelt sehr stark mitgeprägt hat. 

DOMRADIO.DE: War er denn ein religiöser Mensch? 

Nersinger: Er war ein religiöser Mensch. Ich denke, man kann die Werke, die er geschaffen hat, nicht ohne einen Glaubenshintergrund verstehen. Aber er war auch jemand, der anders geprägt vom Glauben war. 

Er war nicht der Frömmler, der sich zurückgezogen hat, sondern er wurde auch durch seine toskanische Heimat und durch Florenz geprägt, wo eine religiöse Auseinandersetzung in dieser Zeit, in der er gelebt hat, stattfand. 

"Es gab Auseinandersetzungen mit fast allen Päpsten."

DOMRADIO.DE: Während seiner Zeit in Rom hatte Michelangelo 13 Päpste erlebt. Wie war das Miteinander? 

Nersinger: Nicht ganz einfach, obwohl das schon eine Untertreibung ist. Also das Verhältnis zu den Päpsten war ein notwendiges und ein sehr fruchtbares, aber auch ein unglaublich schwieriges. Es gab Auseinandersetzungen mit fast allen Päpsten.

DOMRADIO.DE: Mit welchem Papst hatte er besonders viele Auseinandersetzungen? 

Nersinger: Ich denke da an Julius II. Er war selbst eine sehr kraftvolle und bestimmende Persönlichkeit. Und wenn dann zwei derartige Leute aufeinandertreffen, ist das von vornherein nicht einfach. 

Michelangelo sah sich selbst in erster Linie als Bildhauer. Die Beschäftigung mit Marmor, aus dem er Kunstwerke schaffen konnte, war für ihn das Allerwichtigste. Aber der Papst war da sehr schwankend. 

Auf der einen Seite gab er ihm den Auftrag für ein Grabmal, und das war für Michelangelo eine sehr wichtige Aufgabe. Dann schwenkte der Papst aus finanziellen Erwägungen um und sagte, er solle die Sixtinische Kapelle ausmalen. Michelangelo sah sich nicht als Maler, aber der Papst zwang ihn dazu. 

"Michelangelo wollte das eigentlich nicht mitmachen, aber er kam nicht vom Papst los."

Dieser Zwang ist eigentlich etwas sehr Positives, wenn man das so sagen kann, weil er dadurch den Künstler fordert und alles aus ihm herausholt. Aber natürlich auch zu einem gewaltigen Preis. 

DOMRADIO.DE: Was war denn der Preis dieser Auseinandersetzungen? 

Nersinger: Der Papst bedrängte ihn, Michelangelo wollte sich aber nicht bedrängen lassen. Rom war damals oft von Intrigen und Auseinandersetzungen bestimmt. Michelangelo wollte das eigentlich nicht mitmachen, aber er kam nicht vom Papst los. Und der Papst war streng. Er sagte: Du stehst in meinem Auftrag. 

Denken wir an die Ausmalung der Decke. Das ist mit gewaltigen körperlichen Strapazen verbunden. Michelangelo lag praktisch auf dem Gerüst und musste diese Malereien in einer sehr ungewohnten körperlichen Stellung machen. Und das war für Michelangelo eine körperliche Qual. Diese Qualen dann in ein gewaltiges Kunstwerk umzusetzen, das ist natürlich ein Produkt dieser Auseinandersetzung mit den Päpsten. Die Päpste haben durch diesen Druck das künstlerisch Beste aus Michelangelo herausgeholt. 

DOMRADIO.DE: Also für die Kunstwelt könnte man als Fazit sagen, das Ringen hat sich gelohnt? 

Nersinger: Ich denke, vieles wäre nicht so entstanden, wenn es eine rein harmonische Beziehung gewesen wäre. Ich empfehle meistens diese Begebenheiten durch Biografien und zeitgenössische Quellen nachzulesen, aber ich rate in dem Fall auch einen Film zu schauen. 

Es gab 1965 einen Film mit Charles Heston und Rex Harrison. Und in diesem Film kommt sehr gut die ganze Problematik, das ganze Ringen der Päpste mit Michelangelo zu Tage. Er heißt "Michelangelo – Inferno und Ekstase". Da bekommt man sehr gut mit, wie sich das alles abgespielt hat.

Das Interview führte Tim Helssen.

Die Sixtinische Kapelle im Vatikan ist die Wahlstätte der Päpste. Sie gehört zum Weltkulturerbe der Unesco und ist als Teil der Vatikanischen Museen mit jährlich rund fünf Millionen Menschen eines der meistbesuchten Bauwerke der Welt. 


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Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
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Date: March 9, 2025 at 04:06PM
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