BIELEFELD. Wie gerecht nehmen Kinder und Jugendliche in Deutschland ihr Leben war? „Knapp 90 Prozent der Jugendlichen haben das Gefühl, normalerweise fair behandelt zu werden. Und mit Blick auf ihr Leben sind für 73 Prozent der Jugendlichen Ungerechtigkeiten eher die Ausnahme als die Regel. Allerdings erleben Jugendliche aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status häufiger Ungerechtigkeiten als Jugendliche aus Familien mit hohem.“ Auch Kinder haben mehrheitlich positives Bild von ihrem Leben: „Über 90 Prozent haben das Gefühl, in ihrem Leben passieren mehr gute als schlechte Dinge. Davon unterscheidet sich jedoch der Blick auf die gesamte Welt: Lediglich 37 Prozent sind der Meinung, auf der Welt passieren mehr schöne als schlechte Dinge.“ Das sind Ergebnisse einer aktuellen Sozialstudie.
Drei von vier Jugendlichen glauben, keinen Einfluss auf die Politik zu haben. Die meisten Jugendlichen sorgen sich besonders um die Älteren. Und: Es gibt große Unterschiede, wie Kinder und Jugendliche Gerechtigkeit in Deutschland wahrnehmen. Der sozioökonomische Status (SOES) der Eltern spielt hier eine maßgebliche Rolle. Dies hat aktuell die Sozialstudie 2023/24 zum Thema Gerechtigkeit ergeben, die im Auftrag der Bepanthen-Kinderförderung von der Universität Bielefeld durchgeführt wurde. Die Teilnahme von insgesamt 1.230 Kindern (6 bis 11 Jahre) und Jugendlichen (12 bis 16 Jahre) ermöglicht den Autor*innen zufolge ein repräsentatives Stimmungsbild. Auch die Erfahrungen im Bildungssystem wurden beleuchtet.
Der Großteil der Kinder und Jugendlichen – 78 Prozent – empfindet demnach die Schule als gerecht. Neun von zehn Schülerinnen und Schülern kommen gut mit ihren Lehrkräften und Mitschülern aus. Der Umgang zwischen den Schülerinnen und Schülern ist meist fair und die Mehrheit der Jugendlichen fühlt sich von Lehrern respektiert. Alles in allem empfindet etwa jedes fünfte Kind (22 Prozent) Ungerechtigkeit mit Blick auf die Schule. Die meisten Jugendlichen (76 Prozent) fühlen sich in ihrer Meinung von ihren Lehrkräften respektiert. Rund ein Drittel hat jedoch den Eindruck, den Lehrerinnen und Lehrern sei egal, wie es ihnen geht und fühlt sich gegenüber anderen Mitschülern benachteiligt.
Der sozioökonomische Status der Familien spielt dabei allerdings eine große Rolle: Ein niedriger SOES geht häufiger mit negativen und als ungerecht empfundenen schulischen Erfahrungen einher – sowohl mit Blick auf die freie Meinungsäußerung als auch hinsichtlich der Klassengemeinschaft und der Beziehung zu Lehrkräften und Mitschülern. So haben Jugendliche aus Elternhäusern mit niedrigem sozioökonomisch Status seltener einen positiven Eindruck von ihrer Klassengemeinschaft: Lediglich 67 Prozent sind der Meinung, die Schüler gehen fair miteinander um. Jugendliche aus Haushalten mit höherem SOES haben einen positiveren Eindruck: 84 Prozent nehmen einen fairen Umgang wahr. Auch haben Jugendliche mit niedrigem SOES seltener das Gefühl, dass sie in der Schule ihre Meinung frei äußern können (80 vs. 55 Prozent).
Deutlich wird auch: Das Demokratieverständnis von Jugendlichen – ob sie zufrieden oder unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland sind – geht mit der empfundenen Meinungsfreiheit einher. Jugendliche, die unzufrieden mit der Demokratie in Deutschland sind, fühlen sich in ihrer Meinungsfreiheit eher eingeschränkt: 42 Prozent haben das Gefühl, in der Schule die eigene Meinung nicht frei äußern zu können und 28 Prozent Fragen nicht offen stellen zu können. Bei Jugendlichen, die zufrieden mit der Demokratie sind, liegen die Anteile nur bei 23 bzw. 12 Prozent.
Viele Jugendliche fühlen sich machtlos und von der Politik unbeachtet
Ein weiteres zentrales Ergebnis der Befragung ist, dass die deutliche Mehrheit der Jugendlichen (78 Prozent) erlebt – trotz des Aufkommens von Bewegungen wie „Fridays for Future“ – keinen Einfluss darauf zu haben, was die Regierung macht. 72 Prozent der Jugendlichen sind davon überzeugt, dass sich Politikerinnen und Politiker in Deutschland nicht viel darum kümmern, was Jugendliche denken. Mehr als die Hälfte (57 Prozent) spricht ihnen sogar das Bemühen ab, die wichtigsten Probleme unserer Gesellschaft lösen zu wollen.
„Besonders überraschend ist, dass die Kinder und Jugendlichen ein differenziertes Bild davon haben, wie eine gerechte Gesellschaft aussieht, diese Komponenten in ihrer Lebensrealität aber gar nicht unbedingt wahrnehmen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Holger Ziegler von der Universität Bielefeld, und fügt hinzu: „Obwohl sie sich von der Gesellschaft und der Politik nicht genug gesehen fühlen, machen sie sich trotzdem auch Sorgen um andere Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner.“
Ziegler erklärt, dass die wichtigsten Ergebnisse mit folgenden Themen in Verbindung stehen: Förderung von Bildung, Inklusion, Herstellung von Chancengleichheit, Hilfe und Unterstützung für Alte und Arme. „Erschreckend ist, dass die Jugendlichen diese Aspekte in der Praxis wenig abgebildet sehen. In ihrer Wahrnehmung sind sie von der Politik ungesehen und ungehört,“ so Ziegler, Professor für Soziale Arbeit.
Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status (SOES) geben an, dass sie in ihrem Leben deutlich mehr Ungerechtigkeit erleben als solche mit einem höheren SOES. 37 Prozent der Jugendlichen aus Haushalten mit niedrigem SOES empfinden Ungerechtigkeit als die Norm in ihrem Leben, während sich diese Zahl bei denen mit einem hohen SOES halbiert (18 Prozent). Das zeigt sich auch schon bei den befragten Kindern von sechs bis 11 Jahren: Kommen sie aus einer Familie mit einem hohen SOES, erleben 14 Prozent Deutschland als „sehr“ oder „eher“ ungerecht, bei niedrigem SOES erhöht sich dieser Anteil auf 59 Prozent.
Die vorliegende Studie zeigt, 65 Prozent der Jugendlichen empfinden, dass für Rentnerinnen und Rentner zu wenig getan wird. „Das Vorurteil gegenüber der jungen Generation, diese ‚würde sich nur für sich selbst interessieren‘, können in unserer Studie keinesfalls bestätigt werden“, so Ziegler. Die anderen Bereiche, die für die Jugendlichen in diesem Zusammenhang besonders wichtig sind, lauten „gleiche Lebensbedingungen“ und „Bildung“ (beides 62 Prozent), sowie „Arme“ und „Gleichverteilung von Vermögen und Einkommen“ mit jeweils 61 Prozent. „Umwelt & Klima“ landen mit 50 Prozent auf dem neunten Platz. Diese Ergebnisse spiegeln sich auch bei den befragten Kindern wider. Sie haben bereits ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, wenn es um andere geht: 83 Prozent geben an, „sie werden wütend“, wenn andere ungerecht behandelt werden. News4teachers
Hier stehen die vollständigen Studienergebnisse der Sozialstudie Gerechtigkeit zum Download parat.
Title: Sozialstudie: Ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland meint, ihren Lehrkräften sei es egal, wie es ihnen geht
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Date: July 2, 2024 at 05:26PM
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