Es war vor allem ein Fest der Begegnung junger Menschen aus vielen Nationen und es war das erste katholische Großereignis in diesem Halbjahr. Papst Franziskus fand bei der Willkommenszeremonie starke Worte: „In der Kirche ist Platz für alle. Gott liebt uns so, wie wir sind, nicht so, wie wir gerne wären oder wie die Gesellschaft uns gerne hätte.“ Diese Botschaft berührte und kam bei den Zuhörenden an. Als der Papst die Menge aufforderte, gemeinsam „Todos!“ zu rufen, da war dieses „Alle!“ weit über den Platz hinaus zu hören. Hatte der Papst die Weltsynode im Blick, als er zu diesen Rufen aufforderte? Sollten die begeisterten „Todos!“-Rufe bis nach Rom zu hören sein?
In Lissabon zeigte sich einmal mehr, dass Kirche in der Postmoderne ein Raum voller Widersprüche, fast unüberbrückbarer Gegensätze ist. So wurden Menschen, die Regenbogenflaggen bei sich trugen, von anderen Personen verbal oder sogar handgreiflich angegangen. An einem Vormittag stand die gemeinsame Feier der Eucharistie in Frage, nachdem in einer vorhergehenden Katechese kontroverse Standpunkte zur Rolle von Frauen und homosexuellen Menschen zur Sprache gekommen waren. In einer anderen Messfeier wurden Gläubige von einem Priester zur Mundkommunion genötigt, beziehungsweise ihnen wurde die Handkommunion verweigert. Solche Erfahrungen hinterlassen – zurückhaltend formuliert – einen äußerst bitteren Beigeschmack und erfordern eine kritische Aufarbeitung durch die Verantwortlichen. Zugleich verweisen diese Erfahrungen auf sehr gewichtige theologische Fragestellungen, die uns sicher bei der Weltsynode wieder begegnen werden. Um nur zwei zu nennen: Wie lässt sich das katholische Prinzip der Einheit in Vielfalt angesichts solcher innerkirchlicher Differenzerfahrungen adäquat weiterentwickeln? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der grundsätzlichen Anerkennung „aller“ für synodale Entscheidungsprozesse in der Kirche?
Als Segen erwies sich das erstmals bei einem Weltjugendtag eingerichtete Pilgerzentrum der deutschen Bischofskonferenz. Zum einen, weil es ein Ort der Ruhe und der Besinnung war. Zum anderen, weil es Raum für kritische Themen bot. Angesichts sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung in der Kirche thematisierten viele Frust und Enttäuschung und berichteten, nicht zu wissen, wie lange sie noch in dieser Kirche bleiben können. Gut besucht waren Debatten über notwendige systemische Reformen, besonders im Blick auf Machtstrukturen, die Anerkennung queerer Menschen und die Gleichberechtigung von Frauen und nonbinären Personen. Im Pilgerzentrum waren auch viele junge Menschen anzutreffen, denen die christliche Vision einer gerechteren und solidarischen Welt wichtig ist.
Bemerkenswert war, wie der Papst mit Bezug auf das Motto des Weltjugendtags von Maria als der Frau sprach, die sich beeilt, und dass sie darin ein Glaubensvorbild sei. Beim Abschlussgottesdienst knüpfte er daran an und ermutigte mit den Worten „Habt keine Angst. Vorwärts!“ zum furchtlosen Vorangehen. Ob Papst Franziskus an dieser Stelle auch die vielen Kleriker im Blick hatte, die vor ihm saßen? Nach dem Weltjugendtag in Lissabon jedenfalls erwarten viele junge Menschen vom nächsten katholischen Großereignis vor allem solch starke Worte und weniger verpasste Chancen.
Title: Starke Worte, verpasste Chancen: Weltjugendtag 2023
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Date: August 11, 2023 at 02:18PM
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