Trugbild: Die Vermüllung der Welt

Das Netz verschmutzt. Und die schiere Menge an digitalem Müll, der unser Geist täglich ausgesetzt ist, hinterlässt Spuren.

Ein Bild auf der Grundlage des Gemäldes "Der Mönch am Meer" von Caspar David Friedrich. es zeigt eine Person, die am Meer steht und auf den Horizont blickt
Der Müll am Meer – Public Domain Vincent Först mit Midjourney

Bei einem Spaziergang am Strand fand ich einen von der Sonne gebleichten Plastikbrocken. Das spröde Material ließ eine helle Pulverspur auf meiner Haut zurück – und einen Gedanken: Ein System, das die physische Welt derart nachhaltig verschmutzt, muss zwangsläufig auch Spuren in unserem Geist hinterlassen.

Forscher haben Mikroplastik in den Tiefen des Marianengrabens gefunden. Und auf den Eisschollen der Antarktis. Selbst der menschliche Körper ist mit den mikroskopisch kleinen Kunststoffteilchen belastet. Im Gehirn ist die Konzentration bis zu zwanzig Mal höher als in anderen Organen.

Auch in der Netzwelt gibt es kaum noch müllfreie Orte. Sie ist voll mit billigem Content, mit Werbung und Produktplatzierungen. Unser Geist, wo sich all das zunächst unbemerkt und dafür umso hartnäckiger festsetzt, ist dem Cybermüll relativ schutzlos ausgesetzt. Und die Folgen sind deutlich und überall spürbar.

Einseitige Assoziationen

Zum Beispiel auf Instagram. In einem Trainingsvideo für Bauchmuskeln führen vier professionelle Fitness-Coaches die Übungen aus. Drei Männer mit dunkler, eine Frau mit heller Haut. In der Kommentarspalte spucken zahlreiche Zuschauer ihre erste und vielleicht einzige Assoziation zu dem Video aus: „BLACKED“. Das ist der Markenname eines bekannten „Interracial“-Pornoformates.

Ginge es den Kommentatoren beim Anblick sich bewegender und verschwitzter Körper erst einmal nur um Sex, wäre das noch nachvollziehbar. Allerdings hat der Pornokonsum offenbar die Vorstellung von Sex durch ein Abbild dessen ersetzt – vorgeführt von BLACKED und dem größten Teil der Mainstream-Pornografie.

Die Inszenierung der Inszenierung

Derweil spielen zahlreiche Content Creator virale Trends nach, ohne ihnen einen eigenen Gedanken oder Twist hinzuzufügen. Als Vorlage dient hier beispielsweise die Inszenierung der inszenierten „Morning Routine“ des Fitness-Influencers Ashton Hall, der im Rahmen seiner Videos riesige Mengen an teurem Markenwasser (rund 3 Euro pro Flasche) konsumiert.

In fortlaufenden Referenzschleifen produzieren andere Influencer Nachahmungen dieser Inszenierung, die vor allem deshalb Anklang finden, weil das ihnen zugrundeliegende Muster vertraut ist und unverändert bleibt. Die Creator folgen dabei der Logik eines weisen Sprichworts: „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Produziert und konsumiert wird nur das, was ohnehin schon bekannt ist.

Click- und Rage-Bait

Influencer wie Humphrey Yang nutzen hingegen Click-Bait-Überschriften, um die Aufmerksamkeit der Nutzer auf sich zu ziehen. Dem ehemaligen „Finanzberater“ folgen knapp zwei Millionen Menschen auf YouTube. Auf dem Vorschaubild eines Videos thront der Schriftzug „DAS MACHT DICH ARM“, darunter steht ein Auto in Flammen. Das Video selbst ist als „Der #1 Wohlstandskiller, über den niemand redet“ betitelt.

Andere Creator betreiben sogenannten Rage-Bait. Sie wollen die Zuschauer gezielt wütend machen, um das Engagement mit ihren Videos zu steigern. Das geschieht oft subtil. Etwa wenn Ashton Hall eine seiner Markenwasser-Flaschen zerbricht und eine gesichtslose Hand hinter ihm die Splitter wegräumt. Der Top-Kommentar unter dem Video lautet: „Du brauchtest jemanden anderen, um die zerbrochene Flasche für dich aufzuheben?“

Auf Kosten der Nutzer

Erregung und Empörung sichern den Plattformen ihre Profite. Sie werden daher auch weiterhin Müll in Form von billigen Bildern und Werbung in die Feeds spülen, der sich unter die Nachrichten und Bilder von Freunden oder Familie und die schönen Dinge im Allgemeinen mischt.

Den Taschenspielertricks des Marketings entkommen die Nutzer dabei kaum noch. Selbst die Supermarktkette Rewe baut subtile Stöhngeräusche in Kochtutorials für vegetarische „Buffalo Wings“ ein, um dem überreizten wie abgestumpften Zuschauer das letzte Quäntchen Aufmerksamkeit abzuluchsen.

Wer nun das Argument in die Runde schmeißt „Niemand muss soziale Medien nutzen“, verkennt das Problem. Soziale Medien sind für viele Menschen keine Beiläufigkeit, sondern Lebensräume, in denen ein essenzieller Teil ihres Alltags stattfindet und der ihnen den Kontakt mit der Gesellschaft ermöglicht. Nur weil ich auf dem Weg zu meiner Lieblingsbar den Potsdamer Platz mit seinem „Boulevard der Stars“ überqueren muss, kehre ich ja auch nicht der gesamten Stadt den Rücken.

Mehr Selbstbestimmung

Das Problem liegt anderswo: Für ihre Nutzer bieten die Plattformen nur spärliche Möglichkeiten der Personalisierung und erst recht kein Mitspracherecht. Warum gibt es kein individuell anpassbares Feed-Limit, das dem endlosen Scrollen ein Ende setzt? Und warum kann ich die For-You-Pages von TikTok und Instagram nicht einfach abschalten?

Mehr Selbstbestimmung würde uns eine Balance ermöglichen zwischen der Betrachtung von eher poppigen Kurzvideos und gedankenvoll produziertem Content – ohne dass wir erst noch knietief durch eine Müllhalde aus penetranter Werbung und digitalen Wegwerfinhalten waten müssten, was uns Aufmerksamkeit und Selbstachtung raubt.

Leider können wir heute an keinem Strand der Welt mehr entlanggehen, ohne auf Plastik zu stoßen. Und das wird die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte wohl auch so bleiben. Im Netz aber haben wir eine Wahl. Eine weniger vermüllte und lebenswertere Welt wäre dort noch möglich.


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.


Title: Trugbild: Die Vermüllung der Welt
URL: https://netzpolitik.org/2025/trugbild-die-vermuellung-der-welt/
Source: netzpolitik.org
Source URL: https://netzpolitik.org
Date: April 6, 2025 at 07:13AM
Feedly Board(s): Verschiedenes