„Türen öffnen“ / Ein neuer Chef und Kurs für die römische Glaubensbehörde

Schon in den ersten Monaten des Pontifikats von Papst Franziskus wurde berichtet, er habe sich bei einem Treffen mit progressiven Ordensleuten aus Lateinamerika in folgender Weise über die Oberste Glaubensbehörde im Vatikan geäußert: Wenn sie von dort aufgefordert würden, ihr Reden und Handeln zu rechtfertigen, dann sollten sie erklären, was sie tun, aber dennoch weitermachen und „Türen öffnen“. 

Abschied vom alten Denken

Schon damals war klar, dass der Papst aus Südamerika die Vatikanbehörde, die unter Kardinal Joseph Ratzinger und seinen Nachfolgern die Grenzlinie zwischen katholischer Glaubenslehre und Häresien klar und scharf zu markieren versuchte, in einem anderen Licht sah als seine Vorgänger. Der Abschied vom alten Denken der „Grenzpatrouille der katholischen Kirche“ – so die Bezeichnung durch den amerikanischen Vatikanexperten John Allen – ging danach Schritt für Schritt voran.

Erst schickte Franziskus den noch von Ratzinger ernannten Präfekten Gerhard Ludwig Müller 2017 in den Ruhestand. Sein Nachfolger Luis Ladaria war immerhin Jesuit, aber auch er stammte noch aus der Ära Ratzinger und war, wie die deutschen Bischöfe bei ihrem Ad-limina-Besuch 2022 erfahren konnten, ein Verfechter klarer Prinzipien. Seine theologisch begründete Absage an zentrale Ideen des Synodalen Wegs ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.  

Franziskus war – anders als angekündigt – nicht anwesend, als Ladaria den Deutschen die Leviten las. Ob der Papst in diesen Punkten seinem damaligen Chef-Dogmatiker zustimmte oder nicht, bleibt deshalb eine offene Frage. Ziemlich deutlich ist hingegen, wie sich der Pontifex die Rolle der Glaubensbehörde in der Ära nach Ladaria vorstellt. Er hat dies in mehreren Schritten klargemacht.

Neuordnung der Behörde

Am 14. Februar 2022 ordnete er die Zuständigkeiten und Strukturen in der Behörde neu. Über die Abteilung, die den Glauben schützen soll, heißt es in dem damaligen Schreiben „Fidem servare“: „Die Lehrabteilung befasst sich mit Angelegenheiten, die mit der Förderung und dem Schutz der Glaubens- und Sittenlehre zusammenhängen. Sie fördert auch Studien, die darauf abzielen, das Verständnis und die Weitergabe des Glaubens im Dienst der Evangelisierung zu vertiefen (…) insbesondere angesichts der Fragen, die sich aus dem Fortschritt der Wissenschaft und der Entwicklung der Gesellschaft ergeben.

Was den Glauben und die Sitten anbelangt, so bereitet die Sektion die Prüfung der Dokumente vor, die von anderen Dikasterien der Römischen Kurie veröffentlicht werden sollen.“ Ferner bereitet sie die Prüfung von „Schriften und Meinungen vor, die für den rechten Glauben problematisch erscheinen, indem sie den Dialog mit ihren Verfassern fördert und geeignete Abhilfemaßnahmen (…) vorschlägt.“

In der sechs Wochen später veröffentlichten, aber vermutlich deutlich früher formulierten Aufgabenbeschreibung des Glaubensdikasteriums im Rahmen der Kurienreform finden sich im Dokument „Praedicate evangelium“ etwas andere Formulierungen, die – neben dem offenen Dialog mit der zeitgenössischen Wissenschaft – noch stärker die alten „Abwehr-Strategien“ aus der Ratzinger-Ära aufscheinen lassen.

Dort heißt es: „Das Dikasterium hat die Aufgabe, den Papst und die Bischöfe bei der Verkündigung des Evangeliums zu unterstützen, indem es die Unversehrtheit der katholischen Glaubens- und Sittenlehre fördert und schützt. (…) Um die Wahrheit des Glaubens und die Unversehrtheit der Moral zu bewahren, kommt es der Sektion für die Lehre zu: 1. Schriften und Meinungen zu prüfen, die dem rechten Glauben und den guten Sitten zuwiderlaufen oder sie verletzen; sie sucht gemäß ihren eigenen Normen den Dialog mit den Verfassern und legt die geeigneten Abhilfemöglichkeiten vor, die einzusetzen sind. 2. Dafür zu sorgen, dass es nicht an einer geeigneten Widerlegung falscher und gefährlicher Lehren fehlt, die unter dem christlichen Volk verbreitet werden.“

Mehr Dialog und weniger Abgrenzung

Mit der Ernennung des Argentiniers Victor Fernandez, des ersten lateinamerikanischen Glaubenspräfekten in der Geschichte der katholischen Kirche, hat Papst Franziskus dann auch personell einen Neuanfang markiert. Als „Begleitschreiben“ hat er ihm in einem vom vatikanischen Presseamt veröffentlichten Brief zusätzlich eine neue Aufgabenbeschreibung mitgegeben, die noch mehr auf Dialog und weniger auf Abgrenzung zielt.

Darin heißt es: „Wir brauchen eine Theologie, die auf ein grundlegendes Kriterium achtet: zu bedenken, dass ‚alle theologischen Vorstellungen, die letztlich die Allmacht Gottes selbst und insbesondere seine Barmherzigkeit in Frage stellen, unzureichend sind‘. Wir brauchen eine Denkweise, die überzeugend einen Gott darstellen kann, der liebt, der vergibt, der rettet, der befreit, der die Menschen fördert und sie zum brüderlichen Dienst ruft.“

Und weiter schreibt der Papst seinem Landsmann: „Du weißt ja genau, dass es eine harmonische Ordnung zwischen den Wahrheiten unserer Botschaft gibt und dass die größte Gefahr darin besteht, dass nachgeordnete Themen die zentralen Themen überschatten.“ Ergänzt wurde dies durch einen Brief, den der frische Ernannte an all seine Bistumsangehörigen in La Plata schrieb. Darin betont Fernandez: „Franziskus hat mir geschrieben, die beste Weise, die Glaubenslehre zu bewahren, ist es, unser Verständnis von ihr wachsen zu lassen“, denn „ein harmonisches Wachstum wird die christliche Lehre wirksamer bewahren als jeglicher Kontroll-Mechanismus“.

Ermittlung gegen Missbrauchspriester nimmt Erzbischof Scicluna ab

Ganz nebenbei enthüllte Fernandez in dem Brief an die Gläubigen seines Bistums auch noch, dass der Papst ihm eine für ihn angenehme Dienstwohnung im Vatikan überlassen will: Da er als Mensch vom Land unbedingt ein Zimmer mit Aussicht ins Grüne brauche, habe der Papst ihm eine Dienstwohnung mit einer schönen Terrasse an den vatikanischen Gärten zugesagt. „Daran erkennt ihr die Einfühlsamkeit und die lebende Fürsorge von Papst Franziskus.“ 

Auch in einem anderen Punkt kam der Papst dem 26 Jahre jüngeren Theologen entgegen. Denn Fernandez hatte nach eigener Aussage zunächst die Ernennung glatt abgelehnt – nicht zuletzt deshalb, weil zu seiner neuen Behörde neben der Lehrabteilung auch eine große Abteilung gehört, die sich mit der Ermittlung gegen und der Bestrafung von Missbrauchspriestern befasst.  

Mit der Leitung dieser Behörde fühlte sich Fernandez, der kaum kirchenrechtliche Vorbildung aufzuweisen hat, überfordert. Ob dabei auch Erfahrungen aus seiner Amtszeit als Erzbischof von La Plata eine Rolle spielten, wo er laut argentinischen Medienberichten im Umgang mit mehreren Missbrauchspriestern gravierende Fehler machte, ließ er offen.  

Papst Franziskus fand für das Problem eine pragmatische Lösung. Er sicherte Fernandez zu, dass die dem erfahrenen maltesischen Erzbischof Charles Scicluna unterstehende Sektion zum Thema Missbrauch weitgehend autonom arbeite, so dass sich Fernandez voll der „Vertiefung der Glaubenswahrheiten und dem Studium der großen Themen im Dialog mit der Welt und den Wissenschaften“ widmen könne. Das ist, wie Fernandez über sich selbst schreibt, eine „Aufgabe, die mich fasziniert und für die ich mich geeignet fühle wie ein Fisch im Wasser“.

Die Glaubenskongregation ist die älteste und in dogmatischen Fragen höchste vatikanische Kurienbehörde. 1542 unter Papst Paul III. als „Kongregation der Römischen und Universalen Inquisition“ ins Leben gerufen, sollte sie nach der Reformation den katholischen Glauben rein erhalten, Glaubensverstöße untersuchen und gegebenenfalls bestrafen. 1908 wurde die Inquisitions-Kongregation zum „Heiligen Offizium“.



Title: „Türen öffnen“ / Ein neuer Chef und Kurs für die römische Glaubensbehörde
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Date: July 5, 2023 at 03:09PM
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