Zum Apostolischen Schreiben Laudate Deum von Papst Franziskus.
Acht Jahre nach der Veröffentlichung der epochalen Enzyklika Laudato si (2015) redet Papst Franziskus der Welt neuerlich ins Gewissen. Es drängt ihn seine tiefe Besorgnis um den Erhalt unseres gemeinsamen Hauses. Auf den Klimawandel, in welchem er eine der größten Herausforderungen für die globale Gemeinschaft sieht, werde in fahrlässiger Weise unzulänglich reagiert. Das werde unvorhersehbare ökologische und soziale Folgen zeitigen, vor allem für die am meisten gefährdeten Menschen.
Fundierte Diagnose
Wie schon in Laudato si setzt der Papst an den Beginn eine fundierte Diagnose der Lage des Weltklimas. Er stützt sich dabei auf die neuesten Berichte des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) aus den Jahren 2021 und 2023, denen rund 34.000 wissenschaftliche Studien zugrunde liegen. Aus diesen übernimmt er den „sense of urgency“ – die hohe Dringlichkeit, mit der umgehend gehandelt werden müsse. Denn die Welt steuere auf kritische Kipppunkte zu; diese sind „für mindestens Hunderte von Jahren unumkehrbar“: das Ansteigen der Temperatur der Ozeane, das Abschmelzen der Pole, das Schmelzen der Eisschilde, die Veränderung der Meeresströmungen, das Abholzen der tropischen Regenwälder und das Auftauen des Permafrostbodens in Russland“ (15).
Leugner und Spötter
In scharfen Worten zeigt der Papst Unverständnis gegenüber jenen, welche den „anthropogenen“, also von Menschen verursachten Klimawandel leugnen. Solche unerleuchtete Leugner ortet er auch in der katholischen Kirche (14). Neben dem Leugnen stört den Papst auch ein unverantwortlicher Spott, der dieses Thema als etwas bloß Ökologisches, „Grünes“, Romantisches darstellt, das oft von wirtschaftlichen Interessen ins Lächerliche gezogen wird: „Geben wir endlich zu, dass es sich um ein in vielerlei Hinsicht menschliches und soziales Problem handelt.“ (58)
Auf der Suche nach den Ursachen
Treu bleibt sich Papst Franziskus bei der Suche nach den Ursachen des Klimanotstandes. Es ist das „wachsende technokratische Paradigma“. Ein wichtiger Baustein ist „die Idee eines unendlichen und grenzenlosen Wachstums, das die Ökonomen, Finanzexperten und Technologen so sehr begeisterte“ (20). Künstliche Intelligenz treibe diese Idee mit der „Vorstellung eines Menschen ohne jegliche Grenzen aus, dessen Fähigkeiten und Möglichkeiten dank der Technologie bis ins Unendliche erweitert werden“ (22), noch auf die Spitze. Diese Überlegungen erinnern an Horst Eberhard Richters Begriff vom „Gotteskomplex“, also dem Versuch, die menschliche Macht über alles Vorstellbare hinaus zu steigern. Tatsächlich, so der Papst, hatte die Menschheit noch nie so viel Macht über sich selbst, um dann besorgt fortzufahren: „Nichts kann garantieren, dass sie diese gut gebrauchen wird“. „Denn ein Mensch, der sich anmaßt, sich an die Stelle Gottes zu setzen, wird zur schlimmsten Gefahr für sich selbst.“ – ein Satz, mit dem das prophetisch warnende Apostolische Schreiben schließt. (73)
„Multilaterialismus von unten“
Der Papst diagnostiziert nicht nur, sondern sucht nach Auswegen. Hier nimmt er die Einzelnen und ihre Familien in den Blick, verlangt aber auch eine ökologische Umkehr der Gesellschaften und Kulturen. Er setzt dabei nicht nur auf die alte Diplomatie, sondern auch einen neu konfigurierte „Multilateralismus von unten“. Die Zivilgesellschaft müsse einbezogen werden, auch um die politisch Verantwortlichen zu bewegen und zu kontrollieren.
Wirksame Weltklimapolitik
Weil die Klimakrise global ist, muss an ihr auch global gearbeitet werden. Seit der Klimakonferenz in Rio de Janeiro 1992 wurde eine Reihe von weitere Konferenzen abgehalten, an denen sich 190 Nationen beteiligten. Der Papst bescheinigt ihnen ernsthaftes Bemühen und auch Erfolge, spart aber auch nicht mit Kritik am mangelnden Mut und vor allem an fehlendem Durchsetzungsvermögen. Es müsse daher eine Weltorganisation „mit echter Autorität ausgestattet sein, um die Erfüllung bestimmter unverzichtbarer Ziele zu gewährleisten“.
Mit Blick auf die kommende Klimakonferenz in Dubai (COP28) wird der Papst erstaunlich konkret. Der Leser kommt sich vor wie in die kommenden Verhandlungen versetzt. Der Papst erwartet, dass die Konferenz zu einer „deutlichen Beschleunigung der Energiewende mit wirksamen Verpflichtungen“ führt, also „verbindliche Formen der Energiewende, die drei Merkmale aufweisen sollten: dass sie effizient sind, dass sie verpflichtend sind und dass sie leicht überwacht werden können“. Man hat dabei den Eindruck, dass angesichts der Dringlichkeit der Ökologie die Ökonomie wie auch die Sozialpolitik zurückstehen müssen. Umweltpolitiker werden dem Papst euphorisch zustimmen, manche Wirtschafts- und Sozialpolitiker hingegen werden seine Vorschläge kopfschüttelnd als undurchführbar ablehnen.
Laudate Deum
Die bisher genannten Überlegungen sind alle Menschen guten Willens gerichtet. Ein abschließender Teil des Apostolischen Schreibens hat katholische Adressaten. Diese will der Papst geistlich motivieren, sich ökologisch einzusetzen. Gott gehöre die Erde. Der Mensch habe die empfindlichen Gleichgewichte unter den Geschöpfen auf dieser Welt zu respektieren. Um das Verhältnis zwischen Menschen und Natur zu beschreiben, verwendet der Papst den Begriff eines „situierten Anthropozentrismus“ (67): Wir Menschen müssen anerkennen, dass das menschliche Leben ohne andere Lebewesen nicht verstanden und gelebt werden kann.
Der Papst will aber nicht nur ein ökologisches Umdenken anstoßen. Es geht ihm viel tiefer um den Lobpreis Gottes, der unser Handeln beflügeln kann. Daher lautet auch der Name des Apostolischen Schreibens: „Laudate Deum“: „Die Welt lässt ein Lied unendlicher Liebe erklingen, wie könnten wir nicht für sie sorgen?“ (65)
Der weite Weg vom Einsehen zum Handeln
Bleibt die Frage, ob diese gut begründeten und eindringlich starken Worte des Papstes entsprechendes Handeln bewirken werden. Der Weg vom Einsehen zum Handeln ist vielfach weit. Auch und gerade in ökologischen Belangen. Dessen scheint sich der Papst bewusst zu sein, was ihn zum Appell veranlasst: „Wir müssen diese Logik überwinden, dass wir einerseits ein Problembewusstsein an den Tag legen und gleichzeitig nicht den Mut haben, wesentliche
Title: Unleugbare Dringlichkeit
URL: https://zulehner.wordpress.com/2023/10/04/unleugbare-dringlichkeit/
Source: REL ::: Paul M. Zulehner
Source URL: https://zulehner.wordpress.com
Date: October 4, 2023 at 01:03PM
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