Unser Sonntag: Der verschwenderische Vater?

In diesem Kommentar geht Nadja El Beheiri der Frage nach, ob der Sohn oder Vater verschwenderisch sind. Sie erläutert die damalige rechtliche Möglichkeit der Emanzipation und für uns stellt sich die Frage, welche Lehre wir aus dem Gleichnis ziehen.

Prof. Nadja El Beheiri

Laetare 2025, Lk 15, 1-3. 11-32

Heute ist der vierte Sonntag der Fastenzeit. Dieser Sonntag trägt traditionell den Namen Laetare. Der Eröffnungsvers der Heiligen Messe lautet: Freu dich, Stadt Jerusalem und weiter Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung.

Gott begegnet dem sündigen Menschen

Das von Jesus erzählte Gleichnis dient als eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Gott dem sündigen Menschen in seiner Barmherzigkeit begegnet, um Trost und Hoffnung zu spenden. Ein Zeugnis seiner Barmherzigkeit – auf lateinisch misericordia. Der Antike Philosoph Cicero definiert misericordia als das Leiden angesichts der Not eines anderen. Im Wortstamm finden wir aber auch das Wort cor – Herz. Barmherzigkeit steht also für die Hinwendung des Herzens zur leidenden Person.

„Das Suchen der Sünder und auch das Murren der Pharisäer sind fortdauernde Prozesse“

Die Erzählung richtet sich sowohl an die Sünder, die Jesus suchten, als auch an die murrenden Pharisäer, die sich ihm verschlossen halten. Die grammatische Konstruktion im griechischen Text verdeutlicht, dass sowohl das Suchen der Sünder als auch das Murren der Pharisäer als fortdauernde Prozesse verstanden werden müssen. Das Gleichnis des heutigen Sonntages ist weithin bekannt unter dem Titel der „Verlorene Sohn”, mehr als „verloren” war der Sohn wohl verschwenderisch – so dass auch der Titel „Verschwenderische Sohn” gebraucht wurde. Im Mittelpunkt der Erzählung steht auf der anderen Seite der barmherzige Vater. Seine Barmherzigkeit grenzt an Verschwendung – sodass auch der Vorschlag gemacht wurde, das Gleichnis unter dem Titel „der verschwenderische Vater” zu führen.

Emanzipation: Auszahlung des Erbes

Der Sohn verlangte die Auszahlung seines Erbes und verläßt das väterliche Haus. Rein juristisch handelt es sich bei diesem Vorgang um eine sogenannte Empanzipation, die im römischen Recht zur Zeit Jesu keine Seltenheit war. Die Kinder – männlichen und weiblichen Geschlechts eines pater familias – eines Hausvaters – standen solange dieser lebte unter seiner Gewalt und bildeten mit ihm eine Vermögensgemeinschaft. Alles, was sie zu dieser Zeit erwarben, wurde Teil des gemeinsamen Vermögens, auf das ihnen eine latente Anwartschaft zustand. Starb der Hausvater traten – sofern er in einem Testament nichts anderes bestimmt hatte – all jene Mitglieder der Familie an seine Stelle, die mit seinem Tod aus der väterlichen Gewalt ausschieden und gewaltfrei wurden. Diese Erben bildeten dann eine Gemeinschaft unter Gleichen. Ziel war es das familiäre Vermögen beisammen zu halten.

Riskante Geschäftsideen führen zur Emanzipation

Emanzipationen wurden gelegentlich auch aus rein wirtschaftlichen Gründen vorgenommen, etwa wenn ein Sohn eine riskante Geschäftsidee hatte und man mit dieser nicht das gesamte Vermögen der Familie gefährden wollte. Zum Zeitpunkt der Emanzipation wurde dem aus dem Hausverband ausscheidenden Teil in der Regel das Erbteil ausbezahlt. Beim Tod des Vaters konnte der ausgeschiedene unter Umständen noch erben, musste aber alles was er zum Zeitpunkt der Emanzipation erhalten und auch was er seitdem erworben hatte, in die Erbmasse einbringen. Wir sehen also, dass das familiäre Vermögensrecht grundsätzlich von den Werten des Zusammenhalts und der Einheit geprägt war.

Der verlorene Sohn war egoistisch, gelangweilt oder rebellisch

Im Gleichnis kann von wirtschaftlichen Überlegungen für die Emanzipation nicht die Rede sein. Der Beweggrund des Sohnes war Egoismus, vielleicht auch Langeweile oder Rebellion. Der junge Mann zog also in ein fernes Land. In der Tradition der Kirche hat man unter dem fernen Land oftmals das Land der Heiden verstanden, worauf auch die spätere Erwähnung der Schweinezucht hinweist. Augustinus deutete das ferne Land als das Reich der Sünde, der Entfernung von Gott. In dem fernen Land verschleuderte er sein Vermögen innerhalb kürzester Zeit, außerdem brach eine Hungersnot aus.

Hungersnot: Symbol für die Sehnsucht nach Gott

Diese Hungersnot kann als Symbol für die Sehnsucht nach Gott verstanden werden, die in allen Menschen wohnt und sich heute besonders häufig auch in Menschen ferner Länder zeigt. Der Sohn versuchte sich zuerst als Schweinehüter, was für einen gläubigen Juden, den tiefsten nur vorstellbaren Abgrund symbolisierte. Doch dann entschloss er sich dazu, wieder zum Vater zurückzukehren. Dabei dachte er nicht daran, wieder in das Haus des Vaters aufgenommen zu werden. Das Evangelium sagt, er wollte ein Tagelöhner – Mietarbeiter – werden. Dabei handelte sich um Arbeiter, die zwar freie Menschen waren, aber einer sozial unteren Schicht angehörten und oft auch nur mit Tagesverträgen zu einer Pauschale arbeiteten. Doch der Vater wartete bereits auf ihn. Er ließ nicht einmal sein Sündenbekenntnis – ich habe mich versündigt gegen den Himmel und Dich – zu Ende sprechen, sondern zog ihm das beste Gewand an, steckte ihm einen Ring an den Finger und nahm ihn damit wieder vollständig in die Hausgemeinschaft auf.

„Der große Papst Johannes Paul II. hat im Jahre 1980 seine zweite Enzyklika der Barmherzigkeit Gottes gewidmet“

Der große Papst Johannes Paul II. hat im Jahre 1980 seine zweite Enzyklika der Barmherzigkeit Gottes gewidmet. Sie erschien unter dem Titel – dives in misericordia – reich an Barmherzigkeit. Barmherzigkeit – so der Papst – hat seine Wurzel in der Liebe des Vaters zu seinem Sohn. Indem der Vater dem Sohn Barmherzigkeit erweist ist er sich selbst treu. Grundlage für die Zuwendung des Vaters ist die in der Gottesebenbildlichkeit wurzelnde Würde des Sohnes. Diese den Menschen auf eine übernatürliche Ebene erhebende Würde geht durch die Sünde verloren. Der Satz, dass der Sohn nicht einmal die für die Schweine bestimmte Nahrung fand, verdeutlicht dies in eindrucksvoller Weise. Trotzdem lässt der Vater den Sohn auch in dieser Situation nicht alleine und so formuliert Johannes Paul II., dass die Wirklichkeit der Bekehrung Zeugnis für das Wirken der Liebe und der Gegenwart des Gottes in der Welt ist.

Die Empörung des zweiten Sohnes

Im Gleichnis kommt jedoch auch der zweite Sohn zu Wort. Er ist über das Verhalten des Vaters empört. Sein Sinn für Gerechtigkeit scheint durch die Rückkehr seines Bruders zu tiefst verletzt. Ist er seinem Vater nicht immer treu gewesen, hat mit ihm gemeinsam die Härten des Lebens getragen. Wahrscheinlich auch viele Opfer für das gemeinsame Eigentum auf sich genommen. Doch fehlte diesem zweiten Sohn in seinem Leben des Dienstes die Freude. Freude ist eine grundlegende und zugleich wichtige Tugend im Dienst Gottes. Wenn sie fehlt, lohnt es sich, diesem Mangel auf den Grund zu gehen. Die Ursache kann in einer physischen oder psychischen Krankheit liegen, doch ebenso ein Zeichen für eine falsche Haltung im Dienst an Gott sein.

„Die Rückkehr bedeutet für den älteren Bruder eine finanzielle Einbuße“

Richten wir unseren Blick erneut auf den zweiten Sohn. Man seiner Empörung zunächst zustimmen. Sein Bruder hat sein Erbe erhalten, hat seine Chance auf ein Leben nach seinen Vorstellungen gehabt. Seine Rückkehr bedeutet für den älteren Bruder eine finanzielle Einbuße und auch einen Verlust an Lebensraum. Wird doch von ihm erwartet, dass er das gemeinsame Eigentum nun mit seinem jüngeren Bruder weiterführt. Die Barmherzigkeit und das Vergeben des Vaters entfalten auch im Leben des Bruders – ja im Leben der Gemeinschaft – ihre Wirkung. Auch der Bruder ist aufgerufen, zu verzeihen.

Alles was mein ist, ist auch dein

Das Wort des Vaters alles was mein ist, ist auch dein kann auch in diesem Sinne verstanden werden. Der heilige Josefmaria hat eindrucksvoll formuliert: Nichts lässt uns mehr Gott gleichen als die Fähigkeit, zu verzeihen. Der ältere Bruder wird die Beziehung zu seinem Bruder auf ein neues Fundament stellen müssen und auch der jüngere Bruder wird an dieser Beziehung zu arbeiten haben.
Das Gleichnis des heutigen Sonntags handelt von einem einmaligen außergewöhnlichen Ereignis. In unserem Leben können wir dieses Gleichnis jedoch oft und in verschiedener Form neu durchleben. Bei einigen Gelegenheiten werden wir in Rolle des jüngeren Sohnes schlüpfen und so die Freude der Umkehr erfahren. Andere Male werden wir die Erfahrung des älteren Sohnes machen und uns in der Kunst des Vergebens zu üben haben. Beide Male werden wir merken, dass wir mit dem Blick auf den Vater Frieden und Freude finden.

(Radio Vatikan – Redaktion Claudia Kaminski)


Title: Unser Sonntag: Der verschwenderische Vater?
URL: https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2025-03/unser-sonntag-nadja-el-beheiri-budapest-kommentar-evangelium-5.html
Source: Vatican News – Deutsch
Source URL: https://www.vaticannews.va/de.html
Date: March 29, 2025 at 09:14AM
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