Im Vatikan scheint man mit gewisser Sorge nach Luxemburg zu schauen: Das Vorabentscheidungsverfahren aus Belgien zu Löschrechten in Taufbüchern hat das Potential, wesentliche Vollzüge der Kirche in der ganzen EU (und den weiteren Ländern, in denen die DSGVO gilt) durcheinanderzuwirbeln. Am 9. Januar wurden die Vorlagefragen beim EuGH eingereicht, das Verfahren läuft.

Knapp drei Monate später äußert sich jetzt das Dikasterium für die Gesetzestexte (die Vatikan-Behörde, die unter anderem verbindliche Vorgaben für die Auslegung von Kirchenrecht macht) mit einer erklärenden Note „über das Verbot von Löschungen im Taufregister der Pfarrei“, die am Gründonnerstag veröffentlicht wurde. Vom belgischen Fall ist da keine Rede – aber die Argumente aus dem Streit vor der belgischen Datenschutzaufsicht werden aufgegriffen.
Inhalt der erläuternden Note
Textform und Verbindlichkeit
Die Textform des Vatikan-Dokuments ist der einer »Nota esplicativa«, in der offiziellen Übersetzung eine »erläuternde Bemerkung«. Das sind Erklärungen von kirchenrechtlichen Sachverhalten, die das Dikasterium für die Gesetzestexte ohne Autorisierung durch den Papst herausgeben kann, weil es sich nicht um gewichtige Rechtszweifel handelt. Ziel ist es, »die Bedeutung der Normen durch eine nach den Kriterien der kanonischen Gesetzgebung formulierte Auslegung angemessen [zu] klären« (Art. 177 Praedicate Evangelium).
Was so dargelegt wird, sollte also eigentlich aus dem Gesetzestext und gemäß der üblichen Auslegungsregeln selbstverständlich sein. Eine erläuternde Note schafft damit kein neues Recht (wie es eine vom Papst approbierte authentische Interpretation gewissermaßen tut), sondern erläutert lediglich, was ohnehin gilt – das bedeutet auch: Was hier ausgeführt wird, wird nur aus gegebenem Anlass erläutert, galt aber auch schon zuvor ohne diese Erläuterung.
Argumentation
Die Note beginnt mit dem Grundsatz: es ist nicht erlaubt, »Eintragungen im Taufregister zu ändern oder zu löschen, es sei denn, es handelt sich um die Berichtigung eines eventuellen Schreibfehlers«. Ziel ist es, »Gewissheit über bestimmte Handlungen zu schaffen, damit deren tatsächliche Existenz überprüft werden kann«.
Das führt die Note dann detailliert aus. Das Dikasterium erläutert die Pflicht zur Führung eines Taufregisters in der Pfarrei und wozu sie besteht: Die Taufe ist Grundlage für die anderen Sakramente und andere kirchliche Rechtsverhältnisse. Nur wer getauft ist, kann weitere Sakramente empfangen, nur wer getauft ist, kann zum Beispiel Mitglied eines Ordens werden.
Das Argument des Taufeintrags als objektive Aufzeichnung einer historischen Tatsache zieht sich im folgenden durch: Das Taufregister stelle eine »objektive Aufzeichnung der sakramentalen Handlungen oder der Handlungen im Zusammenhang mit den Sakramenten dar, die historisch von der Kirche vorgenommen wurden«. Diese »historisch-kirchlichen Tatsache« zu erfassen ist »aus Gründen einer guten administrativ-pastoralen Ordnung, aus theologischen Gründen, aus Gründen der Rechtssicherheit und auch zum eventuellen Schutz der Rechte der betroffenen Person und Dritter« erforderlich. Daraus erwächst dann das Änderungsverbot.
Die erläuternde Note ist wohl auch deshalb nötig, da c. 535 CIC, der die Pflicht zur Führung von Kirchenbüchern normiert, das Änderungsverbot dem Wortlaut nach nicht enthält, wohl aber dem Sinn nach: Ohne die Aufzeichnungen würde das weitere Leben der Kirche und die Verwaltung der Sakramente auf erhebliche Probleme stoßen. Daher werden im Taufbuch auch weitere relevante Statusänderungen eingetragen wie Firmung, Priesterweihe, Ehe oder Rituswechsel. »Die Nichteintragung dieser Handlungen würde die normale und einfache Verwaltung der Sakramente in der Kirche behindern, da es keine vernünftige Alternative ist, von Fall zu Fall und im Einzelfall den tatsächlichen vorherigen Empfang dieser sakramentalen Handlungen zu prüfen, was eine Voraussetzung für die Gültigkeit des Empfangs anderer Sakramente ist.«
Das Dikasterium unterscheidet diese Funktion des Taufregisters von einer Mitgliederliste. Das sei das Taufregister ausdrücklich nicht, sein einziger Zweck sei die Bezeugung historischer Tatsachen über die Taufe. Damit sei das Taufregister auch nicht dazu bestimmt, »den religiösen Glauben Einzelner oder die Tatsache, dass ein Mensch Mitglied der Kirche ist, zu bestätigen« – damit steht nach Auffassung des Vatikans die bleibende Eintragung im Taufregister auch nicht den Rechten derjenigen entgegen, die aus der Kirche austreten wollen. Der Kirchenaustritt als »actus formalis defectionis ab Ecclesia Catholica« (formaler Akt des Abfalls von der katholischen Kirche) muss aber als Bemerkung im Taufbuch ergänzt werden.
(Das ist für Deutschland interessant: Im Streit um Kirchenaustritte nach deutschem System wurde bislang der bloße Austritt vor einer staatlichen Behörde nicht als »actus formalis« gegenüber der Kirche betrachtet. Im Kirchenbuch eingetragen – dort kommt die Information über den Austausch der Meldedaten an – wurde er allerdings doch. Heißt das nun, dass es aus vatikanischer Sicht für das deutsche System keine Basis mehr gibt?)
Weiter macht das Dikasterium die Bedeutung des Taufeintrags gegenüber Dritten deutlich, sowohl gegenüber den Spendern von Sakramenten, die sich vergewissern müssen, ob sie einer Person überhaupt Sakramente spenden können, als auch mit Blick auf Fragen der Ehe – eine Ehe unter Getauften hat als Sakrament einen anderen Stellenwert als eine Ehe, in der mindestens eine Partei ungetauft ist.
Schließlich betont die Note den außerordentlichen Charakter einer bedingungsweise gespendeten Taufe. Bedingungsweise (»sub conditione«) wird eine Taufe dann gespendet, wenn unsicher ist, ob die Person die Taufe bereits empfangen hat. Die bedingungsweise Taufe ist kein Argument dagegen, dass eine Taufe unverlierbar ist. (In Belgien wird von »ontdoping«, »Enttaufung« gesprochen, in der offiziellen Kirchenstatistik wird die Zahl der Anträge auf »uitschrijving uit het doopregister« aufgeführt). Damit ist diese Form der Taufspendung keine Alternative nach einem rückgängig gemachten Kirchenaustritt, der eine Löschung aus dem Kirchenbuch möglich machen würde, wie die belgische Datenschutzbehörde argumentiert hatte.
Die Note und das Vorabentscheidungsverfahren
Argumente der belgischen Datenschutzaufsicht
Ziel des Vorabentscheidungsverfahren ist es, die Fragen zu klären, die der belgische Marktengerichtshof, das zuständige Gericht für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Datenschutzaufsicht, nicht selbst klären kann. Der EuGH wird also nur die Vorlagefragen beantworten, während andere im Bescheid der Aufsicht aufgeworfene Fragen in Belgien geklärt werden.
Insbesondere hat die Kirche das Argument der freien Organisation ihrer inneren Angelegenheiten stark gemacht, die in den Bereich des Religionsverfassungsrechts fallen und damit eigentlich gerade nicht in die Zuständigkeit der EU fallen – das scheint das Gericht aber nicht so absolut zu sehen, dass eine EuGH-Vorlage unsinnig würde.
Die Datenschutzaufsicht hatte vor allem die Erforderlichkeit bezweifelt und ein in der PFarrei geführtes Taufregister als ungeeignet dafür befunden, sicherzustellen, ob eine Person nicht tatsächlich ungetauft sei. Dabei hat sie auch aus eigenem Antrieb bedingungsweise Taufen als Argument gegen die Erforderlichkeit angeführt.
Das Recht auf Löschen sollte nach Ansicht der Aufsicht in Form eines Widerspruchs gegen eine Verarbeitung auf Grundlage einer Interessenabwägung ausgeübt werden. Die Aufsicht sah die Interessen der Kirche an der Nachvollziehbarkeit der Taufe nicht als überwiegend an. Das Dikasterium stellt dagegen genau diese Interessen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen.
Bedeutung der Note für die Vorlagefragen
Der Marktengerichtshof hat dem EuGH fünf Fragen vorgelegt, die sich so kompakt zusammenfassen lassen:
- Hat ein volljähriger Mensch, der als Kind getauft wurde, sich jetzt aber von der Kirche distanzieren möchte, durch Art. 17 DSGVO ein Recht auf Löschung aus dem Taufregister?
- Wird das Recht auf Löschung durch die Religionsfreiheit der Kirche eingeschränkt, und zwar in Form vorrangiger berechtigter Gründe gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c)?
- Ist relevant, ob das Taufbuch digital oder als Buch geführt wird?
- Liegen für die Führung des Taufbuchs im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke vor, mithin die Ausnahme gemäß Art. 17 Abs. 3 lit. d) DSGVO?
- Falls keine der genannten Löschausnahmen greift: Ist dann der Vermerk über den Austritt ein zulässiger Ersatz der Löschung?
Das Dikasterium zielt mit seinen Erläuterungen vor allem auf zwei der Vorlagefragen: Indem die theologische Bedeutung der Kenntnis über den Taufstatus einer Person stark gemacht wird, werden Argumente für das vorrangige Interesse der Kirche und die Religionsfreiheit aus Frage zwei gesammelt. Mit Blick auf Frage vier wird der Charakter des Taufbuchs als historischer Faktensammlung starkgemacht, um gegebenenfalls im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke zu begründen – warum das Taufregister aber im öffentlichen und nicht lediglich nur im kirchlichen Interesse ist, führt das Dikasterium nicht aus.
Indem das Dikasterium den Vermerk über den Kirchenaustritt erwähnt, wird Frage 5 berührt. In der DSGVO gibt es mit Ausnahme des Rechts auf Einschränkung der Verarbeitung und der Archivierung im öffentlichen Interesse kein Rechtsinstitut, das ein Löschsurrogat darstellen könnte. Hier wäre das Potential für eine salomonische Lösung, wenn der EuGH ein Löschsurrogat in die DSGVO hineinlesen würde (oder den Anwendungsbereich der Regelungen zu Archiven oder Einschränkung der Verarbeitung eröffnen könnte), das durch den Vermerk erfüllt würde.
Wie kommt der Vatikan zum EuGH?
Direkt lässt sich die erläuternde Note wohl nicht beim EuGH einreichen: Weder der Heilige Stuhl noch der Staat der Vatikanstadt haben unmittelbar das Recht, Schriftsätze zum Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH gemäß Art. 23 seiner Satzung einzureichen, wohl aber das Bistum Gent als Partei des ursprünglichen Streits.
Das Vorabentscheidungsverfahren wurde am 9. Januar 2025 eingereicht, die Frist für die Einreichung von Schriftsätzen beträgt zwei Monate. Aufgrund von Übersetzungen dauert die formelle Zustellung laut mit dem allgemeinen Verfahren Vertrauten gerne einmal zwei Monate, es wäre also durchaus möglich, dass die erläuternde Note speziell für den Schriftsatz des Bistums Gent angefertigt wurde und so unmittelbar Teil des Verfahrens wird.
Fazit
Taufbücher ohne Recht auf Löschung haben für die Kirche eine enorme Bedeutung. Auf Ebene der COMECE, der Organisation der Bischofskonferenzen der EU-Mitgliedsstaaten, wird das Löschrecht immer wieder als wichtiges Thema im Bereich Datenschutz genannt. Jetzt zeigt der Vatikan, welchen Stellenwert ordnungsgemäß geführte Taufregister für das Leben der Kirche haben – durchaus verständlich, auch wenn man die Bedeutung für Dritte (vor allem im Bereich des Eherechts) etwas stärker hätte ausformulieren können.
Das Engagement und das Eingreifen des Vatikans sind verständlich: Bisher hatte die Kirche in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten regelmäßig Erfolge unter Verweis auf Erforderlichkeit und Religionsfreiheit – nur im säkularen Belgien nicht. Das führte nun dazu, dass der Streit vor eines der am stärksten von einem Laizitäts-Verständnis geprägten Gerichte getragen wird. Und beim EuGH hat die belgische Entscheidung gleich Auswirkungen auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum, in dem die DSGVO angewandt wird.
Sollte der EuGH ein Löschrecht sehen, dürften kirchliche Datenschutzgesetze umso wichtiger werden: Bei der KDG-Novellierung sollen (wohl auch mit Blick auf diesen Vorgang) Kirchenbücher endlich explizit erwähnt werden. Dann stellen sich Fragen des Einklangs, wenn kirchliche Datenschutzgesetze anders als die DSGVO kein Löschrecht im Kirchenbuch sehen – aber bis ein kirchliches Datenschutzgesetz vom EuGH kassiert wird, dauert es wohl, zumal erst einmal ein Weg gefunden werden müsste, den Streit nach Luxemburg zu ziehen.
Title: Vatikan schaltet sich in Streit um Löschen von Taufbüchern ein
URL: https://artikel91.eu/2025/04/22/vatikan-schaltet-sich-in-streit-um-loeschen-von-taufbuechern-ein/
Source: Artikel 91
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Date: April 22, 2025 at 05:13PM
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