In den USA kämpft die Polizei mit etwas, was die Forschung »barrier of mistrust« nennt: Communities, die schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben, vertrauen Polizist*innen nicht mehr. In diesen Communities fällt es der Polizei schwerer, Verbrechen aufzuklären, weil sie kaum Aussagen von Zeug*innen erhalten und teilweise gar nicht gerufen werden, wenn Verbrechen stattfinden. Es handelt sich um eine Spirale: Negative Erfahrungen mit Polizeiarbeit (Gewalt, schlechte Qualität) führt zu Misstrauen, Misstrauen verschlechtert die Arbeit. (Eine anschauliche Erklärung gibt es in diesem Podcast.)
Denselben Zusammenhang gibt es in der Schule: Lehrpersonen und Schulen, welche Schüler*innen herabsetzen, im negativen Sinn überraschen, nicht ernst nehmen, verspielen sich mögliches Vertrauen. Das erschwert ihre Arbeit und steigert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Lernklima der Angst, der Fehlervermeidung und auch des Mobbings entsteht. Auch hier entsteht eine Spirale: Eine problematische Schul- und Unterrichtskultur erzeugt Misstrauen, Misstrauen verschlechtert das Lern- und Arbeitsklima.
Wie entsteht aber Vertrauen? In der Reflexion meines Unterrichts habe ich folgende fünf Elemente ausgemacht, die mir dabei helfen, die Beziehung zu Lerneden und zu Klassen vertrauensvoll zu gestalten.
Element 1: Vertrauensvorschuss
Vertrauen hat die Struktur eines Gefangenendilemmas: Alle würden profitieren, wäre es da – aber bevor es da ist, ist es vorteilhaft, Vertrauen zu verweigern. Lehrpersonen müssen hier in Bezug auf Schüler*innen ins Risiko gehen. Missbrauchen die Schüler*innen das Vertrauen einer Lehrperson, kann sie damit leben. Das gehört zum Beruf. In den meisten Fällen wird das gerade nicht geschehen: Wenn Jugendliche echtes Vertrauen erleben, geben sie es zurück. Also nicht abwarten, bis Vertrauen auf der Gegenseite da ist: Sondern aktiv das tun, was Menschen tun, die anderen vertrauen.
Element 2: Verlässlichkeit
Schüler*innen müssen sich auf Lehrpersonen verlassen können. Das bedeutet nicht, dass Lehrpersonen keine Fehler machen, sondern dass sie sich dafür entschuldigen, wenn das geschieht. Fast wichtiger aber: In den Grundwerten sind Lehrpersonen berechenbar und konstant. Ich zwinge zum Beispiel Schüler*innen nie, etwas zu tun, was sie nicht tun wollen. Auch in Gesprächen akzeptiere ich ihre Privatsphäre, wenn sie mir etwas nicht sagen wollen oder eine Frage nicht beantworten können, respektiere ich das. Ich akzeptiere ohne Nachfragen, wenn sie den Raum verlassen, weil ich annehme, dass es einen wichtigen Grund dafür gibt. Ich vermeide jede Art von Gewalt Schüler*innen gegenüber, also auch verbale, psychische etc. – ich werde nicht wütend, ich stelle niemanden bloß. (Mal abgesehen von der strukturellen Gewalt, die im System Schule steckt). Ich führe keine unerwarteten Leistungskontrollen durch, ich bestrafe Schüler*innen nicht. Kurz: In meiner Präsenz gibt es für Lernende keine unangenehmen Überraschungen, ich verhalte mich berechenbar.
Element 3: Ehrlichkeit
Ich sage Schüler*innen, wie die Dinge sind. Ich spiele ihnen nichts vor, sondern sage ihnen, was ich weiß, wenn es sie interessiert. Ich verzichte auf jede Form von Bullshit. Ich teile, wenn das passt, meine Meinungen und mache klar, dass es meine Meinungen sind und die Schüler*innen sich eigene Meinungen bilden sollen.
Element 4: Klare Erwartungen
Auch meine Schüler*innen betreiben immer wieder mal Studenting (sie tun also Dinge, die vernünftige Menschen nicht machen, Schüler*innen aber leider schon). Ich sage ihnen dann immer, dass ich das weder schätze noch erwarte. Generell stütze ich meine Erwartungen auf die Vorstellung ab, dass ich es mit jungen Menschen zu tun habe, die in die Schule kommen müssen, aber das möglichst so tun möchten, dass das für sie eine positive Lernerfahrung ist. Ich wünsche mir, dass sie wie ich ehrlich sind, kritisch sind und ihre Meinung sagen.
Gleichzeitig respektiere ich aber, dass Schüler*innen meine Erwartungen manchmal nicht erfüllen wollen oder erfüllen können. Das ändert meine Erwartungen nicht und führt nicht zu Vorwürfen, sondern ist eine Gelegenheit für eine Reflexion, warum das in einer Situation so ist oder war.
Element 5: So wenig und so gute Beurteilung wie möglich
Wir können Personen, die uns beurteilen, schlecht vertrauen, weil es wichtig ist, in einem guten Licht zu erscheinen und eine starke Abhängigkeit besteht. Das bedeutet für mich als Lehrer, dass ich so wenig Noten wie möglich gebe und sie aus einem Setting ableite, in dem für Schüler*innen nichts Unerwartetes oder Negatives entstehen kann.
* * *
Das sind selbstverständlich sehr subjektive Zugänge zum Thema. Für mich meine Rolle als Lehrperson stimmt das so.

Title: Vertrauen in Lehr-/Lern-Settings
URL: https://schulesocialmedia.com/2023/09/15/vertrauen-in-lehr-lern-settings/
Source: SCH ::: Schule Social Media
Source URL: https://schulesocialmedia.com
Date: September 15, 2023 at 08:44AM
Feedly Board(s): Schule