Videokonferenzen Störungen neue Anforderungen: Über die Hälfte der Lehrkräfte nimmt die Digitalisierung als Techno-Stress wahr

BERLIN.  Die Digitalisierung in Bildungsberufen nimmt stetig zu, während die Beschäftigten zugleich über fehlende technische Unterstützung klagen. Viel zu oft werden sie nicht einbezogen, wenn neue technische Arbeitsmittel eingeführt werden. Etwa die Hälfte der befragten Erzieher*innen, Lehrkräfte und Hochschullehrkräfte sieht digitale Arbeitsmittel inzwischen als Zusatzbelastung an. Dies sind zentrale Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur Digitalisierung in Bildungsberufen, die der DGB, die GEW und ver.di vorgelegt haben.

Die Digitalisierung soll Arbeitsprozesse erleichtern – das klappt aber in den pädagogischen Berufen allzu häufig leider nicht. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Der Umfrage zufolge beschreiben für das Jahr 2022 insgesamt 97 Prozent der Hochschullehrkräfte und 83 Prozent der Lehrkräfte ihre Arbeit als in hohem oder sehr hohem Maß digitalisiert. Bei den Erzieher*innen ist dieser Anteil mit 41 Prozent geringer. Doch auch im Erziehungsbereich zeigt sich ein deutlicher Anstieg gegenüber 2016 (30 Prozent).

Die Verwendung digitaler Arbeitsmittel wird in allen drei Berufsgruppen von etwa der Hälfte der Befragten als zusätzliche Belastung wahrgenommen. Bei den Lehrer*innen stieg der Anteil mit digital bedingter Mehrbelastung von 35 Prozent im Jahr 2016 auf 57 Prozent im Jahr 2022. Lediglich neun Prozent gaben an, dass ihre Arbeitsbelastung durch die Digitalisierung geringer geworden ist.

„Das Bildungssystem droht die Chancen der Digitalisierung zu verstolpern. Arbeitserleichternde Potenziale der Digitalisierung bleiben offensichtlich weitgehend ungenutzt.“

Was das konkret bedeutet, zeigt die Umfrage am Beispiel von Videokonferenzen auf. „Auch nach der Pandemie werden weiterhin viele Besprechungen, Meetings und Tagungen im virtuellen Raum abgehalten. Von allen Befragten gaben 2022 55 Prozent an, Videokonferenzen zu nutzen. In den drei Bildungsberufen liegt der Anteil deutlich darüber: Bei den Erzieher*innen waren es 64 Prozent, bei den Lehrer*innen 87 Prozent und bei den Hochschullehrer*innen sogar 100 Prozent.“

Videokonferenzen seien ein praktisches Hilfsmittel für die Kommunikation über räumliche Distanzen hinweg. Durch den Wegfall von Reisetätigkeiten hülfen sie, Zeit zu sparen und den CO2-Ausstoß zu verringern. „Die Nutzung der digitalen Konferenz-Tools hat jedoch auch noch einen anderen Effekt: Werden Videokonferenzen (sehr) häufig genutzt, nimmt auch die Zahl der Besprechungen zu. Bei den betroffenen Erzieher*innen berichtet ein Drittel (34 Prozent), bei den Lehrer*innen und Hochschullehrer*innen die Hälfte (49 Prozent) von einer Zunahme der Zahl der Besprechungen in (sehr) hohem Maß. Die Technik ermöglicht es, Videokonferenzen in dichter zeitlicher Folge abzuhalten. Für die Gestaltung digitaler Arbeit ist dies relevant, da nun häufig mehrere Besprechungen ohne dazwischen liegende Pause aneinandergereiht werden. Wenn die Zahl der Besprechungen zunimmt, berichten 37 Prozent der Hochschullehrer*innen und 13 Prozent der Lehrer*innen davon, (sehr) häufig mehrere Videokonferenzen hintereinander ohne Unterbrechung zu absolvieren (in der Gruppe der Erzieher*innen war bei dieser Frage die Fallzahl für eine Auswertung zu gering).“

Eine weitere Belastung, die unmittelbar mit der digitalen Technik verbunden ist, sind auftretende Störungen, die eine Unterbrechung von Arbeitsprozessen nach sich ziehen. Danach gefragt, wie häufig dies der Fall ist, antworten von den digitalisiert Arbeitenden 2022 bei Lehrkräften und Erzieher*innen etwa jede Zweite mit „sehr häufig“ oder „oft“, von den Hochschullehrkräften gaben 37 Prozent an, die Arbeit aufgrund von Störungen der digitalen Technik (sehr) häufig unterbrechen zu müssen. „Techno-Stress“ sei in allen drei hier betrachteten Bildungsberufen eine weit verbreitete Belastungsquelle.

„Auch beim betrieblichen Support hapert es gewaltig. Es zeigt sich wieder einmal, dass Entscheidungen von oben herab nicht zielführend sind“

Häufig fehlt den Beschäftigten betriebliche Unterstützung, obwohl technische Probleme im Rahmen der Digitalisierung weit verbreitet sind: 37 Prozent der Hochschullehrkräfte, 34 Prozent der Lehrkräfte und 28 Prozent der Erzieher*innen geben an, keine oder nur geringe Unterstützung zu erhalten. Dabei sehen sich in den betrachteten Bildungsberufen mindestens 70 Prozent der digitalisiert Arbeitenden aufgrund der Digitalisierung erhöhten Kompetenzanforderungen ausgesetzt.

Die Mehrheit der digitalisiert Arbeitenden in den drei Berufsgruppen kann keinen größeren Einfluss auf die Veränderung ihrer Arbeit im Kontext der Digitalisierung nehmen. Tendenz steigend. „Die fehlende Partizipation hat sich gegenüber 2016 noch verstärkt“, so heißt es. „Damals gaben 56 Prozent der Erzieher*innen, 43 Prozent der Lehrer*innen und 47 Prozent der Hochschullehrer*innen an, nur wenig oder gar keine Einflussmöglichkeiten zu besitzen.“

„Das Bildungssystem droht die Chancen der Digitalisierung zu verstolpern. Arbeitserleichternde Potenziale der Digitalisierung bleiben offensichtlich weitgehend ungenutzt. Statt die Kompetenzen der Beschäftigten bei der Einführung neuer digitaler Arbeitsweisen zu nutzen, bleiben sie vielfach außen vor“, sagt die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. „Auch beim betrieblichen Support hapert es gewaltig. Es zeigt sich wieder einmal, dass Entscheidungen von oben herab nicht zielführend sind. Deshalb führt an mehr Personal, an mehr Beteiligung und auch an guter Qualifizierung und Weiterbildung kein Weg vorbei. Die Ende 2023 auslaufende Qualitätsoffensive Lehrerbildung muss unbedingt weitergeführt werden.“

GEW-Vorsitzende Maike Finnern kommentiert: „Wir brauchen mehr zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen im Bildungsbereich. Ein 100-Milliarden-Programm für Bildung, die Verstetigung des Digitalpakts und ein ausgebauter IT-Support in Bildungseinrichtungen sind nicht ‚nice-to-have‘, sondern eine zentrale Zukunftsfrage. Besorgt nehmen wir zur Kenntnis, dass Beschäftigte in Bildungsberufen wenig Einfluss auf die Digitalisierung haben. Hier brauchen wir eine Kehrtwende: Die Beschäftigten müssen die digitale Transformation mitgestalten können.“

Sylvia Bühler, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, erklärt: „Es gibt dringenden Handlungsbedarf, damit die fortschreitende Digitalisierung im Bildungsbereich die Beschäftigten nicht zusätzlich belastet, sondern ihnen die Arbeit erleichtert. Nur dann trägt sie dazu bei, dass bedeutende und großartige Berufsfeld Bildung attraktiver zu machen. Das ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe, denn schon jetzt fehlen von der Kita bis zur Hochschule hunderttausende Fachkräfte.“

Weiter betont sie: „Erzieher*innen und Lehrende an Schulen und Hochschulen sollen sich auf die Bildungsprozesse und die Lernenden konzentrieren können und nicht darauf, ob die Technik funktioniert. Dafür braucht es professionelle Unterstützung und eine gute Ausstattung, wie zum Beispiel flächendeckend schnelles Internet auch in Kitas. Damit es bei der Digitalisierung künftig in die richtige Richtung geht, ist es ebenso wichtig, dass die Beschäftigten – die Bildungsexpert*innen – bei der digitalen Weiterentwicklung im Betrieb in Entscheidungen einbezogen werden.“ News4teachers

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Title: Videokonferenzen, Störungen, neue Anforderungen: Über die Hälfte der Lehrkräfte nimmt die Digitalisierung als „Techno-Stress“ wahr
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Date: July 8, 2023 at 02:33PM
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