KÖLN. Bevor an diesem Wochenende der Bürgerrat Bildung und Lernen tagt, waren erstmal die Schülerinnen und Schüler dran: Mehr als 100 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen neun und 16, bunt gemischt aus verschiedenen Schulformen, sammelten auf Einladung der Montag Stiftung Denkwerkstatt Ideen, wie sich das Schulsystem verbessern ließe, und diskutierten die Vorschläge dann – so ernsthaft, als könnten sie tatsächlich darüber entscheiden. Dabei traten viele Wünsche zutage. Auf drei zentrale Punkte konnte sich die bunte Versammlung einigen.
„Wir wollen bessere Schulen!“ Und: „Hört uns zu!“ Diese beiden Forderungen, in den Räumen des Campus der Kölner Bildungslandschaft Altstadt Nord (BAN) plakatiert (wobei Fotos eines überquellenden Mülleimers in einem Schulklo und einer ranzigen Tafel die Botschaft unterstrichen), standen schon mal als Prämissen im Saal, in dem an einem Dutzend Tische Schülerinnen und Schüler saßen, um ihre Vorstellungen zu Papier zu bringen. „Ihr habt die Chance, zu äußern, was ihr schon immer mal loswerden wolltet“, so hatte Moderator Jonny Thumb den Teilnehmerinnen und Teilnehmern vorab erklärt. „Und wenn Ihr sagt: Ihr wollt den ganzen Tag daddeln, dann ist das auch ok. Kein Thema ist nicht wichtig.“
„Mehr Fächer, in denen man sich kreativ ausdrücken kann“, „weniger Hausaufgaben“, „im Unterricht essen“
Vorweg: Den ganzen Tag am Computer spielen wollte niemand. In den Wünschen und Forderungen der Schülerinnen und Schüler wurde gleichwohl deutlich, dass sie Schule als Lebensort wahrnehmen – an dem sie sich wohlfühlen wollen. Sie plädierten beispielsweise für mehr Farbe und insgesamt eine schöne Gestaltung der Schulräume (auch für sauberere Toiletten, wobei fairerweise angemerkt werden muss, dass die Schulen der BAN einen ordentlichen Eindruck machen). Viele Kinder und Jugendliche wünschen sich außerdem Pausen- bzw. Lernräume, in denen sie von den Lehrern ungestört sein können, um sich auszuruhen oder auch schonmal Hausaufgaben machen zu können.
Als konkrete Ideen kamen beispielsweise zusammen: „Mehr Fächer, in denen man sich kreativ ausdrücken kann“, „weniger Hausaufgaben“, „im Unterricht essen und immer auf Toilette gehen dürfen“, „im Unterricht Musik im Hintergrund laufen lassen“, „längere Pausen für mehr Energie“, „dass Lehrerinnen und Lehrer mehr auf Mobbing achten“, „Digitalisierung, modernerer Unterricht“, „Noten abschaffen“, „kleinere Klassen“, „klassenübergreifendes Lernen“, „mehr über Erfolge reden“, „keine unangekündigten Tests“, „häufiger selber entscheiden dürfen, wie man lernt“, „mehr über Berufe erfahren“, „individuelle Talente mehr fördern“ – und: „höhenverstellbare Tische“.
„Wir sind sehr unglücklich mit ein paar Themen, wie es in der Schule läuft, und jetzt wurden einige davon angesprochen“
Am häufigsten wurde das Stichwort „Lernen fürs Leben“ genannt: Viele Kinder und Jugendliche wünschten sich mehr Wissen zum Beispiel zu Themen wie Finanzen, Steuern und Aktien, aber auch Fächer, in denen sie beispielsweise Kochen oder Selbstorganisation lernen. Darüber hinaus meinten die meisten, dass sie individueller lernen und schon früher Wahlmöglichkeiten haben möchten sowie sich ein größeres AG-Angebot wünschen. Eine lebhafte Debatte wurde um das Thema „späterer Unterrichtsbeginn“ geführt: Viele waren dafür, weil sie meinten, dass sie ausgeruht besser lernen können. Es wurde aber auch von einigen das Gegenargument genannt: Dann ist man ja später zu Hause – und hat weniger Freizeit.
Drei Punkte, identifiziert anhand der Lautstärke des jeweiligen Beifalls, wurden als Konsensforderungen festgehalten: erstens, einen „Chill-Raum“ an jeder Schule einzurichten – ohne Aufsicht durch Lehrkräfte, zweitens, Inhalte stärker an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen auszurichten (einschließlich besserer politischer Bildung – „zu wenige wissen über Deutschland Bescheid“, so hatte ein Junge moniert), und: längere Pausenzeiten, mehr Freiräume beim Lernen. Gymnasiastin Magie zeigte sich mit dem Format zufrieden. „Wir sind sehr unglücklich mit ein paar Themen, wie es in der Schule läuft, und jetzt wurden einige davon angesprochen“, sagte sie.
Und was passiert jetzt? Die Forderungen werden dem Bürgerrat Bildung und Lernen übermittelt, der an diesem Wochenende tagt – um sie bei seiner Arbeit zu berücksichtigen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gremiums, das 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen wurde, sind mehrere Hundert zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland. Sie beschäftigen sich immer wieder mit hintergründigen Bildungsthemen (aktuell: „Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“), um Vorschläge für die Politik zu erarbeiten – ein bundesweit einmaliges Projekt mit Strahlkraft.
Einige Kinder und Jugendliche gehören dem Bürgerrat an – so wie Gemma und Jayne aus Ingelheim, die auch an der Schülerversammlung am Vortag teilnahmen. Sie versicherten, dass der Bürgerrat sich sehr ernsthaft mit den gesammelten Ideen beschäftigen werde: „Wir diskutieren dort auf Augenhöhe.“ Soll heißen: Kinder und Jugendliche haben dort tatsächlich eine Stimme.
„Ich persönlich arbeite viel besser, wenn ich selbst frei entscheiden kann, wann ich was mache“
„Seitdem wir das erste Mal dabei sind, wird uns wirklich zugehört. Auch von den Erwachsenen, die nehmen uns wirklich ernst. Es ist wichtig, dass sie uns zuhören. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam auch wirklich etwas ändern können“, sagt die 15-jährige Jayne, die eine Montessori-Schule (die Bilinguale Montessori-Schule Ingelheim) besucht – und deshalb schon vieles kennt, von dem andere Schülerinnen und Schüler nur träumen. Freiwilligkeit bei den Hausaufgaben zum Beispiel. „Ich persönlich arbeite viel besser, wenn ich selbst frei entscheiden kann, wann ich was mache. Denn ich merke, wenn mir jemand vorschreibt, wie ich etwas machen soll und wann, bin ich total unmotiviert. Ich mag es viel mehr, wenn ich etwas für mich mache, weil ich glaube, dass es mir etwas bringt. Aber klar, braucht man auch eine gewisse Struktur, um Lernen zu können“, sagt sie.
Gemma, die drei Jahre jünger ist (aber in dieselbe, jahrgangsgemischte Klasse wie Jayne geht), betont: „Ich glaube, Freiheit ist sehr wichtig beim Lernen. Natürlich braucht man gewisse Regeln und braucht auch Anweisungen, gerade am Anfang. Ansonsten finde ich es wichtig, dass man wirklich selbst entscheiden kann, wann und wie man sich am wohlsten fühlt mit dem, was man lernt.“ Laura Millmann, Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus
Hier gibt es weitere Informationen zum Bürgerrat Bildung und Lernen.
Die Kinder und Jugendlichen im Bürgerrat Bildung und Lernen haben einen offenen Brief verfasst, den wir im Folgenden im Wortlaut dokumentieren:
„Hallo,
das ist ein offener Brief – und er geht raus an all die, die darüber bestimmen, wie Bildung und Schule in Deutschland aussehen: die Politik, die Verwaltungen, die Schulleitungen … Seit dem Beginn der Corona-Pandemie haben wir Schüler*innen gemacht, was ihr von uns verlangt habt: Wir haben verzichtet und zurückgesteckt. Lernen wurde unter diesen Bedingungen noch schwieriger. Wäre es jetzt nicht fair, wenn ihr im Gegenzug uns mal zuhören würdet!? Denn sind wir ehrlich, in Sachen Bildung und Schule sieht es bei uns nicht besonders toll aus. Studien haben das gerade wieder gezeigt. Wir Schüler*innen müssen aber keine Studien lesen, um zu wissen, wo es hakt.
Wir mögen aus verschiedenen Bundesländern kommen und unterschiedliche Schulformen besuchen. Aber wir Kinder und Jugendliche haben eins gemeinsam: Wir wollen bessere Bildung und bessere Schulen!
Deshalb fordern wir: Wir müssen alle die gleichen Chancen haben! Egal wer und wie wir sind, wo wir herkommen, wie wir aussehen, an was wir glauben oder wie viel Geld wir haben. Schulen müssen schön sein. Damit meinen wir aber nicht nur, dass alles hübsch angemalt wird. Schöne Schulen sind für uns Orte zum Wohlfühlen. Und das heißt ganz praktisch: Wir wollen zum Beispiel saubere Toiletten, ansprechende Schulhöfe und eine moderne technische Ausstattung. Vor allem aber wollen wir genügend Lehrer*innen, die uns unterrichten können und dafür gut ausgebildet sind.
Und: Wir wollen mitentscheiden. Darüber, wie wir lernen und was wir lernen. Dabei geht es vor allem um Sachen, die mit unserem Leben zu tun haben und die wir in Zukunft auch wirklich brauchen. Ihr seht, wir haben viel zu besprechen. Als Kinder und Jugendliche haben wir ein Recht auf Mitbestimmung, wenn es um unsere Belange geht. Ihr Erwachsenen fordert für euch immer Respekt. Das fordern wir für uns auch! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Sprecht mit uns, wie wir Bildung in unserem Land besser und gerechter machen können.“
Der Brief kann mitunterzeichnet oder für eigene Aktionen vor Ort genutzt werden. Aktionsseite: http://www.buergerrat-bildung-lernen.de/offener-brief/
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Title: Vom “Chill-Raum” in der Schule bis hin zu lebenspraktischen Inhalten: Was sich Kinder und Jugendliche für ihr Lernen wünschen
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Date: September 14, 2024 at 12:40PM
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