In den letzten Monaten haben wir, angestoßen durch Jonathan Haidts Buch »The Anxious Generation«, intensiv darüber diskutiert, wie Schulen durch Smartphone-Verbote Jugendlichen helfen können, sich besser zu fühlen und produktiver zu sein. Die (problematische) These von Haidt besagt, dass die Verbreitung von iPhones die primäre Ursache für die Zunahme von psychischen Problemen unter Jugendlichen sein muss.
Ich habe schon darüber geschrieben, warum Haidts Argumentation nicht haltbar ist und wo die blinden Flecken liegen. Beim Hören einer Folge des Podcasts von PJ Vogt ist mir klar geworden, dass sich das zentrale Problem einfacher formulieren lässt – und ganz fundamental mit der Schule zu tun hat. Die Folge und ein Transkript findet man hier (herzlichen Dank an Hanna, die mich auf den Podcast aufmerksam gemacht hat). Vogt geht darin der Frage nach, weshalb junge Menschen ein anderes Verhältnis zu KI-Anwendungen haben als er. Insbesondere in Bezug auf das Schreiben von Texten fragt er sich, wie er seinen Kindern und anderen Jugendlichen vermitteln kann, weshalb es wichtig ist, Texte selber zu schreiben. ChatGPT sei kein Taschenrechner, so sein zentrales Argument weil ein Taschenrechner grundsätzlich dasselbe mache wie ein Mensch, der schriftlich rechne – nur schneller. ChatGPT hingegen tue etwas fundamental anderes, sein Einsatz ist also keine Arbeitserleichterung, sondern ein Ersatz für wichtige Prozesse, die rund ums Schreiben stattfinden sollten, aber bei jungen Menschen nicht mehr so ablaufen, wie es ihnen gut tun würde.
Vogt spricht mit Forscher:innen (unter anderem geht er auf diesen exzellenten Bericht ein, der die Perspektive junger Menschen abbildet). Eine davon äußert die folgende Vermutung, welche die korrekte Sicht auf die psychische Belastung von Jugendlichen enthält:
When I look at the increases in anxiety and depression among student age kids, I see a direct correlation between the kinds of things they’re asked to do in school and those emotions and the pressure of doing those things well. And if instead they could just kind of exist and do this work in a way that’s meaningful to them that still helps them build these capacities that are gonna serve them well, I think it could be a catalyst towards increased human thriving. But this is not outsourcing this work to this technology. This is using this technology to allow ourselves to be more human.
Das eigentliche Problem, das Jugendliche «anxious» macht (leider fehlt ein gutes Deutsches Wort für diese Kombination aus Angst, Nervosität, Unrast und Unsicherheit), ist die soziale Situation, in der sie sich befinden. Diese zeichnet sich durch folgende Komponenten aus:
- Unsichere Zukunftsperspektive mit brüchigen Lebensentwürfen und Angst vor katastrophalen Szenarien.
- Aufwachsen in einer digitalen Transformation, die viele kulturelle Praktiken so schnell ändert, dass Erwachsene das nicht verstehen können und Jugendlichen kaum Hilfe beim Meistern von Herausforderungen anbieten können.
- Eine Prüfungskultur, die Selektion und Allokation mit massivem Druck verbindet und Jugendlichen Zukunftsentscheidungen abverlangt, bevor sie dafür bereit sind.
- Ein schulisches Umfeld, das langweilige Aufgaben in schwierigen sozialen Situationen anbietet, was zum Gefühl führt, wenig für die Zukunft Bedeutsames lernen zu können.
- Lehrpersonen, die am schulischen Lernen als einzigem Weg zu einem glücklichen Leben festhalten, obwohl weder sie noch die Schüler:innen Grund haben, daran zu glauben.
- Ein unbeholfener und unreflektierter Einsatz von Technologie in der Schule.
- Unklare und sich wandelnde Beziehungsmodelle, für die es kaum Anleitungen gibt. Jugendliche müssen in einer zunehmend technologisch verwalteten Welt ausprobieren, was für sie funktioniert.
Für Verantwortliche ist es nun extrem leicht, die Schuld auf die Technologie zu schieben. Jugendliche sind ständig am Handy, aber nicht, weil sie dumm oder süchtig sind, sondern weil das eine Form von Aufwertung langweiliger Settings darstellt, weil es ihnen hilft, Beziehungen zu knüpfen und weil sie oft überfordert sind.
Die Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit entstehen nicht aufgrund der Technologie, sondern aufgrund des Druck und der sozialen Situation, in der sie sich befinden.
Das Problem ist also, wie so oft, deutlich komplexer. Smartphones an Schulen zu verbieten fühlt sich richtig an, ist aber meist falsch. Es ist eine Symptombekämpfung, die Jugendlichen mental kaum etwas bringt, aber Erwachsenen das Gefühl gibt, etwas zu tun, obwohl sie am eigentlichen Problem nichts ändern können.
Title: Warum die Schule Jugendliche psychisch belastet – und nicht die Smartphones dafür verantwortlich sind
URL: https://schulesocialmedia.com/2025/02/22/warum-die-schule-jugendliche-psychisch-belastet-und-nicht-die-smartphones-dafur-verantwortlich-sind/
Source: SCH ::: Schule Social Media
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Date: February 22, 2025 at 01:28PM
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