Wie Bildungsinfluencer:innen die Bildungskrise bewirtschaften und verschärfen

Was sind Influencer:innen? Die für mich klarste Definition: Es handelt sich um Menschen, die auf digitalen Plattformen Reichweite aufbauen, um diese zu verkaufen. Influencer:innen sind in diesem Sinne, den ich hier meine, ein Gegenbegriff zu Aktivist:innen, die auf digitalen Plattformen agieren, um eine Veränderung zu bewirken (und ihre Reichweite nicht verkaufen).

Aktivist:innen engagieren sich in Kontexten, in denen sie eine Wirkung entfalten können. Influencer:innen kooperieren mit anderen Projekten, weil das ihre Bekanntheit fördert und anderen Projekten Sichtbarkeit gibt. Mihajlović hat kürzlich formuliert, dass sie in dieser Hinsicht Litfaßsäulen gleichen: Sie helfen dabei, ein breites Publikum zu erreichen.

Meine Ergänzung zielte noch auf einen anderen Aspekt ab: Weil Influencer:innen grundsätzlich wenig politisch sind und im Zweifelsfall ihre Anliegen hinter die Möglichkeit stellen, ihre Reichweite zu erhöhen, eigenen sie sich dafür, Kritik abzufedern und abzuschwächen.

Besonders deutlich wird das im Moment mit dem Bildungssystem. Influencer:innen haben eine Nische gefunden, Schulen und Bildung so zu kritisieren, dass das eigentlich niemandem weh tut. Das merkt man daran, dass sie es vermeiden zu benennen, was Lehrpersonen falsch machen oder konkret ändern müssten. Viele, fast alle Menschen finden, dass mit der Schule irgendwas nicht stimmt. Jede Veränderung des Bildungssystem erfolgt langsam und braucht viel Arbeit, deren Ergebnisse oft erst nach Jahren sichtbar werden. Influencer:innen sind nicht daran interessiert, diese Arbeit zu leisten – sie profitieren davon, dass diese Arbeit noch nicht erfolgt ist. Wie die Youtube-Lehrer:innen schlachten sie die Defizite des Bildungssystems aus – sie wissen, dass sie keine Änderung bewirken können und suchen deshalb die Positionen, die ihnen Beifall von allen Seiten sichern.

Deshalb ist ihre Kritik auch wirkungslos und wird vom System akzeptiert: Die Bücher, Podcasts und Talks von Influencer:innen sprechen die Eindrücke von Menschen zum Bildungssystem an, verlangen aber keine verbindliche Veränderung. Deshalb sind sie auch anpassungsfähig und prinzipienlos: Sie verbinden sich mit allen, sie grenzen sich von nichts ab. Aktivist:innen entscheiden bewusst, mit wem sie kooperieren, und zwar hinsichtlich der angestrebten Veränderung. Influencer:innen hingegen tun das nur hinsichtlich ihres eigenen Nutzens: Sie machen dort mit, wo es ihnen etwas bringt. Und klar: Immer mal wieder tun sie was scheinbar Selbstloses, was Gemeinnütziges – aber auch das hat einen Nutzen, weil es es das Image zurechtrückt und die Angreifbarkeit der Influencer:innen verhindert.

Damit ist ein weiteres Problem verbunden, auf das Dejan im Litfass-Post aufmerksam gemacht hat: Die Influencer:innen haben oft keine Expertise. Sie übernehmen Argumente, Bilder und Denkfiguren, von denen sie sich versprechen, dass sie bei ihrem Zielpublikum funktionieren. Weil sie damit beschäftigt sind, Reichweite aufzubauen, fehlt ihnen die Zeit für die Arbeit in dem Gebiet, das sie als ihr Fachgebiet ausgeben. Tatsächlich haben sie aber nur ein Fachgebiet: Sich als Influencer:in zu vermarkten. Das sieht man daran, dass ihr eigenes Bild auf dem Titel ihrer Bücher zu sehen ist.

Letztlich entsteht ein dreifaches Problem:

  1. Influencer:innen nehmen Fachpersonen den Raum weg, um an echten Veränderungen und Lösungen zu erarbeiten.
  2. Sie bestärken das System, weil sie von seinen Dysfunktionalitäten abhängig sind.
  3. Sie liefern mit Scheinkritik allen einen Vorwand, die nichts ändern wollen, aber eine gehaltvolle kritische Diskussion simulieren wollen.

Influencer:innen sind ein guter Test, um echte Aktivist:innen zu erkennen: Wer mit Influencer:innen kooperiert, sie einlädt, ihre Arbeit ausstellt, mit ihnen gemeinsame Veranstaltungen bestreitet – denen ist die Reichweite ebenfalls wichtiger als die Sache. Das ist nicht verboten, dafür gibt es oft Gründe, die auch verständlich sind. Viele Menschen möchten gerne ein Buch schreiben, Vorträge halten, bekannt werden. Das ist legitim – aber es geht nur dann um die Sache, wenn die Fähigkeit erhalten bleibt, echte Expertise und kritische politische Sichtweisen von einer Reichweitenshow zu unterscheiden.

Bild: Dall-E, mit Dank an Axel Krommer


Title: Wie Bildungsinfluencer:innen die Bildungskrise bewirtschaften und verschärfen
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Source: SCH ::: Schule Social Media
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Date: September 23, 2024 at 06:51AM
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