Text: Horst Heller
Zeichnung: Jan P. Grüntjes
Dieser Beitrag als PDF
Hier geht’s zum neusten Blogbeitrag

Franca: Weißt du, was mein Großvater gesagt hat?
Franco: Woher soll ich das wissen?
Franca: Er hat gesagt, jeder Mensch hat eine Würde. Von Anfang an.
Franco: Was heißt „von Anfang an“?
Franca: Jeder Mensch, von Geburt an.
Franco: Auch schon ein neugeborenes Kind? Wenn es noch gar nichts kann?
Franca: Ja. Mein Großvater sagt, das steht sogar im Gesetz.
Franco: Im Gesetz? Super. … Was ist denn eine Würde?
Franca: Eine Würde ist …, eine Würde, … , ja was ist eine Würde?
Franca und Franco wohnen im gleichen Haus. Franco wohnt im Erdgeschoss und Franca zwei Stockwerke höher. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Nach dem Abendessen unterhalten sie sich gerne mit ihren Großeltern. Francas Großvater kommt oft zum Abendessen zu Francas Familie. Und Franco geht an drei Tagen in der Woche zum Abendessen zu seiner Großmutter ein paar Häuser weiter. Wenn Franca und Franco sich treffen, erzählen sie einander oft von diesen Gesprächen. Manchmal ist es ziemlich interessant, den Großeltern zuzuhören.
Würde: Jeder Mensch hat sie, und sie ist etwas Wertvolles
Gut zu wissen, dass das Gesetz von der Würde spricht. Aber Franco und Franca wissen nicht recht, was Würde ist. So viel haben sie aber schon verstanden: Sie gehört schon zu neugeborenen Kindern. Und auch der Mensch, der sich auf den Tod vorbereitet, hat sie. Er hat das Recht auf ein Sterben in Würde. Niemand darf sie ihm nehmen.
Wer oder was verleiht einem Menschen Würde?
Das fragen Franco und Franca ihre Großeltern. Bis sie sich wiedersehen, vergehen aber zwei Tage. Dann treffen sie sich in Francas Wohnung. Sie haben zusammen ein Video gesehen. Da wurde gezeigt, wie ein Kind zur Welt kommt und von den Eltern und der Schwester begrüßt wird.
Franca: Weißt du, was ich denke?
Franco: Nein. Woher soll ich das wissen?
Franca: Ich glaube, jeder Mensch ist was Besonderes.
Franco: Find ich gut. Wie kommst du da drauf?
Franca: Dieses Kind ist doch was Besonderes. Die freuen sich alle, dass es auf der Welt ist.
Franco: Und dein Großvater hat gestern gesagt, dass jeder Mensch eine Würde hat. Kommst du deshalb darauf?
Franca: Das hat er nicht gestern gesagt.
Franco: Aber das hat er gesagt.
Franca: Ja.
Franco: Ich habe auch meine Großmutter gefragt, was sie zu der Würde meint. Sie sagt: Wenn ein neues Menschenkind geboren wird, dann ist es, wie wenn Gott die Welt ein bisschen neu macht.
Franca: Meinst du, dass die Würde was mit Gott zu tun hat?
Die Würde des Menschen steht im (Grund-) Gesetz. Aber wie kommt sie da hinein?
Gut, dass Franco mit seiner Großmutter darüber gesprochen hat. Christlich-theologisch hat Gott dem Menschen seine Würde gegeben. Der Mensch ist zwar ein „Produkt“ der Evaluation – so sehen es auch Franca, Franco und ihre Großeltern. Aber die Großmutter meint, jeder Mensch sei dennoch keine Laune der Natur, sondern von Gott gewollt, und zwar so wie er ist. Jedes neue Menschenkind ist ein Zeichen, dass die Schöpfung Gottes noch nicht beendet ist. Was aber geschaffen wird, ist gewollt.
Haben nicht auch Tiere eine Würde?
Richtig. Auch nichtmenschliche Kreaturen sind Geschöpfe Gottes und haben deshalb eine eigene Würde. Der Mensch aber unterscheidet sich von ihnen, weil er eine Aufgabe hat. Er soll die Würde aller Geschöpfe schützen. Die Menschenwürde ist mit dieser Aufgabe verbunden.
Gibt es ein anderes Wort für Menschenwürde?
Franca und Franco wissen nämlich noch immer nicht genau, was das Wort bedeutet. Wenn sie jetzt ihre Großeltern hätten fragen können, dann hätten sie vielleicht geantwortet: Jede und jeder ist einzigartig. Deshalb trägt das Kind einen Namen, der es besonders macht. Die Großeltern hätten sicher auch gesagt: Jeder hat das Recht auf Respekt, auf Anerkennung und auf ein gutes Leben. Dieses Recht ist, wie oben schon angedeutet, mit Pflichten verbunden.
Halten wir fest: Menschenwürde bedeutet (unter anderem) Anerkennung
Wenn das für jede und jeden gilt, sind alle Menschen gleichermaßen wertvoll, so verschieden sie auch seien. Die Menschenwürde ebnet Unterschiede ein, die es früher noch gab. Menschenwürde ist etwas, das nicht unterscheidet, wo ein Mensch geboren wurde, ob das Kind ein Junge oder ein Mädchen ist, ob sie oder er gesund, beeinträchtigt oder hilfsbedürftig ist.
Die Menschenwürde ist unantastbar, aber nicht unverletzlich
Im echten Leben ist es nicht egal, ob ein Kind in Deutschland oder Nordkorea geboren wurde. In Afghanistan macht es einen Unterschied, ob das neugeborene Kind ein Junge oder ein Mädchen ist. In den meisten Ländern Ländern führen Kinder reicher Eltern ein anderes Leben als solche aus prekären Verhältnissen. Aber wir müssen nicht in ferne Länder schauen. Auch in unserer Umgebung gibt es Kinder, die ohne Frühstück in die Schule gehen. Auch in unseren Klassen sitzen Mädchen und Jungen, die einsam sind. Die Menschenwürde verlangt, dass Kinder da, wo sie aufwachsen, ein gutes Leben haben. Zur Erinnerung: Die besondere Aufgabe des Geschöpfes Mensch besteht darin, die Würde der anderen Geschöpfe zu schützen. An Ungleichheit, Kinderarmut und Einsamkeit dürfen wir uns nicht gewöhnen.
Ist das nicht kalter Kaffee?
Franco und Franca stimmen dem zu. Aber sie wussten das alles schon. Würde muss doch noch etwas anderes sein! Die beiden Kinder beschließen, noch einmal Francos Großmutter zu fragen. Am nächsten Tag sehen sie sich in der Schule.
Franco: Gestern war ich bei meiner Großmutter.
Franca: Mach es nicht so spannend! Was hat sie gesagt?
Franco: Sie hat gesagt: Jeder Mensch trägt eine unsichtbare Krone.
Franca: Eine unsichtbare Krone? Aber Kinder tragen doch keine Krone!
Franco: Die Erwachsenen ja auch nicht. Aber das hat sie gesagt.
Würde ist eine unsichtbare Krone, die jeder Mensch trägt.
Franco und Franca müssen ein bisschen nachdenken. Königinnen und Könige gibt es nur noch wenige in Europa. Auch tragen sie nicht alle eine Krone, oft nicht einmal bei zeremoniellen Anlässen. Aber sie werden in besonderer Weise respektiert. Sie zu beleidigen steht in manchen Ländern unter Strafe. Allerdings ist die königliche Würde auch mit Verpflichtungen verbunden.
Würde hat nichts mit Macht zu tun
Herrscher, die autoritär regieren und den Menschen ihres Landes elementare Rechte nehmen, sind übrigens keine Könige. Sie nennen sich in der Regel Präsidenten. In Wahrheit sind sie Autokraten, Gewaltherrscher, Diktatoren. Die Könige Europas haben hingegen seit Jahrzehnten keine Macht mehr und wollen sie auch nicht zurück.
Warum ist das für Franca und Franco wichtig?
Weil auch die Kinder in einer Welt leben, die nicht von ihnen regiert wird. Erwachsene entscheiden für sie. „Kinder an die Macht!“ ist keine Wirklichkeit und wird auch Kindern nicht gerecht. Erwachsene sollten ihre Entscheidungen nicht von den Voten der Kinder abhängig machen. Der Respekt gegenüber Kindern äußert sich eher darin, dass sie in allen Fragen, die sie betreffen, angehört werden. In dem Umfang, in dem sie für die Folgen ihrer Entscheidungen bereits einstehen können, werden Kinder auch mehr und mehr selbst bestimmen.
Blogbeiträge auf http://www.horstheller.de
08.05.2019: Der Jahrhundertschritt – Aus Anlass des 70. Jahrestags des Grundgesetzes eine Erinnerung an Wolfgang Mattheuers Plastik aus dem Jahre 1984
14.11.2021: Am Volkstrauertag denke ich an Hugo. Er starb nicht für Deutschland. Er starb.
10.07.2022: Die Zeit ist kaputt, Christian.” Dürfen wir trotz Corona, Klima und Ukraine den Sommer genießen? Was sagt Paul Gerhardt dazu?
05.11.2023: “Nicht auf den Stufen der Feldherrnhalle!” Wenn der Ort einer demokratischen Rede wichtiger ist als ihr Wortlaut.
14.07.2024: Man muss nicht links stehen, um gegen rechts zu sein. Eine Erinnerung an die „Silent Heroes“ und eine Mahnung für die Gegenwart
10.11.2024: Migration soll die Mutter aller Probleme sein. Wenn das stimmt, wer ist dann die Großmutter? Ein Kommentar
Title: „… wie eine unsichtbare Krone.“ Mit Kindern über Menschenwürde sprechen
URL: https://horstheller.wordpress.com/2025/01/25/wie-eine-unsichtbare-krone-mit-kindern-uber-menschenwurde-sprechen/
Source: Horst Heller
Source URL: https://horstheller.wordpress.com
Date: January 25, 2025 at 07:18AM
Feedly Board(s): Religion