Handyverbote oder gar Handytresore (!) sind das Resultat eines Diskurses, der durch pädagogischen Populismus, moralische Panik, verängstigte und wenig informierte Eltern, verunsicherte Lehrende, Kulturpessimismus, Bewahrpädagogik, qualitativ minderwertigen Bildungsjournalismus, digitalen Dualismus und eine positivistisch-verengte, effizienzorientierte Sicht auf Schule und Bildung geprägt ist.
Diejenigen, die sich für Handyverbote aussprechen, betonen häufig im selben Atemzug, dass es ihnen nicht um die prinzipielle Verbannung digitaler Technik aus dem Unterricht gehe.
Schließlich wisse man, was Lernen in der Kultur der Digitalität bedeute und wie man innovativen Unterricht organisiere. Verbieten wolle man nur die unkontrollierte Nutzung privater Handys. Mit schulisch-administrierten Geräten lasse sich dann gezielt und lernförderlich arbeiten.
Diese Argumentation klingt auf den ersten Blick plausibel. Im Folgenden soll kurz gezeigt werden, warum sie unhaltbar ist.
Auftritt Kant.
„Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?”, fragt Kant 1803 in seiner Schrift „Über Pädagogik“ und benennt damit die grundlegende Antinomie schulischer Erziehung.
Auf der einen Seite stehen Vertrauen und Freiheit, auf der anderen Kontrolle und Struktur. Lehrende müssen immer wieder neu entscheiden, wo sie ihre eigenen pädagogischen Schieberegler zwischen diesen beiden Polen setzen: Wieviel Vertrauen und Freiheit kann man gewähren, wie viel Kontrolle und Struktur ist noch notwendig, um Lernen und Lernende bestmöglich zu fördern?
Pauschale und schulweite Handyverbote sind zunächst vor allem eins: Ausdruck minimalen Vertrauens, das zu einer maximalen Einschränkung der Freiheit führt.
Und wenn der schulweite Schieberegler erst einmal bis zum Anschlag in Richtung Kontrolle und Struktur geschoben wurde, wird es schwierig bis unmöglich, den Lernenden zu vermitteln, dass man ihnen bei der Nutzung schulischer Geräte vertrauensvoll die Freiheiten gewährt, die für lernförderliches Arbeiten mit digitalen Medien notwendig ist.
Und tatsächlich ist auch der Umgang mit schulischen Geräten vor allem durch Kontrolle geprägt: „Didaktische“ Software operiert in der Regel nach dem Grundsatz „Command and Control“ und dient insbesondere dazu, das Klassenzimmer in ein Panopticon zu verwandeln, in dem klick- und millisekundengenau nachgehalten werden kann, ob Lernende sich weiterhin auf den vorgefertigten Pfaden bewegen.
Unterstützt wird dieses Vorgehen durch die empirische Bildungsforschung, die drei „generic dimensions of teaching quality“ (Praetorius et al. 2018), herausgearbeitet hat, zu denen das „classroom management“ gehört. Im Anschluss an Kounin (1970) wird hier für „Allgegenwärtigkeit“ („withiness“) plädiert: Lehrende sollen den Lernenden das Gefühl geben, dass ihnen nichts entgeht, weil sie auch auf dem Rücken Ohren und Augen haben.
Wie unter diesen Voraussetzungen mit digitalen Medien gearbeitet werden soll, hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) sehr deutlich formuliert:
„Für die Gestaltung digital gestützten Unterrichts bedeutet dies die Notwendigkeit einer effektiven Klassenführung, in der Zeitpunkt und Art der Verwendung digitaler Medien klar durch die Lehrperson instruiert werden […].“ (SWK 2022, S. 43).
Das Problem besteht darin, dass sich die Potenziale digitaler Medien nicht in einem Klima entfalten können, das durch Misstrauen und Kontrolle geprägt ist und in dem die Lehrperson bestimmt, wann und wie digitale Technik eingesetzt wird.
Eine Schule, die zunächst ein Verbot privater Handys beschließt und dann die Arbeit mit digitalen Geräten nur zulässt, wenn sie schulisch-kontrolliert und von Lehrpersonen initiiert wird, macht den sinnvollen Einsatz digitaler Technik doppelt unwahrscheinlich bis unmöglich.
In den nächsten Monaten werden wir jedoch erleben, dass Schule um Schule die Schieberegler einseitig auf „Kontrolle und Struktur“ setzt.
Denn es ist wesentlich schwieriger und langwieriger, ein Schulklima des Vertrauens zu schaffen und mit dem Verlust von Kontrolle pädagogisch sinnvoll umzugehen als ein Handyverbot zu verhängen, das in der Presse für Schlagzeilen sorgt.

Literatur:
Kant, Immanuel (1803): Über Pädagogik. Königsberg: Friedrich Nicolovius.
Kounin, Jacob Sebatian (1970): Observing and delineating technique of managing behavior in classrooms. Journal of Research and Development in Education, 4 (1), 62–67.
Praetorius, Anna-Katharina / Klieme, Eckhard / Herbert, Benjamin / Pinger, Petra (2018) Generic dimensions of teaching quality: the German framework of Three Basic Dimensions. In: ZDM 50, S. 407–426. https://doi.org/10.1007/s11858-018-0918-4
Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) (2022). Digitalisierung im Bildungssystem: Handlungsempfehlungen von der Kita bis zur Hochschule. Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). http://dx.doi.org/10.25656/01:25273
Title: Wie man mit Kant gegen Handyverbote argumentiert
URL: https://axelkrommer.com/2025/03/26/wie-man-mit-kant-gegen-handyverbote-argumentiert/
Source: Bildung unter Bedingungen der Digitalität
Source URL: https://axelkrommer.com
Date: March 26, 2025 at 11:58AM
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