DOMRADIO.DE: Frau Blazek, Gemeindeteams sind noch ein recht junges Modell von verantwortlicher Laienmitgestaltung bzw. -leitung. Die ersten gehen gerade an den Start. Auch Sie in St. Severin – eine Gemeinde, die gemeinhin als fortschrittlich und experimentierfreundlich gilt – wollen etwas Neues ausprobieren. Welche Chance liegt in Gemeindeteams?
Annette Blazek (Pastoralreferentin in St. Severin Köln und Mitglied im neuen Gemeindeteam): Vor allem die, ein Stück Abstand nehmen zu können von dem priesterlich-zentrierten Kirche-Sein und ein synodaleres Kirchenbild zu leben und weiterzuentwickeln. Inwiefern das gelingt, wird die Zukunft zeigen, denn wir sind ja gerade erst losgegangen. Ich hoffe aber, dass wir damit von dem alten Denken wegkommen und die Frage "Was sagt denn der Pastor dazu?" zunehmend in den Hintergrund gerät, stattdessen eine andere Sicht mit der Fragestellung "Was sagt denn die Gemeinde dazu?" an Bedeutung gewinnt.
DOMRADIO.DE: Gab es denn in Ihrer Gemeinde die Notwendigkeit, über eine neue Leitungsform nachzudenken?
Blazek: Jedenfalls war es nicht so, dass wir sofort "hier" gerufen haben, als das Bistum dieses Modell beworben hat. Vielmehr wussten wir seit Jahren, dass sich mit dem Ruhestand unseres Pfarrers in diesem Sommer nach 31 Jahren etwas ändern würde. Es war also eine Veränderung mit Ansage, die uns Gelegenheit gegeben hat, bereits lange im Vorfeld zu überlegen, was dann kommen soll. Klar war, dass es für St. Severin keinen eigenen leitenden Pfarrer mehr geben würde, dass wir zur pastoralen Einheit Köln-Mitte zählen und dass dann Dominik Meiering als leitender Pfarrer aller Kölner Innenstadtkirchen für uns mitzuständig sein würde. Also haben wir uns schon ein paar Jahre – mit einer kleinen Corona-Denkpause – Gedanken darüber gemacht, wie wir das dann vor Ort regeln können. Ehrlich gesagt, kam das Modell vom Bistum erst weit nach unseren eigenen Überlegungen.
Dr. Giovanni Gullotta (Arzt, Kirchenvorstandsmitglied und Mitglied im neuen Gemeindeteam): Unser ehemaliger Gemeindereferent Frank Reintgen hat diesen Denkprozess lange Zeit sehr konstruktiv und mit großer Unterstützung begleitet. Als wir unser Konzept dann Pfarrer Meiering vorgestellt haben, hat ihm die Idee gut gefallen. Der Arbeitstitel zu diesem Modell, das sich vielleicht sogar aus unseren ersten Überlegungen ergeben hat, ist inzwischen vom Erzbistum mehrfach geändert worden. Hieß es am Anfang noch "Gemeindeleitungsteam", was nicht allen genehm war, lautete die Bezeichnung zwischendurch dann "Team von Verantwortlichen", die wir zunächst gerne übernommen haben. Da dieser Begriff aber auch etwas sperrig war, hat man dann seitens des Bistums offensichtlich entschieden, "Gemeindeteam" sei der Begriff der Stunde. Allerdings hätte uns die Definition mit dem Zusatz "Leitung" besser gefallen.
DOMRADIO.DE: Zukünftig wird die Kirche mehr noch als früher von Menschen leben, die sich ehrenamtlich engagieren. Wie kam es dazu, dass Sie Lust auf Pionierarbeit hatten?
Gullotta: Unser ehemaliger Pfarrer hat immer schon viel zugelassen und uns Ehrenamtliche auch stets ermutigt, vieles selber zu machen. Innerhalb der Gemeinde – das haben wir dann festgestellt – wurde oft unterschieden zwischen der "Kirche hier" und der "Kirche in Köln", der Zentrale – wenn man so will. Da haben wir dann überlegt, dass wir so viel wie möglich von dem bewahren wollen, was die Leute hier an dieser Kirche am Ort schätzen, um nicht in der Einheit Köln-Mitte anonym unterzugehen. Ein Gemeindeteam schien uns da die einzige Möglichkeit, unser Profil zu retten.
DOMRADIO.DE: Mussten Sie nicht dicke Bretter bohren?
"Wer Fragen stellt, ob er etwas machen darf, bekommt eine Antwort, die ihm möglicherweise nicht passt. Wer aber einfach macht, ohne zu fragen, ist schon mal losgelaufen und kann nicht so schnell wieder zurückgeholt werden."
Blazek: Wir hatten ja nichts zu verlieren. Hinzu kommt, wer Fragen stellt, ob er etwas machen darf, bekommt eine Antwort, die ihm möglicherweise nicht passt. Wer aber einfach macht, ohne zu fragen, ist schon mal losgelaufen und kann nicht so schnell wieder zurückgeholt werden. Natürlich kann uns durchaus passieren, dass wir erst einmal Anfängerfehler machen, weil wir ja auf dem Gebiet der Gemeindeleitung noch keinerlei Erfahrungswerte haben. Im Übrigen ist uns auch nicht unbedingt wichtig, als Pioniere unterwegs zu sein, sondern überhaupt erst einmal in den Startlöchern zu stehen.
DOMRADIO.DE: Es ist noch gar nicht lange her, da war die Welt in Ihrer Gemeinde noch in Ordnung. Es gab einen Pastor am Ort, bei dem die Fäden zusammenliefen, der aber gleichzeitig auch delegieren konnte und vieles vertrauensvoll in Laienhand gegeben hat. Davon können andere Gemeinden nur träumen, weil dieses System ziemlich geräuschlos funktioniert hat. An welcher Stelle müssen Sie nun umdenken?
"In keinem Fall wollen wir Kontrolle ausüben – auch wenn letztlich jemand die Verantwortung übernehmen und den Hut aufhaben muss."
Gullotta: Trotz dieser vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt stellen wir jetzt fest, dass eine Vielzahl an Entscheidungen doch relativ zentralistisch getroffen wurde. Hier sehen wir für uns die Aufgabe, die Autonomie aller Mitarbeitenden – auch im Pfarrbüro oder im Besucherservice – zu stärken. Wir wollen anderen mehr zutrauen. Dazu müssen wir gar nicht mal neben KV und PGR eine neue Leitungsebene einziehen, sondern wir wollen das Gremium sein, das leitet, zulässt und sowohl die haupt- als auch ehrenamtlichen Mitarbeitenden ermuntert, eigene Entscheidungen zu treffen. Denn in keinem Fall wollen wir Kontrolle ausüben – auch wenn letztlich jemand die Verantwortung übernehmen und den Hut aufhaben muss.
Blazek: Um im Bild zu bleiben: Unsere Welt ist immer noch in Ordnung – auch wenn der Pastor nun weg ist und mancher sorgenvoll gedacht hat, jetzt ginge mit dem Ruhestand von Pfarrer Quirl alles den Bach runter. Aber unsere Welt ist nun auf andere Weise und neu in Ordnung. Wir versuchen, diesen Übergang aufzufangen und zu gestalten. Irgendwann im Verlauf dieses Entwicklungsprozesses kam uns die Idee, dass wir die Funktion der bisher in einer Person bestehenden Leitung dreiteilen könnten: den Teil des kanonischen Pfarrers im Sinne einer Letztverantwortung übernimmt Pfarrer Meiering, den seelsorglichen Teil übernimmt unser neuer priesterlicher Seelsorger am Ort, Kaplan Sven Thomsen, und die Entscheidungen für den Ort und am Ort übernimmt das Gemeindeteam. Das klappt nicht immer trennscharf, aber mit diesem Konzept haben wir versucht, die neue Vorgehensweise auch den Gemeindemitgliedern zu erklären.
DOMRADIO.DE: Wie schwer war es überhaupt, ein Team, das Freude am gemeinsamen Arbeiten hat und auch daran, eine Vorreiterrolle einzunehmen, zusammenzustellen? Wie haben Sie sich gefunden?
Blazek: Da wir ja schon früh wussten, dass wir eines Tages ohne eigenen Pastor dastehen würden, haben wir bereits vor etwa fünf Jahren eine kleine Gruppe aus einem PGR-Mitglied, einem KV-Mitglied, einer langjährigen Caritas-Mitarbeiterin und einem Mitglied des Seelsorgeteams gebildet, die viel Brainstorming gemacht und auch Gemeinden außerhalb unseres Bistums besucht hat, wo es solche Strukturen schon gibt, nur um dann festzustellen, dass das, was woanders existiert, nicht eins zu eins auf uns übertragbar ist, sondern wir eine ganz individuelle Lösung brauchen, wenn wir unser Schicksal mehr in die eigenen Hände nehmen möchten.
Jede Gemeinde muss da das für sie Passende finden. Und so sind wir auf die Idee gekommen, die Mitglieder des Gemeindeteams nur aus den bestehenden Gremien zusammenstellen, weil wir doch sehr vom demokratischen und synodalen Gedanken durchwirkt sind und diese Gremiumsvertreter ein Mandat haben, sich folglich niemand für diese Aufgabe selbst ermächtigt. Das war uns ganz wichtig. Und so haben sowohl PGR als auch KV jeweils zwei aus ihren eigenen Reihen für das Team gewählt. Nun verfügen wir über eine bunte Mischung an Teammitgliedern mit sehr unterschiedlichen Professionen: Dazu gehören ein Archivar, eine Lehrerin, ein Arzt, eine Sozialarbeiterin und eine Theologin. Da wir alle noch berufstätig sind, haben wir die Vereinbarung, dass nicht immer alle fünf da sein müssen, sondern es reicht, wenn es drei sind. Alle sind gleichwertig und gleich wichtig. Jeder kann also auch mal fehlen.
"Es kommt auf jeden Einzelnen aus der Gemeinde an, auf jeden, der Kirche mitgestalten will – und nicht nur auf die Mitglieder dieses Gemeindeteams."
Um diesen Aspekt der Parität und des Gedankens, dass die Gemeinde es ist, die alles lebendig macht, für alle sichtbar zu betonen, haben wir bei unserer offiziellen Beauftragung allen Gottesdienstbesuchern einen Schlüssel geschenkt mit dem Hinweis, es kommt auf jeden Einzelnen aus der Gemeinde an, auf jeden, der Kirche mitgestalten will – und nicht nur auf die Mitglieder dieses Gemeindeteams. Du bist der Schlüssel – das sollte die Botschaft sein.
DOMRADIO.DE: Wie beantworten Sie für sich die Akzeptanzfrage? Gibt es Rückhalt für die nun gewählte Form der Leitung unter den Gläubigen?
Gullotta: Sicher gibt es in der Gemeinde auch eine gesunde Skepsis. Da wird schon ganz genau geschaut, was wir jetzt machen. Aber da uns alle gut kennen – auch von den zwei Pfarrversammlungen, die wir zum Modell "Gemeindeteam" angeboten haben – gibt es, soweit wir das erleben, keine Akzeptanzprobleme. Dabei spielt sicher gerade die Tatsache, dass wir aus den Gemeindegremien PGR und KV kommen, eine große Rolle, weil das eine gewisse Legitimation mit sich bringt und sich niemand aufschwingt, plötzlich eigenmächtige Entscheidungen an den gewählten Gremien vorbei zu treffen. Und wir geben inzwischen auch in jeder unserer Sitzungen eine Art Rechenschaft über das ab, was wir tun. Was wir im Übrigen auch zukünftig für jeden ersten Sonntag im Monat in einer der Hauptmessen planen, um größtmögliche Transparenz zu schaffen: berichten, womit sich das Gemeindeteam im Moment beschäftigt.
"Als Laienteam müssen wir viel mehr noch auf die Kraft der Argumente setzen."
Blazek: Wir haben den strukturellen Nachteil oder Vorteil – je nach dem, wie man das sieht – dass wir alle nicht geweiht sind. Das heißt, einen Priester, der qua Amt Autorität und Respekt genießt, wie wir es seit 2000 Jahren kennen – dieser Mechanismus gehört gewissermaßen ja zur katholischen DNA – gibt es bei uns nicht mehr, so dass wir als Laienteam viel mehr noch auf die Kraft der Argumente setzen müssen. Auf der anderen Seite haben wir den Vorteil, dass wir zu fünft denken, unsere Meinung auch untereinander austauschen können und eine wichtige Entscheidung nicht an einem Einzelnen hängt. Einen Priesterbonus haben wir folglich nicht.
DOMRADIO.DE: Apropos: Wie weit gehen denn in einer doch nach wie vor sehr klerikal strukturierten Hierarchie die Leitungskompetenz und Entscheidungsbefugnis von Gemeindemitgliedern?
Blazek: Das ist eine typisch deutsche Frage: Was wäre wenn? Wer darf im Zweifelsfall wann was entscheiden? Wo werden Kompetenzgrenzen gezogen? Da ergeht man sich vorher erst einmal in allen denkbaren theoretischen Szenarien, ohne in die Praxis zu kommen. Genau darum aber geht es uns: erstmal loslaufen und machen. Wir wissen, dass es Pfarrer Meiering wichtig ist, dass der Laden funktioniert. Und solange er weiß, dass ein Rädchen ins andere greift, will er gar nicht als Vetorechtsinhaber dazwischen grätschen. Wir bauen da auf ein Grundvertrauen: Macht mal, entscheidet mal, lauft mal…" Kritischer sehe ich unser Modell im Kontext zukünftiger Bistumsstrukturen. Was wir gerade zu realisieren versuchen, funktioniert zwar in unserer speziellen Konstellation hier am Ort gut. Das muss aber nicht bedeuten, dass solche Errungenschaften auch personen- und pfarrerunabhängig verstetigt werden können.
DOMRADIO.DE: In Ihrem aktuellen Pfarrbrief sprechen Sie von einer "bleiernen Schwere, die in die Kirche von Köln Einzug gehalten habe". Ist das Gemeindeteam nun eine Chance, nochmals ganz neue Akzente zu setzen und Aufbruchstimmung zu verbreiten?
"Wir haben hier das geflügelte Wort vom ‚gallischen Dorf’: dass wir hier die Dinge ein bisschen anders machen, als es von der Zentrale vielleicht vorgegeben wird."
Gullotta: In St. Severin sind wir ja immer schon stolz darauf gewesen, dass wir ein bisschen anders ticken, als die Kirche andernorts wahrgenommen wird. Wir haben hier das geflügelte Wort vom "gallischen Dorf": dass wir hier die Dinge ein bisschen anders machen, als es von der Zentrale vielleicht vorgegeben wird. Nachdem unser alter Pfarrer, der an dieser Stimmung maßgeblich beteiligt ist, in den Ruhestand gegangen ist, haben wir gesagt, dass wir das nicht aufgeben, weiterhin eine aktive Gemeinde bleiben und selbst gestalten wollen. Natürlich begreifen wir die Möglichkeit, Leitungsverantwortung als Gemeindeteam zu übernehmen, als riesige Chance und haben Freude an diesem Gestaltungsspielraum.
Blazek: Neue Ideen kommen automatisch, wenn man die Freiheit spürt, dass überhaupt etwas Neues entstehen darf. Und diesen Eindruck habe ich, dass Ideen entstehen dürfen – eben in dem benannten Geist. Wir sind immer schon ein bisschen frecher, aber auch mutiger als die anderen gewesen. Wir fragen nicht immer, sondern machen erstmal.
DOMRADIO.DE: Im Bistum setzt man auf den Schneeballeffekt, dass sich möglichst viele Menschen in den Gemeinden zu solchen Gemeindeteams entwickeln. Ist das das Modell der Zukunft?
Gullotta: Uns ist natürlich klar, dass ohne den Priestermangel das Modell "Gemeindeteams" vermutlich für die Kirche in Köln keine Option wäre. Aber das hindert uns nicht daran, trotzdem mit Freude auszuprobieren, was dieses Modell an Chancen bietet.
Blazek: Ob es "das" Modell der Zukunft ist, können wir erst beurteilen, wenn wir es eine Zeit lang selber erlebt haben. Dass es aber ein Modell ist, was sich lohnt, ausprobiert zu werden – davon bin ich fest überzeugt. Vielleicht wird es sich ein bisschen transformieren und vielleicht werden sich auch noch andere alternative Wege finden, die die Menschen, die Gemeinden, das normale Gottesvolk in den Mittelpunkt stellen. Wer weiß schon, was der Heilige Geist noch mit uns vorhat!
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.
Title: „Wir haben keinen Priesterbonus“ / Innenstadtpfarrei leistet bei Gemeindeleitung Pionierarbeit
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Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
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Date: September 28, 2024 at 07:58AM
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