Zukunftsvertrauen – Die #LaTdH vom 5. Januar

Herzlich Willkommen!

„Prüft alles und behaltet das Gute“ (1. Thess 5,21) aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki ist die Jahreslosung für das neue Jahr 2025. Die Jahreswende nehmen viele Menschen zum Anlass, darüber nachzudenken, was aus dem „Damals-Jahr“ in die „neue Zeit“ mitzunehmen – gelegentlich herüberzuretten – ist und was sich mit dem neuen Kalenderblatt bitte schön ändern soll. In den Medien grassierten in den vergangenen Tagen Astrologie- und Quacksalber-Meldungen, die durch Blicke in Kalender, Sternen- und Planetenkonstellationen Einblicke in die Zukunft versprechen. Auch Instagram ist voll mit solcherlei Esoterik.

Hinter jedem Trend, sei er auch noch so abstrus, stecken zumeist Bedürfnisse und Empfindungen, die sich auf diese (durchaus sonderbare) Weise ausdrücken. Das Gefühl großer Orientierungslosigkeit gehört wohl für viele Menschen zu dieser Jahreswende dazu. Dabei geht es nicht nur um die anstehende Bundestagswahl am 23. Februar, sondern offenbar um mehr: Das Gefühl, wir als Gesellschaft dringen gar nicht mehr zu den wirklich entscheidenden (Zukunfts-)Fragen durch. Eine Ermattung mit den Nachrichtenzyklen aus Schreckensmeldungen und Populismus. Ein Vertrauensverlust gegenüber Institutionen und führendem (politischen) Personal, der durch ihr Versagen und nicht wenige hausgemachte Fehler mitverursacht ist.

Mit der Jahreslosung gesprochen kann eine angemessene Reaktion auf diese große Verunsicherung nicht darin bestehen, alles Bestehende in Bausch und Bogen abzulehnen und wegzuwerfen. Quer zu den (kirchen-)politischen Debatten unserer Zeit verhandeln wir zum Beispiel stetig die Frage mit, welche Rolle Institutionen in unserem Leben noch oder wieder spielen sollen und können. Wie schaffen „wir“ es, gemeinsam zu handeln? Dafür braucht es ein Mindestmaß an Koordination, die Institutionen bereitstellen können. Eine „Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz) wird unter dem Transformationsdruck zerbrechen. Auch der Apostel Paulus beschreibt die notwendige Prüfung ja als gemeinschaftliche Aufgabe, als Gruppenarbeit, als Verständigungsprozess.

Zugleich bin ich davon überzeugt, dass es keine gute Antwort auf Verunsicherung ist, sich von alten, unbrauchbaren Antworten begeistern zu lassen, nur weil sie in neuem Gewand daherkommen. Die Prüfaufgabe nimmt uns niemand ab. Der neueste Eso-Trend ist ein gutes Beispiel für gefährlichen Eskapismus. Für die Gemeinde in Thessaloniki war hingegen die Erwartung der baldigen Wiederkunft Christi ein Fixpunkt, der sie vor Bindungen an gefährliche und gefährende Traditionen und Loyalitäten bewahrte. Ich würde mir davon wenigstens eine Schippe Zukunftsvertrauen ausleihen wollen. „Diesen Neuanfang brauchen wir immer wieder. Aber in diesen Zeiten sind wir besonders herausgefordert, diese Neuentdeckung zu machen,“ erklärt Kardinal Reinhard Marx (Erzbistum München und Freising) zum Jahresende, „um Zeugen der Hoffnung zu sein gegen diejenigen, die in Nationalismus und Ideologie ihre Zukunft sehen, die polarisieren und alte Gräben aufreißen“.

Nicht denjenigen gehöre die Zukunft, erklärt Marx, „die sich an progressive oder konservative Zeitströmungen oder Moden anpassen, oder die den Glauben ideologisch in einen Schrank packen, der nicht mehr geöffnet, sondern nur noch verteidigt werde – sondern den Pilgern der Hoffnung“. Was der römisch-katholische Kardinal mit dem Blick auf das Heilige Jahr seiner Kirche formuliert, scheint mir ein gutes Bild zu sein zum Jahreswechsel: Pilger:innen haben einen Plan davon, wo sie hinwollen. Pilger:innen brauchen Herbergen, um Kraft für den nächsten Wegabschnitt zu sammeln. Pilger:innen hoffen darauf, dass der Weg sie selbst verändert. Das Gute kann man nicht für sich behalten, sondern wird auf dem Weg zu finden sein.

Eine gutes neues Jahr wünscht
Philipp Greifenstein

PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von ihren Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.


Debatte

Dies ist die 375. Ausgabe der #LaTdH, unseres wöchentlichen Newsletters über die aktuellen und wichtigen Debatten aus Kirchen und Religionspolitik. Seit der ersten Ausgabe vom 18. Juni 2017 sind uns die Debatten nicht ausgegangen, die wir hier im Newsletter verhandeln. Auch wenn sich der Newsletter in den siebeneinhalb Jahren seither stark verändert hat: Die „Debatte“ ist und bleibt der Fixpunkt der #LaTdH.

Was ist das entscheidende Thema der Woche gewesen oder wird in den kommenden Tagen wichtig? Welche Stimmen aus Kirchen, Gesellschaft und Medien sind zur Kenntnis zu nehmen, wenn wir verstehen wollen, worum es geht? Welches Thema bedarf entgegen der sonstigen Aufmerksamkeitsökononomie unserer Aufmerksamkeit?

In der „Zeit zwischen den Jahren“ um Weihnachten und Jahreswechsel halten sich die originären Kirchennachrichten in engen Grenzen, obwohl die Kirchen zu kaum einer anderen Zeit so viel senden wie jetzt. In den Christvespern am Heiligen Abend kommen so viele Menschen zusammen wie sonst nur beim Public Viewing beim Fußball (aber wer erinnert sich schon noch an die Fußball-Europameisterschaft 2024?). Von den Kanzeln her werden zum Fest und am Altjahresabend / zu Silvester die großen Fragen gestellt: Wie wollen wir leben? Welche Hoffnung trägt uns? Was haben die Kirchen „der“ Gesellschaft zu geben?

Gott und seine Niederlage in der Wohlstandsgesellschaft – Reinhard Bingener (FAZ, €)

Anstatt mit der Tageskirchenpolitik befassen sich auch die Medien anlässlich von Weihnachten noch mit den großen Linien. In der FAZ unternimmt es Reinhard Bingener, nach der Bedeutung der Kirche(n) in unserer Gesellschaft zu fragen. Bingener schreibt aus der Perspektive der Säkularisierungsthese, nach der die Religion in der Moderne auf dem Rückzug ist: „Deutschland und viele andere europäische Länder stehen damit inzwischen an einem Kipppunkt hin zu einer postchristlichen Gesellschaft.“

Die Kirchen haben diesen Entwicklungen kaum etwas entgegenzusetzen. Zuerst litten sie darunter, dass sie nach dem 11. September 2001 für den islamistischen Terror in Mithaftung genommen wurden, weil über den Kollektivsingular „Religion“ alle Glaubensrichtungen in Misskredit gerieten. Seit bald zwanzig Jahren tragen die Kirchen durch ihren stümperhaften Umgang mit sexualisierter Gewalt aber auch selbst kräftig dazu bei, dass sich der Zusammenhang zwischen Gott und dem Guten auflöst.

Die Quittung dafür ist ein kämpferischer Atheismus in Teilen der Gesellschaft, der am liebsten jedes Kreuz von den Wänden und Berggipfeln reißen möchte. Fast noch gefährlicher für die Kirchen ist allerdings das verbreitete Desinteresse. Gott erleidet in der Wohlstands- und Unterhaltungsgesellschaft Sonntag für Sonntag kleine Niederlagen: gegen die Wandertour, gegen das Wellnesswochenende, gegen das ausgiebige Frühstück. Und die religiösen Fragen entschwinden darüber allmählich aus dem Gesichtsfeld.

An Bingeners Rundumschlag ist vieles sehr nützlich: Zum Beispiel die Gegenrede, den Wert der Religion vor allem an ihren positiven Wirkungen für das bürgerliche Wohlverhalten (und den ominösen „Zusammenhalt in der Gesellschaft“) festzumachen, Stichwort: stärkeres ehrenamtliches Engagement der Kirchenmitglieder. Weil Bingener aber, zu Recht, auch sieht, dass „das Projekt der säkularen Moderne“ „derzeit im globalen Maßstab eine Niederlage nach der anderen“ erleidet, stellt sich die Frage: Was tun?


Title: Zukunftsvertrauen – Die #LaTdH vom 5. Januar
URL: https://eulemagazin.de/zukunftsvertrauen-die-latdh-vom-5-januar/
Source: REL ::: Die Eule
Source URL: https://eulemagazin.de
Date: January 5, 2025 at 11:28AM
Feedly Board(s): Religion