Die infolge von Ferienreisen und allgemeinem Corona-Verdruss wieder ansteigenden Infektionszahlen, die kaum ausgeschärften Alternativen und Notfall-Protokolle zum in zwei Wochen in Hessen starten sollenden Präsenzunterricht ohne Einhaltung der Abstandsregeln sowie die noch wachsen müssende Erkenntnis, dass auch und gerade junge Menschen durch das Virus üble gesundheitliche und psychische Schäden erleiden können, macht eine zumindest temporäre oder teilweise Rückkehr in das Distanzlernen für einzelne und auch mehrere junge Lernende plausibel, so dass eine hybride Unterrichtsplanung unumgänglich erscheint – im Sinne eines Unterrichts, der einerseits in Präsenz-Form erfolgt, andererseits aber auch fehlenden Schülerinnen und Schülern die Mitarbeit von zu Hause aus und Lernerfolge ermöglicht.
Umso dankbarer können Lehrkräfte dabei für didaktische Hinweise sein, welche ihr als mal mehr, mal weniger erfolgreich wahrgenommenes Experimentieren mit digitalen Werkzeugen zu kontextualisieren und mit konkreten Auswahl- und Umsetzungsvorschlägen im Dienste eines gelingenden Lehr-Lernprozesses auch außerhalb des Schulgebäudes nachhaltig zu prägen imstande sind. – Derlei Hinweise haben Axel Krommer, Philippe Wampfler und Wanda Klee im Auftrag des Schulministeriums Nordrhein-Westfalen formuliert – konzipiert als ein didaktisches Unterstützungs- und Reflexionsangebot für angehende und nicht stehenbleiben wollende Lehrkräfte. Die sechs didaktischen Hinweise sollen „dazu beitragen, dass sich in der Phase des Distanzlernens vielfältige Lernchancen ergeben und gleichzeitig die sozialen Aspekte des Lernens angemessen gewürdigt werden. Sie sind nicht als starres Regelwerk zu verstehen, sollen aber Orientierung geben.“ (Bildungsportal des Landes NRW – dort gibt es neben einem Diskussionspapier auch konkrete Umsetzungsvorschläge, außerdem existiert ein entsprechender Videovortrag von Axel Krommer).
- So viel Empathie und Beziehungsarbeit wie möglich, so viele Tools und Apps wie nötig.
- So viel Vertrauen und Freiheit wie möglich, so viel Kontrolle und Struktur wie nötig.
- So viel einfache Technik wie möglich, so viel neue Technik wie nötig.
- So viel asynchrone Kommunikation wie möglich, so viel synchrone wie nötig.
- So viel offene Projektarbeit wie möglich, so viele kleinschrittige Übungen wie nötig.
- So viel Peer-Feedback wie möglich, so viel Feedback von Lehrenden wie nötig.
Meine Distanzlehren-Erfahrungen seit Mitte März bestätigen die Relevanz der sechs Problemfelder und decken sich auch weitestgehend mit den Empfehlungen: In den seit März von mir gestellten Aufgaben (Sammlung) in den Klassen 9 und 10 waren die Querbezüge zu anderen Beiträgen und Peerfeedback einfordernden Aufgabenstellungen in per Linkfreigabe mit Schreibrechten für alle geschalteten Google-Dokumente ein wesentlicher Baustein, viele Schülerinnen und Schüler evaluierten deren Einsatz als gewinnbringend und würdigten neben dem „sinnvollen Einsatz eines direkt bedienbaren digitalen Werkzeugs“ vor allem, „dass wir da miteinander zu tun hatten“ und „dass nicht ins Schwarze Loch“ hineingearbeitet wurde. – Nur von wenigen angenommen wurde leider das Experimentieren mit Flipgrid – die Installation einer App bzw. die Erfordernis einer Webcam, wahrscheinlich aber noch mehr die Scheu davor, eigene Beiträge als Video in die Flipgrid-Klassengruppe einzustellen und dann gegenseitig zu kommentieren, haben sich als zu hohe Hürden erwiesen. – Auch die „kleinschrittigen Übungen“ kamen in den Aufgaben zum Zuge: mit Hilfe verschiedener kostenlos nutzbarer Web-Angebote wurden für Englisch wesentliche Grammatik-Inhalte wiederholt und wach gehalten. Anders als bei den komplexen Aufgaben gab es hier ein automatisiertes Feedback, die falschen Beiträge wurden direkt markiert und über Links weitere Übungsmöglichkeiten geboten. – Das Feedback zu den komplexen Aufgaben sowohl in Englisch als auch in Religion hat für mich selbst trotz des teil integrierten Peer-Reviews einen unglaublichen Zeitaufwand bedeutet, in den praktischen Ausführungen zu dem 4. und 6. didaktischen Hinweis ist dies auch klar erkannt.
Entwicklungsbedarf habe ich bzgl. der Kommunikationsarbeit: Einerseits fordern junge Menschen und Eltern völlig zu Recht individuelle Rückmeldungen, andererseits schaffen ausführlichere Rückmeldungen, die dann ihrerseits nicht selten zu weiteren Nachfragen und Rückantworten führen (und dies vor allem nach Ablauf der gesetzten Fristen), zum schnellen Abschmelzen der zeitlichen Ressourcen – auch schon dann, wenn der eigene Terminkalender coronabedingt leergefegt ist. Experimentieren möchte ich in den nächsten Wochen und Monaten daher mit Video-Feedback, strukturierten Rückmeldeformularen (Rubriks/Kompetenzraster), außerdem mit Video-Sprechstunden, in denen effektiver kommuniziert werden kann als per Mail.
Der digitale Werkzeugkasten füllt sich in meinem Fall also wie folgt:
Es sind eigentlich nicht viele digitale Werkzeuge, mit denen die jungen Lernenden arbeiten sollen, wenn man genau hinschaut. Rechtliche Vorgaben und die immer weniger kostenlos in sinnvoller Weise verwendbaren Werkzeuge, die keine Registrierung fordern, lassen wenig Spielraum. Im Sinne der didaktischen Hinweise ist dieser Umstand aber durchaus verschmerzbar.