Start-up verspricht Babys mit „Wunsch-DNA“


Elizabeth Carr hat einen spannenden Job: Sie ist Leiterin der kommerziellen Entwicklung bei Genomic Prediction, einem Start-up für Gentests im US-Bundesstaat New Jersey. Nach eigenen Angaben kann es Embryonen, die in In-vitro-Fertilisations-Kliniken erzeugt wurden, seit Neuestem auf ihr zukünftiges Risiko für häufige Krankheiten untersuchen. Die Idee dabei: Eltern soll es ermöglicht werden, den gesündesten Embryo vor dem Einsetzen in die Gebärmutter auszuwählen.

Das Angebot ist umstritten. Kritiker sehen darin eine Art Eugenik für Endverbraucher. Das American College of Medical Genetics erklärte beispielsweise im März, dass die Tests für den Einsatz in der Medizin „noch nicht geeignet“ seien und bezeichnete sie als unbewiesen. Dennoch sprach sich die „Gesundheitsbewertung“ für Embryonen in den Medien herum, und Genomic Prediction beginnt nun damit, die Tests in Kinderwunschzentren und auf Konferenzen zu bewerben.

Carr, die auch für Vertrieb und Marketing zuständig ist, gibt hier die perfekte Sprecherin ab. Denn sie ist eine besondere Person: Als „Amerikas erstes Retortenbaby“ wurde sie berühmt. Sie wurde 1981 im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren, die zuvor in den USA noch nie durchgeführt worden war.

„Meine Eltern erklärten es so: Wir hätten dich nicht bekommen können ohne ganz spezielle Ärzte und die Wissenschaft“, erzählt sie im Gespräch mit MIT Technology Review. Eine besondere Erinnerung sei der Besuch einer Vorführung der Dokumentarreihe „Nova“, die Szenen ihrer Geburt zeigt. Sie saß dabei zwischen Howard und Georgeanna Jones, den Pionieren der IVF, die sie in einem Labor in Virginia erzeugt hatten. „Die beiden Wissenschaftler erklärten mir als Sechsjähriger wie Fußballkommentatoren, warum sie das und das taten“, lacht sie.

Carr wurde zunächst Gesundheitsjournalistin und arbeitete 15 Jahre lang für den Boston Globe, wo sie unter anderem über die Bombenanschläge beim Boston Marathon und die erste Gesichtstransplantation überhaupt berichtete. „Ich hatte meine erste Pressekonferenz, als ich drei Tage alt war“, sagt sie. „Reporter stellten mir auch danach ständig Fragen und ich dachte mir: Das kriege ich besser hin.“ Später wechselte sie in den Bereich des Ghostwriting und ins Marketing von IVF-Kliniken.

Bei IVF-Verfahren werden in der Regel mehrere Embryonen im Labor erzeugt. Genomic Prediction behauptet nun, dass seine Gentests Eltern dabei helfen können, den Embryo herauszufinden, der die geringste Wahrscheinlichkeit für ein Dutzend gängiger Krankheiten aufweist. Der soll dann bevorzugt in die Gebärmutter eingesetzt werden, damit es zur Schwangerschaft kommt. Bei den Tests werden Tausende von individuellen genetischen Unterschieden überprüft, was zu einem sogenannten polygenen Score führt. Das Testen kostet etwa 1.000 Dollar – pro Embryo. „Als ich geboren wurde, war das nicht einmal im Bereich des Möglichen. Es ist also wirklich aufregend“, sagt Carr.

Das Start-up behauptet, dass die Tests das Risiko einer Person für Herzkrankheiten, Schizophrenie und andere Krankheiten vorhersagen können. „Der Embryo-Gesundheitsscore ermöglicht es Eltern und dem Arzt, das gesamte Krankheitsrisiko der ihnen zur Verfügung stehenden Embryonen zu vergleichen“, erklärt Carr. „Wenn Sie sich Sorgen um das Diabetesrisiko in Ihrer Familie machen, können Sie sich drei Embryonen ansehen und sagen: Dieser hat im Vergleich zu den anderen beiden das geringste Gesamtrisiko.“

Das Start-up erstellte dazu Vorhersagewerte für eine große Anzahl von Geschwistern aus dem wirklichen Leben. Dann überprüften sie, ob ihre Genstatistiken dazu beitrugen, die tatsächlichen Unterschiede im Gesundheitszustand zu erklären. „Die Ergebnisse stimmten überein“, sagt Carr. „Auf diese Weise haben wir das validiert.“

Solche Embryonen-Scores werden weiter kontrovers diskutiert. Einige Genetiker bezeichnen sie als unbewiesen und sogar unethisch. Carr weist darauf hin, dass die IVF selbst einst ähnliche Bedenken hervorrief. „Ich will hier keine sehr, sehr offensichtliche Schlussfolgerung aus meinem eigenen Leben ziehen, aber es ist wirklich nicht anders“, sagt sie. Wer moralische Bedenken gegen den Test hat oder ihn ablehnt, solle ihn nicht durchführen lassen.

Doch es gibt wissenschaftlichen Widerstand. Kürzlich forderte eine Gruppe von Genexperten in der Zeitschrift „Science“ die US-Handelsaufsicht Federal Trade Commission auf, Werbung von Genomic Prediction zu überprüfen, wodurch Carrs Arbeit ins Rampenlicht gerückt wurde. Carr sagt, man habe bislang noch nichts von der Behörde gehört. „Ich glaube, dass dieser Widerstand auf Angst und mangelndem Verständnis beruht“, sagt sie. Wenn die Leute erst wüssten, wie die Tests funktionieren, dann sagten sie in neun von zehn Fällen, dass sie ganz anders seien als gedacht.

Dieselbe Art von Scoring, das die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Schizophrenie ermittelt, kann auch eine Aussage darüber treffen, wie groß jemand wird oder wie weit er in der Schule kommt. Der Bereich der Intelligenz ist aber der eigentliche gesellschaftliche Blitzableiter. Genomic Prediction bietet derzeit kein Scoring dafür an. „Theoretisch ist es wahrscheinlich möglich“, sagt Carr. „Ich glaube nur nicht, dass das in absehbarer Zeit passieren wird. Vielleicht irgendwann.“ Pläne dazu gebe es nicht. „Um ehrlich zu sein, haben wir alle Hände voll zu tun.“

Wie wird die Reproduktion in 40 Jahren aussehen? Eine schwierige Frage, meint Carr. „Ich denke, dass immer mehr Menschen IVF auch aus ganz neuen Gründen in Anspruch nehmen werden – und Gentests werden dabei eine wichtige Rolle spielen“, sagt sie. „Heute gibt es Fahrdienst-Apps wie Uber und Liefer-Apps, die einem zeigen, wann die Pizza kommt. Meine Generation und die der Jüngeren erwarten einfach mehr Daten.“ Gewisse Nachteile, Amerikas erstes Retortenbaby zu sein, sieht Carr unterdessen schon: „Über mein Alter kann ich nicht lügen und es ist etwas unangenehm, immer noch als Baby bezeichnet zu werden.“

(jle)



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Date: May 17, 2023 at 07:14AM
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