
Herzlich Willkommen!
„Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, welche der folgenden Parteien würden Sie dann wählen?“ – so oder ähnlich lautet die sogenannte „Sonntagsfrage“, die eine Reihe von Markt- und Meinungsforschungsinstituten jede Woche an zufällig ausgewählte Wahlberechtigte im niedrigen vierstelligen Bereich stellen. Aus den gewonnenen Antworten wird dann anhand verschiedener mehr oder weniger transparenter Kriterien eine „Projektion“ gebildet und veröffentlicht.
Das Interesse daran in Medien und Publikum ist groß, auch wenn Politikwissenschaftler:innen darauf hinweisen, man erhalte lediglich aktuelle „Stimmungsbilder“, keine Voraussage des tatsächlichen Wahlergebnisses. Anders als bei der allabendlichen Wettervorhersage gibt es beim „Politbarometer“ nicht nur versteckte Unsicherheiten durch eine selten mitgelieferte „Schwankungsbreite“, sondern auch mögliche Effekte auf das Wahlverhalten – unbewusst oder auch strategisch. Verständlich, dass angesichts der „Macht der Sonntagsfrage“ sogar über ihre Regulierung nachgedacht wird.
Prognosen ganz anderer Art finden sich im heutigen Tagesevangelium (Lk 6, 17.20-26). In den Seligpreisungen verheißt Jesus seinen Jüngern:
Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.
Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet gesättigt werden.
Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und wenn sie euch ausstoßen und schmähen und euren Namen in Verruf bringen um des Menschensohnes willen.
Freut euch und jauchzt an jenem Tag; denn siehe, euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den Propheten gemacht.
Doch weh euch, ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen.
Weh euch, die ihr jetzt satt seid; denn ihr werdet hungern.
Weh, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen.
Weh, wenn euch alle Menschen loben. Denn ebenso haben es ihre Väter mit den falschen Propheten gemacht.
Ach so, am kommenden Sonntag ist übrigens tatsächlich Bundestagswahl!
Seien Sie auf der Hut vor den falschen Propheten,
rät Ihnen Ihr Thomas Wystrach
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Debatte
Der am Dienstag veröffentlichte Brief des Papstes an die Bischöfe der USA ist eine für vatikanische Verhältnisse ungewöhnlich deutliche Intervention angesichts der seit dem ersten Tag der Trump-Regierung forcierten Misshandlung von Flüchtlingen und Migrant:innen ohne gültige Papiere in den USA, einem „program of mass deportations“, wie Franziskus schreibt:
Die Abschiebung von Menschen, die in vielen Fällen ihr Land wegen extremer Armut, Unsicherheit, Ausbeutung, Verfolgung oder schwerwiegender Umweltzerstörung verlassen haben, verletzt die Würde vieler Männer und Frauen sowie ganzer Familien und versetzt sie in einen besonders verletzlichen und schutzlosen Zustand.
In einem Fernsehinterview Ende Januar hatte der 2019 zum Katholizismus konvertierte neue Vizepräsident J.D. Vance den traditionellen theologischen Begriff der „Ordnung der Liebe“ („ordo amoris“) herangezogen, um die aggressive Politik der Trump-Administration zu rechtfertigen und diese Thesen anschließend auch auf „X“ veröffentlicht:
Du liebst deine Familie, dann liebst du deinen Nächsten, dann liebst du deine Gemeinschaft und dann liebst du deine Mitbürger in deinem eigenen Land. Und danach kann man sich auf den Rest der Welt konzentrieren und ihm Priorität einräumen.
Im diametralen Widerspruch zu den Ausführungen von J.D. Vance führt der Papst aus:
Christliche Liebe ist keine konzentrische Ausdehnung von Interessen, die sich nach und nach auf andere Personen und Gruppen erstrecken. Mit anderen Worten: Die menschliche Person ist kein bloßes, relativ expansives Individuum mit einigen philanthropischen Gefühlen! Die menschliche Person ist ein Subjekt mit Würde, das durch die konstitutive Beziehung zu allen, insbesondere zu den Ärmsten, in seiner Identität und Berufung allmählich reifen kann.
Der wahre „ordo amoris“, den es zu fördern gilt, ist der, den wir durch die ständige Betrachtung des Gleichnisses vom „barmherzigen Samariter“ (vgl. Lk 10,25-37) entdecken, das heißt durch die Betrachtung der Liebe, die eine Geschwisterlichkeit aufbaut, die für ausnahmslos alle offen ist.
Gerade in römisch-katholischen Medien in den USA blieben die eigenwilligen theologischen Bezugnahmen durch den Vizepräsidenten nicht unwidersprochen. „JD Vance liegt falsch: Jesus fordert uns nicht auf, unsere Liebe zu anderen zu bewerten“, schreibt Kat Armas im National Catholic Reporter (auf Englisch). Am selben Ort ordnet Christopher White die Auseinandersetzung „JD Vance vs. the Vatican“ in den Kulturkampf um die Identität des US-amerikanischen Katholizismus ein.
„Das Problem mit JD Vances Theologie des ‚ordo amoris‘ – und ihre Auswirkungen auf die Politik“ erläutert Stephen J. Pope in der Jesuiten-Zeitschrift America (auf Englisch). „Papst Franziskus‘ atemberaubende Rüge“ entlarve die dunkle Seele der MAGA-Ideologie, schreibt Greg Sargent im linksliberalen Politikmagazin The New Republic (ebenfalls auf Englisch).
Auch in Deutschland wurde das von J.D. Vance bemühte Konzept aufgegriffen. In seinem Beitrag bei der COMMUNIO versucht sich der Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger an einer „theologischen Korrektur“ der bisher dominierenden kirchlichen Position in der Migrationspolitik. Unter Bezugnahme auf die vom Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte „relative Autonomie der irdischen Angelegenheiten“ weist er darauf hin, ein politisches Gemeinwesen müsse „unter Abwägung vieler Gesichtspunkte“ eine Entscheidung treffen, wie viele Flüchtlinge und Zuwanderer es aufnehmen könne. Festgelegt sei man dabei keineswegs:
Ein politisch engagierter Christ kann zu der Ansicht kommen, dass wir noch mehr Menschen aufnehmen sollten und könnten, er kann aber auch zu dem Ergebnis kommen, dass das Gegenteil die politisch bessere Option ist und die Aufnahme drastisch zu reduzieren sei – in beiden Fällen selbstverständlich unter Berücksichtigung und möglicherweise auch Modifikation der rechtlichen Rahmenbedingungen.
Dem Versuch, in der aktuellen Migrationsdebatte in Deutschland oder den USA, mit einem theologischen Begriff wie dem „Ordo amoris“, der Ordnung der Liebe, zu argumentieren, widerspricht Thomas Eggensperger OP im Interview mit Mario Trifunovic bei katholisch.de. Der Professor für Sozialethik an der PTH Münster sieht historische Zitate aus den klassischen Schriften von Augustinus oder Thomas von Aquin aus dem Zusammenhang gerissen und instrumentalisiert. Mit der Empfehlung, die Kirchen sollten sich mit Stellungnahmen zur Politik zurückhalten, kann er wenig anfangen:
Natürlich ist es wohlfeil, die Kirchen in dem Augenblick zu kritisieren, wenn sie unangenehme Positionen vertreten. Aber die Kirchen haben – wie viele Einrichtungen auch – den Auftrag, sich politisch zu engagieren, und dann geht es darum, einen konstruktiven Beitrag zu leisten.
In seiner Replik besteht Schwienhorst-Schönberger darauf, der theologische Begriff der „Ordnung der Liebe“ gebe Orientierung:
Fragen der Migrationspolitik gehören in der Kirche zur katholischen Soziallehre. Dass man in der katholischen Soziallehre nicht mit dem Begriff der Liebe im Rückgriff auf Augustinus und Thomas von Aquin argumentieren kann, wie Eggensperger meint, verwundert. Papst Benedikt XVI. tut genau dies. Er hat seine Sozialenzyklika (sic!) aus dem Jahre 2009 unter den Begriff der Liebe gestellt, und zwar – und darauf kommt es hier an – unter den Begriff der „Liebe in der Wahrheit“ (Caritas in veritate).
Eine Spitze gegen Benedikts Nachfolger Franziskus schließt den Kreis:
Als absoluter Souverän des Kirchenstaates kann der Papst frei entscheiden, wer den Kirchenstaat betreten darf und wer nicht. In einem demokratischen Rechtsstaat geht das nicht so einfach; da muss man sich verständigen.
Das Verhältnis zwischen den beiden großen Kirchen und den Unionsparteien ist derzeit angespannt wie selten zuvor. Statt der traditionell engen Nähe zwischen Verbandskatholizismus und CDU ist inzwischen eine gegenseitige Entfremdung zu spüren, die in beiden Welten Engagierte vor massive Identitäts- und Loyalitätskonflikte stellt.
Die frühere CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer engagierte sich bis vor wenigen Tagen im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als Sprecherin für den Sachbereich „Nachhaltige Entwicklung und globale Verantwortung“. Ende Januar verließ sie das römisch-katholische Laiengremium mit großem Knall (vgl. dazu die #LaTdH vom 9. Februar). Auch in den katholischen Frauenverbänden brodelt es an der Basis weiter, das Abstimmungsverhalten der CDU-Abgeordneten Anja Karliczek (KDFB) bzw. Mechthild Heil (kfd) führt zu Rücktrittsforderungen. Marc Frings, Generalsekretär des ZdK, zeigt sich im Gespräch mit Benjamin Lassiwe dennoch optimistisch, was das grundsätzlich „sehr belastbare Verhältnis“ angeht:
Ich glaube, dass gerade bei Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts, bei bioethischen Fragen, bei Fragen der Europa- und Außenpolitik deutliche Schnittstellen zwischen kirchlichen Positionen und der Union vorhanden sind. Wir sehen auch, dass das grundsätzliche Verhältnis zwischen Staat und Kirchen von der Union ähnlich betrachtet wird, wie das etwa beim ZdK der Fall ist.
nachgefasst
Seit drei Jahren setzen sich LGTBQI+ in der römisch-katholischen Kirche mit #OutInChurch für Gleichberechtigung ein. Aus dem Coming-Out ist eine Bewegung geworden, die sich auch in der Politik einmischt. In verschiedenen Beiträgen ziehen Initiator:innen Bilanz und wagen Ausblicke:
Jens Ehebrecht-Zumsande spricht mit Michael Greder im „Eule-Podcast“ darüber, welche Chancen für Reformen der römisch-katholischen Lehre zur Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partner:innenschaften es überhaupt gibt – und worauf sich #OutInChurch nun konzentrieren will.
Auch wenn schon viel passiert sei – arbeitslos sei die Initiative nicht geworden, erklärt auch Rainer Teuber in seinem Beitrag „Ein Haus für alle?“ in der Herder Korrespondenz bzw. im dortigen Podcast „Mit Herz und Haltung“. Der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose zieht ein eher ernüchtertes Fazit – und erklärt bei Kirche + Leben (Paywall; Zusammenfassung bei katholisch.de), wie sich #OutInChurch angesichts des „autoritären Zeitgeists“ künftig aufstellen will.
Aus jüngsten Stellungnahmen der Initiative lasse sich deutlich die Ernüchterung darüber heraushören, dass viele der Kernanliegen von #OutInChurch nach wie vor nicht einmal im Ansatz bearbeitet worden seien, meint Matthias Altmann in seinem „Standpunkt“ auf katholisch.de. Doch queere Katholiken sollten sich nicht von ihrem Einsatz abbringen lassen. Das klingt sehr nach Durchhalteparole.
Im Dezember 2023 hatte Papst Franziskus mit dem Schreiben „Fiducia supplicans“ seine ablehnende Haltung zu Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare in der römisch-katholischen Kirche bekräftigt. Trotzdem wurde das Dokument des Dikasteriums für die Glaubenslehre in Deutschland teils begeistert zur Kenntnis genommen, obwohl es mit seiner „toxischen Barmherzigkeit“ eine „Pastoral subtiler Demütigung“ fortschreibe, wie der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hier in der Eule erklärte (dazu auch Philipp Greifensteins Artikel vom Veröffentlichungstag).
Buntes
Bis gestern fand die didacta, „die führende Fachmesse und Weiterbildungsveranstaltung für das gesamte Bildungswesen“, in Stuttgart statt. Bereits im Vorfeld hatte es Proteste dagegen gegeben, dass auch die AfD mit einem Stand in den Messehallen vertreten sein durfte. Ausgerechnet bei einer Branchenschau unter dem Motto: „Demokratie braucht Bildung – Bildung braucht Demokratie“. Die Publizistin Marina Weisband nutzte den ihr angetragenen Preis als „Bildungsbotschafterin der didacta“ dazu, ein deutliches Statement gegen Rechtsextremismus und Populismus abzugeben:
Demokratie stirbt nicht plötzlich. Vielmehr werden ihre Feinde Schritt für Schritt normalisiert, bis ihr Ende wie der nächste kleine Schritt in einer logischen Kette erscheint. Heute kann ich hier nicht stehen und bei dieser Normalisierung mitspielen.
Es ist meine demokratische, meine verfassungsmäßige Pflicht, dagegen aufzubegehren. Darum lehne ich diesen Preis ab. Mit großem Bedauern. Das mir wichtig als Signal an alle, die planen, diese Partei als normale Partei zu behandeln. Denn überall, wo sie ist, bindet die AfD die Debatte auf die Schattenseiten unserer Gesellschaft, nimmt den Scheinwerfer weg von Menschen, die so hart für Demokratie arbeiten.
Doch wir werden uns die Arbeit nicht verbauen lassen. Mit der gleichen Energie, wie wir Rechtsradikalismus ablehnen, arbeiten wir weiter an innovativen Bildungsformen, tauschen uns aus und lernen von einander.
Theologie
Die Predigt von Bischöfin Mariann Edgar Budde im Gottesdienst zum Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump und der Einspruch der beiden großen Kirchen in Deutschland gegen die Migrationspolitik der Unionsparteien haben dazu geführt, dass die Frage, was Geistliche in ihren Predigten sagen dürfen und wie sehr die Politik in die Predigt Einzug halten solle, wieder verstärkt diskutiert wird.
Für Regina M. Frey, Professorin für Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Homiletik in Fribourg (Schweiz), steht in dieser Debatte „wesentlich die Person des Predigers bzw. der Predigerin“, die ihre eigene Lebens- und Glaubensgeschichte mitbringt, im Vordergrund:
Wer predigt, der predigt auch immer sich selbst. (…) Anders als eine Journalistin, die im Idealfall weltanschaulich neutral informiert oder wertend kommentiert, spricht die Predigerin nicht nur auf der Grundlage des christlichen Glaubens, der Tradition und Lehre der Kirche, sondern vornehmlich als Person des Glaubens mit ihren individuellen Gotteserfahrungen. (…)
Wer aus eigener Glaubenserfahrung predigt und darum weiß, dass Christus hinter allen Ereignissen und Veränderungen als der Herr der Geschichte steht, dessen Predigt wird zur Hoffnungsbotschaft. Dies gilt auch für Predigten zum aktuellen Wahlkampf, zu gesellschaftlichen Verunsicherungen und zu Kriegssituationen.
Ein guter Satz
„Ich fordere alle Gläubigen der katholischen Kirche und alle Männer und Frauen guten Willens auf, sich nicht auf Erzählungen einzulassen, die unsere Brüder und Schwestern, die Migranten und Flüchtlinge sind, diskriminieren und ihnen unnötiges Leid zufügen.“
– Papst Franziskus, Schreiben an die Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika vom 10. Februar 2025
Title: Sonntagsfragen – Die #LaTdH vom 16. Februar
URL: https://eulemagazin.de/sonntagsfragen-die-latdh-vom-16-februar/
Source: REL ::: Die Eule
Source URL: https://eulemagazin.de
Date: February 16, 2025 at 08:48AM
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