An der Leine – Die #LaTdH vom 17. März

Woran scheitert die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche? Außerdem: Die „weiße Fahne“ des Papstes, UKA-Beschlüsse und Kritik am Katholikentag.

Herzlich Willkommen!

Was hat Papst Franziskus denn nun gemeint mit seinem „Weiße Fahne“-Sprüchlein, das er dem italienischsprachigen Schweizer Rundfunk RSI am vergangenen Wochenende in einem Interview aufgesagt hat? Wir werden es erst am Mittwoch erfahren, dann will der Sender das komplette Interview veröffentlichen. Denn das muss man all den vatikanischen Korrekturen, den journalistischen Kommentaren, den Urteilen der Expert:innen vorausschicken: Alle reagieren – wie bestellt – auf einen aufmerksamkeitsökonomisch geschickt zusammengekürzten Ausschnitt eines Fernsehinterviews.

Zur Erklärung des Papstes und seines Aufrufs zu Verhandlungen, der einseitig an die Ukraine ergangen ist, zogen verschiedene Kommentator:innen in den vergangenen Tagen kreative Erzählungen heran. Der Vaticanista der FAZ, Matthias Rüb, bemühte die lateinamerikanische Herkunft des Papstes (€), um dessen false balance zwischen dem Aggressor Russland und dem Westen, allen voran den USA, zu erklären. Vor allem aber sei das Nebeneinander von päpstlichen Gesprächsfetzen (s. hier) und vatikanischem Zurückrudern (s. hier) Ausdruck einer „amateurhaften Dissonanz der Botschaften“ der vatikanischen Diplomatie.

Andere Kommentator:innen verweisen auf Franziskus‘ Nähebedürfnis in Richtung des Moskauer Patriarchen Kyrill, sein fortgeschrittenes Alter, seinen Machismo, seine Erkrankungen etc., um seine zunehmend ungefilterten Auftritte zu erklären. Und irgendwer wird auch geschrieben haben, dass des Papstes Friedensappell nicht nur „antiimperialistisch“, sondern auch „woke“ und/oder „post-kolonial“ gewesen sei. In seinem Überblick über die Lage hält Christoph Strack von der Deutschen Welle die immense Kritik an Papst Franziskus vor allem aus der Ukraine und Deutschland fest, außerdem das vatikanische Rudern. An die Leine seiner Kommunikationsabteilung lässt sich Franziskus jedenfalls nicht nehmen.

Der Osteuropa- und Ostkirchenexpertin Regina Elsner war es vorbehalten, bei der Christ in der Gegenwart das Augenfällige auszusprechen: Die jüngsten Äußerungen sind wenig überraschend oder neu. Ihre Deutung der päpstlichen Position greift dann auch nicht ins Persönliche aus, sondern reflektiert auf die Irrtümer der vatikanischen Diplomatie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks. Die Empörung zeige einen „wunden Punkt, den Franziskus in seiner Haltung zu diesem Krieg immer wieder trifft“:

„Niemand kann diesen Krieg beenden, solange Russland ihn führen will, und die Ukraine ist eben nicht nur ein armes gepeinigtes Opfer, sondern eine Gesellschaft, die sich und ihre Selbstbestimmung verteidigt. Mit beidem hat Papst Franziskus, aber auch der Vatikan insgesamt ein Problem.“

In den kommenden Tagen werden wir uns in der Eule erneut mit dem Themenfeld Krieg und Frieden befassen. Im Fokus steht diesmal die katholische Friedensethik. Aber es sei hier schon einmal daran erinnert, dass auch der evangelischen Friedensethik – bisher jedenfalls – außer einer Erneuerung eines Abschreckungsparadigmas oder dem verzweifelten Festhalten an der in Trümmern stehenden internationalen Rechtsordnung nichts Neues eingefallen ist.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Am letzten Sonntag haben wir die #LaTdH an die Theologin Sarah Banhardt „ausgeliehen“, die an dieser Stelle anlässlich des Equal Pay Day’s und des Internationalen Frauentages über Frauenkämpfe in Gesellschaft und Kirchen geschrieben hat. Einige positive Rückmeldungen haben uns erreicht. Sagen Sie uns gerne, ob Sie solche thematischen Ausflüge gerne häufiger in den #LaTdH lesen wollen. Was die kontinuierliche Begleitung der aktuellen Maßnahmen in der Missbrauchskrise in beiden großen Kirchen angeht, sind die #LaTdH dadurch ein wenig ins Hintertreffen geraten.

Evangelische Mühlen

Bereits in der vorvergangenen Woche trafen sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die Kirchenkonferenz (KiKo, Versammlung der leitenden Geistlichen und Jurist:innen der Landeskirchen) in Hannover, erstmals gemeinsam mit Mitgliedern des Beteiligungsforums der EKD (BeFo). Außerdem findet ein digitaler Austausch zwischen BeFo und Syndodalen der EKD-Synode statt. Alle drei EKD-Leitungsgremien stehen also im Austausch mit den Betroffenen, die dort mitarbeiten, und sind nun also auch mit der Priorisierung der „ForuM“-Empfehlungen vertraut, die das BeFo im Februar vorgenommen hat.

Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, gab in einem Interview bei Franziska Hein und Corinna Buschow vom epd vor den Treffen in Hannover und in einem Interview bei Steffen Zimmermann von katholisch.de am Freitag, den 8. März, ausführlich Auskunft. Abermals erklärte sie auch, warum eine Sondertagung der EKD-Synode in ihren Augen nicht zielführend ist.

Zu den konkreten Vorhaben, die im Herbst von Rat, KiKo und EKD-Synode beschlossen werden sollen, um dann (!) in die Umsetzung in den Landeskirchen zu gehen, gehört die Vereinheitlichung der Verfahren für Anerkennungsleistungen und eine Anschärfung des kirchlichen Disziplinarrechts. Über den aktuellen Stand der Bearbeitung der Empfehlungen der „ForuM-Studie“ informiert ab sofort auch das „ForuM-Bulletin“ aus Pespektive des BeFo, in dem neben Betroffenen auch KirchenvertreterInnen mitarbeiten. Der neue Newsletter soll aller sechs Wochen erscheinen. Betroffene hatten bei der Vorstellung der „ForuM“-Studie in Hannover kritisiert, man erfahre zu wenig über die BeFo-Arbeit. Bei der Fachstelle sexualisierte Gewalt im Kirchenamt der EKD wurde vor kurzem eine neue Stelle für die Kommunikation geschaffen.

Die evangelischen Mühlen mahlen, aber sie mahlen – ausweislich der Interviewfragen, denen sich Heinrich stellen muss – vielen Beobachter:innen und Betroffenen nicht schnell genug. Man muss gut Acht geben, dass die Zeit bis November nicht dazu genutzt wird, Gras über die Sache wachsen zu lassen, sondern tatsächlich dafür, wohlüberlegt und gemeinsam vorzugehen. Dass das Festhalten am verabredeten Vorgehen, den Beratungen im BeFo Vorrang vor Alleingängen der Landeskirchen zu geben, richtig ist, habe ich hier in der Eule schon dargestellt. Das entlässt aber andere Akteur:innen in der Kirche nicht aus der Verantwortung, ihrerseits die „ForuM“-Studie zum Anlass für eine tiefergehende Beschäftigung mit sexualisierter Gewalt und anderem Missbrauch in der Kirche zu nehmen.

Eine Möglichkeit dazu bietet die aktuelle Episode des „Eule-Podcasts“ mit Professorin Friederike Lorenz-Sinai, die als Co-Leiterin des Teilprojekts B an der „ForuM“-Studie mitgewirkt hat. Mit ihr habe ich darüber gesprochen, was Aufarbeitung eigentlich ist und warum sie bisher in der evangelischen Kirche gescheitert ist. Mehr dazu in der Beschreibung der Episode, die ich allen sehr ans Herz lege! Im „Eule-Podcast“ werden wir uns – wie auch im Magazin – weiterhin intensiv mit dem Themenschwerpunkt „Missbrauch evangelisch“ befassen. Über Fragen, Kritik, Hinweise und Anregungen freuen wir uns sehr!

Aufarbeitung in Hannover

Anfang des Monats wurde der Abschlussbericht einer unabhängigen Aufarbeitungskommission zu Fällen von sexualisierter Gewalt in der Kirchengemeinde Oesede in der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers vorgelegt (s. #LaTdH vom 3. März, Bericht hier). Am Freitag nun erklärten sich VertreterInnen der Landeskirche zum Bericht. Vorausgegangen war eine Rücktrittsforderung der Betroffenen Lisa Meyer (Pseudonym) in Richtung des Landesbischofs, Ralf Meister, der zugleich Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist.

Meister will, wenig überraschend, im Amt bleiben, bat aber für seine eigenen Versäumnisse und die seiner Kirche um Entschuldigung. Ein Bericht und eine Einordnung von Florian Breitmeier vom NDR finden sich in der ARD-Mediathek. Außerdem wolle die Kirche die Fachstelle im Landeskirchenamt, die sich mit Betroffenenkontakten befasst, weiter ausbauen, und von der Rechtsabteilung abtrennen. Ein zentraler Kritikpunkt des Berichts war, wie auch bei der „ForuM“-Studie, dass sich die Kirche auf eine rein juristische Befassung mit Missbrauchsfällen zurückgezogen hat. Im Podcast „vertikal horizontal“ der NDR-Religionsredaktion analysieren Florian Breitmeier und Michael Hollenbach die Ergebnisse des Abschlussberichts ausführlich. Eine große Hörempfehlung, auch weil es in der Sendung noch einmal um die „ForuM“-Studie geht.

Muster des Versagens

Der Oesede-Bericht zeigt – wie auch die Tiefenanalyse zum „Fall Abramzik“ in der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) des IPP München (PDF) – noch einmal die Wirksamkeit derjenigen Muster des Versagens, die von der „ForuM“-Studie eindrücklich beschrieben wurden: Der Kontakt mit Betroffenen wird nur zögerlich und auf deren Drängen hin gesucht und aufrecht gehalten, die Kirche geht formaljuristisch und nicht sensibel mit ihnen um. Missbrauchsfälle werden nicht veröffentlicht und intern nur verschämt und mit jahrelangem Verzug kommuniziert. Weitere Betroffene werden nicht gesucht, eine Aufarbeitung durch Verzögern und Verschleiern mindestens behindert. Umgangssprachlich nennt man das Ergebnis dieser Versäumnisse Vertuschung.

Allerorten beteuern nun Kirchenvertreter:innen, man habe es nicht so gemeint und gewollt, und verweisen auf die ihren Ämtern jeweils gesetzten Grenzen. Landesbischof Ralf Meister betonte auf der Pressekonferenz am Freitag, er habe als leitender Geistlicher einer lutherischen Kirche eben keine Befugnis zum Durchregieren, alle Entscheidungen wären im Kollegium gemeinsam getroffen worden. Das könne man, sah er zumindest ein, als typisch evangelische Verantwortungsdiffusion beschreiben, aber es entspreche eben der evangelischen Kirchenstruktur. Detlev Zander, einer der Sprecher:innen der Betroffenen im BeFo der EKD, fragte gegenüber Franziska Hein vom epd:

„Ich frage mich, wie es passieren konnte, dass in fast allen 20 Landeskirchen und 17 Diakonie-Landesverbänden so unmenschlich mit Betroffenen umgegangen wurde. Ich verlange, dass da auch persönlich Verantwortung übernommen wird.“

Der Oesede-Bericht hält ausdrücklich fest, „dass eine Aufarbeitung im Jahr 2010 mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine weitaus bessere Ergebnisqualität gehabt hätte, weil etliche der involvierten Personen seither verstorben sind“. Angesichts dieses Befunds, den man getrost auf viele Fälle in der evangelischen Kirche wenden kann, für die es längst noch keine Abschlussberichte gibt (und vielleicht nie geben wird), klingen die Entschuldigungen von Leitenden Geistlichen und aus Landeskirchenämtern hohl.

In der Evangelischen Kirche wird Verantwortung geteilt, aber sie ist doch an konkreten Personen und ihren jeweiligen Dienstpflichten fest zu machen. Dazu braucht es Mut, es wird auch Kraft kosten, die eigene Scham zu überwinden und, ja, es werden dabei liebgewonnene Loyalitäten einem massiven Stresstest unterworfen. Doch gilt, was Friederike Lorenz-Sinai im „Eule-Podcast“ erklärt: Stellvertretende Entschuldigungen der Kirche und von kirchenleitenden Personen können „keine Wirkung entfalten“, solange die Täter unsichtbar bleiben und diejenigen, die willentlich oder fahrlässig an der Vertuschung teilnahmen, keine Verantwortung übernehmen.

nachgefasst: Missbrauchskrise

Ebenfalls am Freitag dieser Woche hat die alljährliche Pressekonferenz der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) der Deutschen Bischofskonferenz stattgefunden. Bisher wurden rund 57 Millionen an Betroffene ausgezahlt, im Durschnitt also ca. 20.000 €. Die Höhe der bewilligten Anerkennungsleistungen ist nach den jüngsten, höheren Gerichtsurteilen in vergleichbaren Fällen gestiegen. Der epd berichtet:

Eine Neuerung des Verfahrens sorgte 2023 bei der Kommission für deutlich mehr Arbeit. Denn seit dem 1. März 2023 können Betroffene einmalig Widerspruch gegen die Entscheidung der Kommission einlegen. Das geschah bis Ende Dezember in 618 Fällen, in 382 Fällen wurde laut Reske bis Ende vergangenen Jahres noch keine Entscheidung getroffen. Betroffene erhielten insgesamt durch Widersprüche fast 3 Millionen Euro zusätzlich.

Insgesamt sind laut Bericht 3.493 Vorgänge seit 2021 bei der Unabhängigen Kommission eingereicht worden, darunter 1.289 im Jahr 2023. Das war ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2022, als 626 Eingänge verzeichnet wurden. Zum Stichtag 31. Dezember 2023 waren 807 Vorgänge noch nicht bearbeitet.

Scharf kritisiert wird das Verfahren der UKA anhaltend von Betroffenenvertreter:innen in der katholischen Kirche. Im Domradio-Interview äußert sich diesmal Jens Windel, der Mitglied im Betroffenenbeirat bei der DBK ist.

DOMRADIO.DE: Die seit dem 1. Januar 2021 tätige Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen hat die Aufgabe, darüber zu entscheiden, wie viel Geld Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche in Anerkennung des ihnen zugefügten Leids erhalten. Immer wieder wurde das von Betroffenen kritisiert, warum?

Windel: Es ist eine absolute Black Box. Man weiß nicht, wer es bearbeitet hat und wie diese Summen zustande gekommen ist. Welches Gewicht hatten einzelne Punkte, wie etwa die Schwere der Tat oder das institutionelle Versagen? Wenn man eine Auskunft haben möchte, bekommt man kaum weiterführende Informationen. Und wie die UKA-Vorsitzende Margarete Reske in der Pressekonferenz am Freitag gesagt hat, wird auch nicht dokumentiert, wie diese Summen ermittelt wurden. Das halte ich für ganz, ganz schwierig.

Zudem kommen die Betroffenen selbst nur unter erschwerten Bedingungen an ihre Akten heran, wenn sie Einsicht nehmen wollen. Zum Teil müssen sie dafür in andere Bistümer reisen. Wogegen sollen wir Widerspruch einlegen, wenn wir keine Begründung dafür haben, wie diese Summe X zustande gekommen ist? Zudem sind die Summen immer noch viel zu niedrig, es sind Bruchteile von den 300.000 Euro, die Menne zugesprochen wurden.

Aufarbeitung in katholischen Ordensgemeinschaften

Wie die KNA berichtet, geht die Aufarbeitung in katholischen Orden nur schleppend voran. Dies gehe aus dem aktuellen Tätigkeitsbericht des Ausschusses für unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bereich von Ordensgemeinschaften (AUAO) (PDF) hervor. Ursächlich seien u.a. Probleme bei der Zusammenstellung von Aufarbeitungsteams: Den Orden fehlten die Mittel und den Wissenschaftler:innen häufig das Interesse, sich auf kleine(re) Projekte einzulassen. Auch über den Umgang mit Betroffenen informiert der Bericht:

In Gesprächen mit dem Ausschuss hätten sich Betroffene sehr unzufrieden mit der Arbeit einiger unabhängiger Ansprechpersonen für Verdachtsfälle in jeweiligen Orden gezeigt. Diesen sei mangelnde Empathie und fehlendes Engagement für die Belange Betroffener bescheinigt worden. Eine frühere Beschäftigung solcher Ansprechpartner bei der Kirche lasse an ihrer Unabhängigkeit zweifeln, hieß es.

Buntes

Die Rubrik „Standpunkt“ auf katholisch.de ist #LaTdH-Leser:innen vertraut. Mit den Kommentaren schaltet sich die Nachrichtenplattform der katholischen Kirche in Deutschland jeden Werktag in die Debatten in Gesellschaft und Kirchen ein. Die „Standpunkte“ werden von einer Vielzahl katholischer Autor:innen verfasst, deren Meinungen nicht die der Herausgeber oder Redaktion widerspiegeln (müssen). Zum Autor:innen-Kreis gehörte bis zu dieser Woche auch der Jerusalemer Abt Nikodemus Schnabel. Er nutzte das Schaufenster beim reichweitenstärksten katholischen Online-Angebot regelmäßig dazu, auf die Lage der Christen im Heiligen Land und die religiöse (In-)Kompetenz deutscher Außenpolitik hinzuweisen. Wertvolle Debattenbeiträge, die mehrfach in der Eule debattiert wurden (z.B. hier, hier & hier).

In seinem „Standpunkt“ vom Freitag dieser Woche thematisierte Schnabel eine aus seiner Sicht bedauernswerte Leerstelle im Programm des Katholikentages in Erfurt (29. Mai – 2. Juni 2024), der vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgerichtet wird. Nur eine einzige Veranstaltung widme sich der momentanen Krise im Nahen Osten, prominente Stimmen wie der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa, oder auch die lutherische Pastorin Sally Azar (hier im Eule-Interview) seien nicht eingeladen worden.

Warum wagt der Katholikentag keine religiösen und politischen Perspektiven auf das Land, das Juden, Christen, Muslimen, Drusen und Bahai in gleicher Weise heilig ist, und bringt diese miteinander ins Gespräch? Wo sind die selbstkritischen Töne des ZdK zu seiner unterkomplexen Positionierung seit dem 7. Oktober, die ohne jegliche Kommunikationsversuche mit den Glaubensgeschwistern vor Ort erfolgt ist?

Auf X (ehem. Twitter) veröffentlichte Schnabel nach Erscheinen des Artikels noch zwei weitere Absätze, die von der Redaktion gekürzt worden waren. Sie beziehen sich auf die Kollekten, die beim Katholikentag gesammelt werden sollen:

Statt mit einem Teil die so wichtige Arbeit der Kirchen vor Ort zu unterstützen, wie etwa die hervorragende Arbeit der Caritas Jerusalem, so wie ja der andere Teil der Kollekte an die Caritas im Bistum Erfurt geht, unterstützt man lieber eine säkulare israelische NGO.

Liebes ZdK, wenn ihr euch mal wieder von Euren Glaubensgeschwistern außerhalb Deutschlands nicht verstanden fühlt, kann ich Euch nur sagen: Merkt Ihr selber, oder?

Daran schlossen sich wechselseitige Richtigstellungen der Redaktion und von Schnabel ebenfalls auf X an, die die Kürzung um 800 Zeichen erklären sollten. Die katholisch.de-Redaktion beendete die Zusammenarbeit mit Schnabel, der daraufhin feststellte: „Wenn katholisch.de und ich wohl uns in einem Punkt einig sind, dann in dem, dass es keine gemeinsame Vertrauensbasis mehr gibt.“

Schnabels Unterstellung, die Redaktion habe zugunsten des ZdK redigiert („Die Würde des ZdK ist unantastbar!“), ist äußerst schwerwiegend. Das Skandälchen um 800 Zeichen in einem Online-Beitrag (!) aber mal bei Seite: Die Anfragen von Schnabel bezüglich des Katholikentag-Programms scheinen mir nicht unberechtigt, vor allem aber legitim zu sein. Auch den – sicher spitzen – Verweis auf die sonstigen Schwierigkeiten des ZdK bei der internationalen Zusammenarbeit, vor allem im Kontext der Plausibilisierung des Synodalen Weges in der römisch-katholischen Weltkirche, muss man sich gefallen lassen.

Der bekannte Rechtsextremismusforscher Matthias Quent (früher Jena, jetzt Professor in Stendal) schreibt in der schweizerischen Republik über das „Grünenbashing“ und seine Auswirkungen auf die Demokratie. Quent erklärt, warum es rechtsradikalen, aber auch konservativen Akteur:innen so gut in den Kram passt, gegen die Grünen zu hetzen – und was wir alle dabei einbüßen.

Der Artikel ist ein empiriegesättigtes Stück politisches Feuilleton und lädt an verschiedenen Stellen dazu ein, die Kirche(n) als Akteurinnen einzutragen: Auch in ihnen hat sich Grünen-Kritik in der Fläche etabliert. Zugleich stehen sie als Teil der „linksgrünversifften“ Eliten nicht selten am gleichen rechtspopulistischen Pranger wie die grüne Partei. Für Christ:innen und Kirchen könnte darum gelten, was Quent den großen Parteien SPD und CDU ins Stammbuch schreibt:

Sie müssen bei strategisch polarisierten Debatten die Regeln einer demokratischen Diskussions­kultur vorleben und verteidigen. Und sie müssen dem Schüren von Ressentiments, Gewalt und antidemokratischer Radikalisierung unmissverständlich entgegentreten. Selbstverständlich kann und soll man auch die Grünen und ihre Positionen radikal kritisieren – aber in der Sache, nicht in der Rhetorik der Verhetzung.

Und problematisch wird es auch dort, wo Delegitimierung von Regierung und Staat betrieben wird – etwa wenn Markus Söder die grüne Umwelt­ministerin Steffi Lemke mit der SED-Ministerin Margot Honecker vergleicht, als sei die Bundes­republik eine grüne Diktatur, wie es Anti­demokratinnen und Verschwörungs­ideologen massenhaft im Internet behaupten.

Theologie

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) haben ein neues gemeinsames Dokument zur Ökumene veröffentlicht: „Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit“ (PDF). Philipp Gessler berichtet in den zeitzeichen über die Hintergründe der Arbeit im „Kontaktgesprächskreis“ zwischen EKD und DBK und über die Inhalte des Dokuments:

Der „Spitzensatz“, wie die evangelische Vertreterin Miriam Rose, Professorin für Systematische Theologie in Jena, es nannte, lautet darin: „Aufgrund des bereits gegangenen Weges sagen wir als Deutsche Bischofskonferenz und Rat der EKD: Wir wollen nicht mehr ohne den Dialog mit Euch Kirche sein.“

Dieser zunächst eher schlicht daherkommende Satz hat es in sich. […] Ökumene soll nach dem Verständnis des neuen Dokuments nichts mehr sein, was „nice to have“ sei, also ein Endzeit-Ziel vielleicht in einem fernen Jahrzehnt, sondern sie habe, wie Rose es sagte, „ekklesiologische Qualität“.

Ein guter Satz

„Der Vatikan ist dann doch dabei bei der Sommer-Olympiade 2024 in Paris. Disziplin: zurückrudern.“

– Christoph Strack auf Bluesky


Title: An der Leine – Die #LaTdH vom 17. März
URL: https://eulemagazin.de/an-der-leine-die-latdh-vom-17-maerz/
Source: REL ::: Die Eule
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Date: March 17, 2024 at 01:44PM
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