Der Lehrkräftemangel
Es ist nicht so, dass der Lehrkräftemangel als Problem dieses und der nächsten zehn Jahre noch irgendjemanden überraschen würde. Und das, obwohl sogar die Kultusministerkonferenz ohne eine große öffentliche Debatte die Prognose für den Lehrkräftemangel auf von 30.000 auf 68.000 angehoben hat. Das ist zwar immer noch weniger als die von Bildungsforscher Klemm errechneten 80.000, kommt dem aber nahe. Nein, der Lehrkräftemangel ist aus Sicht der Lehrkräfte und der Schülerinnen und Schüler wichtig und dringlich: Schon jetzt zeichnet sich ab, dass der (zunächst) wirksamste politische Hebel, die Unterrichtsversorgung zu gewährleisten, eine Anhebung der Stundenzahl, die Verweigerung der Teilzeit aus „Sonstigen Gründen“ oder die Verknappung der Stunden für besondere, aber wichtige Aufgaben ist. Mit anderen Worten: Ob jemand Teilzeit gearbeitet hat, weil es für ihn oder sie nicht anders zu stemmen war, wird ab diesem Jahr immer weniger eine Rolle spielen. Dass das einen Totalausfall nach ein paar Wochen bedeuten kann, ist vor allem Schulleitungen bekannt, die wissen, wie viel Personal schon jetzt am Stock geht. Und auch die Administration der Computer, Tablets und iPads kann nicht mehr gewährleistet werden, wenn die Verantwortlichen mehr Fachstunden machen müssen. Oder sie wird gewährleistet, beruht dann aber wie so oft auf Selbstausbeutung. Da weder das alte noch das neue Gutachten der SWK strukturelle Veränderungen im schulischen Bereich vorsieht, die den Bestandslehrkräften helfen würden, kann diese Entwicklung noch zu einer Verschärfung der Gesamtsituation führen. Und zwar konkret. Ganz konkret: „Noch mehr Arbeit für die, die noch stehen“. Wozu eine solche Überlastung führen kann, versuchte der SPIEGEL im Oktober des letzten Jahres herauszuarbeiten. Das Ergebnis: Während in einigen Ländern überhaupt keine Daten vorlagen, ergab sich zum Beispiel für das Land Niedersachsen eine Verfünffachung derjenigen, die ihren Job hinschmissen. In Brandenburg stieg die Zahl um das sechsfache. Gleichzeitig brachen in NRW 500 Referendarinnen und Referendare ihre Ausbildung ab. Die Situation verschärft sich also zusehends.
Es bleibt abzuwarten, ob die die Initiative „Bildungsrat von unten“ Vorschläge aus der Praxis unterbreiten kann, die das Problem konkreter angehen. Die Schnelligkeit und Tiefe der technologischen Entwicklung macht das Ganze nicht einfacher.
Digitalisierung und KI
Professor Peter Buxmann macht in einem Gastartikel in der FAZ einen Punkt, der auch Schulen und Lehrkräfte konkret und mit aller Gewalt trifft. Mit einem Blick zurück und nach vorne konstatiert er: „Die Entwicklungsgeschwindigkeit der KI in diesem Jahr war atemberaubend, gleichzeitig wird sie vielleicht niemals mehr so langsam wie 2023.“ Nun könnte man die Entwicklung von KI, zumal wenn sie dafür genutzt werden kann, individuelles Lernen zu ermöglichen durchaus sinnvoll finden. Und in der Tat gibt es nicht wenige Expertinnen und Experten, die spätestens seit Erscheinen der KI-Version ChatGPT für die Öffentlichkeit konkrete und nützliche Erklärungen für eine Anwendung der Künstlichen Intelligenz in der Schule veröffentlichen. Schülerinnen und Schüler nutzen ChatGPT und Co. schon jetzt für die unterschiedlichsten schriftlichen Aufgaben, was das Thema nicht nur wichtig, sondern auch dringlich macht. Und zwar für jede Schule.
All dies hängt aber selbstverständlich nicht nur an dem Willen der Lehrkräfte. Denn wenngleich sich die SWK schon zeitnah mit dem Thema KI in Schulen befasst, ist überhaupt nicht klar, ob und in welchem Ausmaß es einen Digitalpakt 2.0 geben wird. Und ohne die Gewissheit, dass die Beschäftigung mit KI und weiteren Dimensionen der Digitalität auch mit vernünftigen und ausreichenden Geräten durchgeführt werden kann, wird es auch keine flächendeckende Beschäftigung damit geben. Dies ist umso ärgerlicher, als dass die „Ergänzung zur Strategie der Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ vom Dezember 2021 längst deutlich gemacht hat, welche Entwicklungen nötig sind. In jedem der sieben Arbeitsbereiche stehen konkrete, „prioritäre Maßnahmen“, die umgesetzt werden sollen. Zum Beispiel: „In jedem Fach findet ein Einbezug bzw. eine Auseinandersetzung mit der sich stetig verändernden Kultur der Digitalität und ein darauf ausgerichteter Kompetenzerwerb statt.“ Wie so oft könnten Anspruch und Wirklichkeit nicht weiter auseinanderliegen. Damit ist eine Überleitung zum politischen Bildungsjahr geschaffen.
Startchancen und KMK
Nicht erst seit, aber insbesondere mit Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse sollten jedem deutlich sein, dass die Lage prekär ist. Lehrkräftemangel, KI und Lernrückstände bilden ein Amalgam, das durchaus Bildungskatastrophe genannt werden kann. Zwar sind die Länder weit von den jüngst von der SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken geforderten 100 Milliarden Sondervermögen entfernt, jedoch stehen zumindest die 20 Milliarden des „Starchancen-Programms“, das Holger Schleper von Bildung.Table zu Recht zum wichtigsten schulpolitischen Vorhaben der Ampel erklärt. Warum das Programm, das zumindest einen Teil des Geldes nach einem Sozialindex und nicht nach dem Königsteiner Schlüssel verteilt, an dieser Stelle „nur“ wichtig und nicht dringlich erscheint, liegt daran, dass es alleine bis zum Juni dieses Jahres dauern wird, bis die Schulen benannt werden, denen die Förderung zugutekommen wird. Mit anderen Worten: Politisch wird das Ringen um die konkrete Umsetzung des Startchancenprogramms eines der spannendsten Projekte dieses Jahres. Konkrete Auswirkungen bis hinein ins Klassenzimmer sind aber frühestens ab dem kommenden Schuljahr zu erwarten.
Dies gilt auch für die anstehenden Veränderungen in der KMK. Christine Streichert-Clivot aus dem Saarland wird neue KMK-Präsidentin und steht vor massiven Herausforderungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Gutachtens des Beratungsunternehmens Prognos, das der KMK „wenig Flexibilität und Steuerungsmöglichkeit bescheinigte.“
Fazit
Es wäre wohl keine Übertreibung, das Bildungsjahr 2024 politisch als Jahr der Weichenstellung für die nächsten Jahre zu sehen. Ob durch das Startchancen-Programm Kinder und Jugendliche so unterstützt werden können, dass die Tendenz in den nächsten internationalen Vergleichstests wieder nach oben zeigt und sich die Unterschiede der Leistung durch sozioökonomische Ausgangslagen verringern werden, bleibt abzuwarten.
Unabhängig von den politischen Entscheidungen beim Startchancen-Programm, dem Digitalpakt und innerhalb der KMK wird sich der Lehrkräftemangel einmal mehr ganz konkret im Klassenzimmer zeigen. Und hier zeigt sich auch die Verbindung zwischen Personalmanagement, Deputatsverwaltung und individuellen Situationen von Lehrkräften und ihren Schülerinnen und Schülern. Dieses Jahr wird zeigen, ob Bildungspolitik nachhaltig betrieben oder der Mangel auf Kosten der Ausbeutung derjenigen stattfinden wird, die im System sind. Sollte die Tendenz in Richtung des zweiten Punktes gehen, ist zu befürchten, dass die Prognose des Mangels neu berechnet werden muss. Nämlich mit all jenen, die den Beruf verlassen oder die schon vorher eine Entscheidung gegen den Beruf fällen. Das zu berücksichtigen ist beides: wichtig und dringlich.
Title: Ausblick – Was im Jahr 2024 auf die Lehrerinnen und Lehrer zukommt – Das Deutsche Schulportal
URL: https://deutsches-schulportal.de/kolumnen/bob-blume-was-im-jahr-2024-auf-die-lehrerinnen-und-lehrer-zukommt/
Source: Das Deutsche Schulportal
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Date: January 10, 2024 at 01:23PM
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