Flieg, Taube, flieg!

Eine Geschichte über Respekt, Zuwendung und Symbolik

Flieg, Taube, flieg!

Sie ist Symbol der Sanftmut und des Friedens – und ein von vielen verachtetes Tier: die Taube. Wer ist sie, wie lebt sie? Und warum kann es zu denken geben, dass viele Menschen das Symbol des heiligen Geistes so sehr hassen? Auf den Spuren eines Flügelwesens.
Von Ruth Lehnen
 


Die Taube „Fearless“ hat ihren Namen bekommen, weil sie sich nicht von ihrem Nest vertreiben lässt. Sie ist furchtlos, selbst wenn Menschen den Taubenschlag betreten und alle anderen schnell das Weite gesucht haben. Da sitzt „Fearless“ und brütet eifrig, lässt sich von Isabel Klafki nicht stören. Die Ehrenamtliche vom Verein Stadttaubenhilfe Mainz/Wiesbaden ist viele Stufen auf den Speicher einer Mainzer Schule hochgestiegen, um nach den Tauben zu sehen. Seit Jahren macht sie zweimal die Woche hier im Taubenschlag sauber, schüttet das Futter in die Näpfe und tauscht die Eier. Die frischen Taubeneier nimmt sie fort und ersetzt sie durch Gipsattrappen. Auch die emsige „Fearless“ sitzt auf Gipseiern und wird keinen Erfolg beim Brüten haben.

Der Eiertausch sei nötig, sagt Isabel Klafki, der es manchmal ein bisschen leidtut, dass Fearless sich umsonst bemüht. Aber das komme in der Natur auch vor und sei für die Tauben nicht schlimm, erläutert die Taubenfreundin. Der Eiertausch sorgt für „Populationskontrolle“. Die Stadttaubenhilfe möchte den lebenden Tauben helfen und verhindern, dass es noch mehr Stadttauben gibt. Dabei kooperiert der Verein mit den Städten Mainz und Wiesbaden. Die Stadt Mainz bezahlt das Taubenfutter, das in den betreuten Schlägen verfüttert wird, in Wiesbaden hat eine Biologin als „Stadttaubenbeauftragte“ eine halbe Stelle, dazu gibt es Minijobber zur Versorgung der Taubenschläge und den Eiertausch bei Nestern im Freien.

Viele Menschen hassen Stadttauben und wollen sie einfach weghaben. Vergrämen, vertreiben, verscheuchen. Isabel Klafki denkt da ganz anders: „Sie sind sehr hübsch, sehr friedliebend, sie tun keinem anderen Tier etwas zuleide.“ Die Lehrerin am Ketteler-Kolleg und Abendgymnasium trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift #RespektTaube. Sie erklärt, dass es sich bei den Stadttauben um verwilderte Haustiere handelt, für die die Menschen Verantwortung übernehmen müssen. Den ehemaligen Haustieren wurde ein Brutzwang angezüchtet, damit sie sich möglichst oft vermehren. Sie brüten ganzjährig, unabhängig von Temperaturen und Nahrungsangebot.

Vom Schlag kann man den Tauben nachsehen, die ihre Flügel ausbreiten und in den Himmel steigen. Einige haben sich auf einem Dach gegenüber niedergelassen und scheinen zu warten, bis sie wieder zu ihrem Nest können. Isabel Klafki erklärt unterdessen die Sache mit dem Taubenkot. Der war früher als hochwertiger Dünger bekannt und wurde im alten Persien in großen Taubentürmen eigens gesammelt. Der Kot gesunder Tiere ist fest und geruchlos. Was man heute oft auf der Straße sieht, ist ein Hungerkot falsch ernährter Tiere, die alles fressen, was die Menschen so übriglassen. Pommes, Brezeln mit Salz, Reste von Burgern. Das gesunde Menue für Tauben, das Klafki ausgibt, enthält unter anderem Weizen, kleine Erbsen, Hirse, Leinsamen, Hanf, Popcorn Mais. Und natürlich kleine Steinchen. Die brauchen sie, damit ihr Magen funktioniert.
Isabel Klafki findet, dass die Tauben Hilfe verdient haben: „Ich freue mich, dass sie hier ein gutes Leben haben“, sagt sie. Das Engagement für die Flügelwesen bringt ihr was: „Ich bin immer glücklich, wenn ich die Tauben gut versorgt weiß.“ 

Die Stadttauben sind die armen, verachteten Nachkommen eines Vogels, der die Freiheit genoss: der Felsentaube. Diese Tiere haben es in Kunst und Kultur weit gebracht und kommen etliche Male in der Bibel vor. Im Hohen Lied der Liebe (2,14) wird die Geliebte mit einer Felsentaube verglichen: „Meine Taube im Felsennest, versteckt an der Steilwand, dein Gesicht lass mich sehen, deine Stimme hören! Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht!“

Noah sandte Tauben aus, die erkunden sollten, ob es nach der Sintflut wieder festes Land gibt. Die Taube, die mit dem Ölzweig im Schnabel zur Arche zurückkehrte, wurde zum Sinnbild der Hoffnung auf einen Neuanfang. Als Friedenstaube mit dem Ölzweig macht sie steile Karriere, findet sich in den Wappen mehrerer Päpste und wurde zum Logo der Friedensbewegung. Bei der Verkündigung an Maria erscheint die Taube als Inkarnation des Geistes Gottes. Im Matthäusevangelium heißt es, der Geist Gottes sei nach der Taufe Jesu „wie eine Taube herabgefahren“ – der Vogel als Sinnbild des heiligen Geistes. So wie dieser weht, wo er will, kann die Taube sich in die Luft schwingen – ein Bild der Freiheit und Schönheit. Anders als ein Greifvogel ist sie kein Räuber, weshalb es in der Bibel (Matthäus 10,16) auch heißt: „Seid arglos wie die Tauben…“

Wie konnte aus diesem fried- und freiheitsliebenden Tier „die Ratte der Lüfte“ werden, als die viele Menschen die Tauben heute bezeichnen? Der Mensch hatte seinen Anteil daran. Menschen machten die Taube zum Nutztier, züchteten sie wie Masthühnchen. Sie setzten Tauben im Krieg ein: Mit winzigen Tornistern beladen transportierten die Vögel Nachrichten. Die Menschen  sahen in Tauben „kleine Rennpferde“, setzten sie hunderte Kilometer weit von zuhause aus und wetteten, wer es am schnellsten nachhause schafft. Manche davon landen ganz woanders, suchen dann Nahrung auf den Marktplätzen der Städte. Die Menschen züchteten Tauben mit absurd kleinen Schnäbeln und mit reinweißem Gefieder, damit sie als Hochzeitstauben ein einziges Mal ein süßes Bild abgeben – „ein Wegwerfartikel“, sagt Michelle Eis. Die Vorsitzende der Stadttaubenhilfe Mainz/Wiesbaden hat daheim in Bodenheim eine Voliere mit geretteten Tauben. Eis zeigt auf eine der ehemaligen Hochzeitstauben: „ideale Beute für jeden Greifvogel, ohne jede Orientierung, unfähig, ohne die Hilfe des Menschen zu überleben“.

Bei Michelle Eis werden viele verletzte Tauben abgegeben. Einige davon erholen sich gerade in Einzelkäfigen: Eine zarte Türkentaube war die Beute einer Katze und hat im Kampf sehr viele Federn gelassen. Eis nimmt das Tier ohne jede Hast aus dem Käfig, wickelt es in ein Handtuch  – „der Taubenwrap“ – und gibt ihm per Minispritze eine kleine Menge Antibiotikum in den Schnabel. Auch eine dicke Ringeltaube verarztet sie und erklärt, dass die Ringeltauben mit ihren charakteristischen weißen Flecken am Hals Wildtauben sind: „Sie mögen die Stadttauben nicht und paaren sich nicht mit ihnen.“ Es sei nicht schlimm, eine Taube anzufassen, meint Eis: „Da passiert gar nichts.“ Trotzdem bleibt sie vorsichtig und desinfiziert sie sich die Hände nach jeder Behandlung.

Als Feinde der Tauben sieht sie vor allem Schädlingsbekämpfer, die aus der Vergrämung viel Profit ziehen und die Vögel als Gefahr für Menschen darstellen, was definitiv nicht wahr sei. Trotzdem sagt auch Eis: „Jedes getauschte Ei ist ein gutes Ei“. Damit die Tauben wieder zu Ansehen kommen, sei es wichtig, dass es weniger Tiere, besser ernährte Tiere und viel Aufklärung über ihre Bedürfnisse gebe. Von den Christen wünscht sich Michelle Eis mehr Aufgeschlossenheit, wenn Plätze für die betreuten Taubenschläge gesucht werden. Kirchen und andere Immobilien bieten ihrer Meinung nach viele Möglichkeiten für mehr Tierliebe. Bei vielen Muslimen seien Tauben bis heute hoch geachtet. Das hat mit einer Legende zu tun, nach der der Prophet Mohammed sich auf der Flucht in einer Höhle verstecken musste. Als die Häscher kamen, fanden sie eine brütende Taube vor dem Höhleneingang und zogen ab.

Gerade im Moment hat die Stadttaubenhilfe Mainz/Wiesbaden einen Aufnahmestopp verhängt. Die Zahl der Tauben, die Hilfe brauchen, ist zu groß für die Zahl der Freiwilligen, die sich um sie kümmern können. Weitere Ehrenamtliche werden gesucht. Michelle Eis, von Beruf Erzieherin, kann dazu nur ermutigen. Sie beobachtet Tauben sehr gern: „Sie sind beschützend, verteidigen ihre Brut bis aufs Blut. Sie sind mütterlich und väterlich, fürsorglich. Sie leben komplett gleichberechtigt, wechseln sich beim Brüten und der Futtersuche genau gleichberechtigt ab. Die Paare – es gibt auch homosexuelle – turteln, schnäbeln und füttern sich gegenseitig.“ Michelle Eis findet es erstaunlich, dass diese Vögel überall sind und doch noch wenig erforscht.  Am allermeisten mag sie den Moment, wenn die ehemals kranken Tauben gesund wieder in die Freiheit entlassen werden können: „Das ist der schönste Moment, wenn wir sie fliegen sehen.“

Von Ruth Lehnen

https://stadttaubenhilfe-mz-wi.de/

Meinung:

Die Taube ist ein zentrales Symbol der Christen und steht für den heiligen Geist. Für das Moment des Befreienden und der göttlichen Inspiration. Gerade an Pfingsten spielt dieses Symbol eine Rolle, die aber heute oft nicht mehr verstanden wird. Vielleicht kann es nützen,  sich real existierende Tauben und ihre Eigenarten genauer anzuschauen, um mehr über den Geist zu erfahren. Sie sind friedliebend, zärtlich, beschützend, treu.

Zu hassen ist nie gut, und Tauben zu hassen sagt mehr über den Hassenden als über das Tier, das heute so ist, wie die Menschen es gezüchtet haben. Deshalb zu Pfingsten ein Appell: Gebt der Taube, was die Taube braucht, und erweist damit zugleich einem zentralen Symbol unseres Glaubens Respekt.

Ruth Lehnen

 

 

 



Title: Flieg, Taube, flieg!
URL: https://www.kirchenzeitung.de/flieg-taube-flieg
Source: Bonifatiusbote – Der Sonntag – Glaube und Leben
Source URL: https://www.kirchenzeitung.de
Date: June 1, 2023 at 12:13PM
Feedly Board(s): Religion