GEW: Religionsunterricht ist nicht mehr zeitgemäß (und bindet zu viele Ressourcen)

MÜNCHEN. Mit einer sogenannten „PISA-Offensive Bayern“ will das Kultusministerium des Freistaats den zunehmend schlechteren Leistungen der Kinder im Lesen, Schreiben und Rechnen an den Grundschulen begegnen. Es ist die Rede von Flexibilisierung, Projektorientierung, fächerübergreifendem Lernen, wissenschaftsbasierter Diagnostik und individueller Förderung. „Das liest sich gut“, meint dazu die GEW. „Es stellt sich allerdings die Frage: Wer soll‘s machen in einem System, das aufgrund des Lehrkräftemangels nicht einmal mehr die Grundversorgung hinbekommt?“ Die Gewerkschaft hat eine Idee, wie sich Ressourcen einsparen ließen: beim Religionsunterricht.

Ist Religionsunterricht verzichtbar? Die GEW meint: Ja. Foto: Shutterstock

Martina Borgendale, Vorsitzende der GEW Bayern, war nach eigenem Bekunden gespannt darauf, was die neue Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) als Maßnahmenpaket präsentieren würde. „Man hat sich Mühe gegeben, das steht außer Frage. Uns liegt nun ein Konzept vor, das verspricht, alle Kinder in Zukunft zuverlässig die Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik erlernen zu lassen. Wir begrüßen, dass das anhand professioneller Lernstandsdiagnostik erfolgen soll und entsprechende Werkzeuge an die Hand gegeben werden. Das fordern wir schon lange. Allerdings muss dann auch die passgenaue Förderung erfolgen. Und dazu braucht es einfach mehr qualifizierte Lehrkräfte, die nicht existieren.“

Bereits jetzt seien die Lehrkräfte an den Schulen aufgrund des Lehrkräftemangels und der Arbeitsverdichtung überlastet. Borgendale sagt daher: „Wir dürfen die Realität an den Schulen nicht ausblenden. Doppelführungen und Klassenaufteilungen sind an der Tagesordnung. Die Kinder haben extrem unterschiedliche Lernausgangslagen. Die Kolleg*innen zerreißen sich vor Ort und leiden immer noch unter den dienstrechtlichen Maßnahmen des Piazolo-Pakets. Es braucht dringend Entlastung. Was mit diesem Konzept ankommt, ist weitere Belastung on top, beispielsweise die verpflichtenden Fortbildungen. Lehrkräfte sind irritiert, wenn es heißt, sie sollen nun Fortbildungen zur Vermittlung von Basiskompetenzen besuchen. Genau das haben sie in ihrer Ausbildung gelernt und dafür sind sie Fachleute. Jetzt dafür Fortbildungsbedarf in den Raum zu stellen, impliziert, dass sie hier inkompetent seien. Bei den Lehrerinnen und Lehrern fehlt es aber an der Anzahl und nicht an der Kompetenz!“.

Martina Borgendale ist überzeugt: „Die Ministerin wird die Lehrkräfte nicht motivieren können, einen neuen Weg einzuschlagen, wenn sie nicht auch etwas zurückgibt. Wir fordern die Rücknahme des Piazolo-Pakets und Maßnahmen zum Gesundheitsschutz, beispielsweise die Ermittlung der psychischen Belastung von allen Beschäftigten.“

Bei den Kürzungen in Englisch und Kunst/Musik/Werken arbeite das Konzept mit „einiger Augenwischerei“, so die GEW-Chefin. Auffällig sei vor allem die Umbenennung der „Flexiblen Förderung“ in „Flexible Stunde“ und deren gleichzeitige Kürzung in der ersten Klasse von zwei Stunden auf eine.

„Von einer zusätzlichen Flexibilisierung zu sprechen ist albern. Bereits jetzt können Grundschulen flexibel agieren. Dass jetzt das Fach ‚Werken und Gestalten‘ mit in die Flexibilisierung hineingenommen wurde, hat womöglich andere Gründe. Es gibt kaum noch Fachlehrkräfte in den kreativen Fächern, allen voran im Fach Werken und Textiles Gestalten. Das dürfen jetzt dann Grundschullehrkräfte im Grundlegenden Unterricht flexibel selbst unterrichten? Wieder eine Belastung mehr!“, sagt Martina Borgendale.

„Und besonders wichtig sind vor allem auch gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten an den Schulen“

Zudem betont sie die Wichtigkeit der kreativen Fächer: „Kunst, Musik und Werken und Gestalten dürfen auf keinen Fall zu kurz kommen. Sprachförderung findet fächerübergreifend auch hier ganz gezielt statt, und die sprachlichen Unterschiede machen sich lange nicht so gravierend bemerkbar. Das ist für die Kinder wichtig. Gerade das gemeinsame handlungsorientierte Lernen spielt in der Entwicklung der Kinder eine riesige Rolle.“

Überhaupt nicht nachvollziehbar sei die Entscheidung, Religion mit drei Stunden in der Stundentafel zu belassen. „Wir fordern ein einstündiges Fach ‚Werteerziehung‘. Der Religionsunterricht wird der Realität in einer multikulturellen Gesellschaft nicht mehr gerecht und benötigt natürlich auch personell unglaublich viele Ressourcen, weil ja immer geteilt werden muss. Doch um gemeinsame Werte zu vermitteln, braucht es unbedingt den Klassenverband. Es wirkt beinahe dogmatisch, dass hier nicht zum Wohle aller gekürzt wird. Man hätte sich in der Sache mehr Mut von der Kultusministerin gewünscht, die sich einem „Machtwort“ des Ministerpräsidenten gebeugt zu haben scheint“, meint Borgendale. So müssten nach jetzt 100 Jahren endlich auch die bayerischen Kirchenverträge von 1924 und die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen den geänderten gesellschaftlichen Realitäten und Erfordernissen angepasst werden.

Alles in allem ist sich die GEW-Vorsitzende sicher, dass die Maßnahme zu kurz greift. „Wir hätten uns viel mehr Mut gewünscht. Die Diskussion wird nur innerhalb des bestehenden stark selektiven Systems geführt. Man muss sich aber grundlegend Gedanken darüber machen, was Kinder brauchen und wie Kinder erfolgreich lernen. Und da kommen wir an der Diskussion um Inklusion, längeres gemeinsames Lernen, Verringerung des Leistungsdrucks und wissenschaftsorientierte Lernbegleitung statt leistungsorientierter Selektion nicht herum. Und besonders wichtig sind vor allem auch gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten an den Schulen“, so Borgendale abschließend. News4teachers

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Title: GEW: Religionsunterricht ist nicht mehr zeitgemäß (und bindet zu viele Ressourcen)
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Date: February 29, 2024 at 04:14PM
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