#OutInChurch war nicht eingeladen / Brisante kirchenpolitische Diskussion beim Medienpreis

#OutInChurch war nicht eingeladen / Brisante kirchenpolitische Diskussion beim Medienpreis

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Die Situation queerer Menschen in der katholischen Kirche hat am Donnerstagabend für eine kirchenpolitisch brisante Debatte gesorgt. Bei der Verleihung des Katholischen Medienpreises wurde einmal mehr deutlich, wie mühsam die Kirche um Antworten ringt, wenn es um ihre Sexualmoral geht.

Anlass war die Vergabe des Preises an die ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf – Coming-Out in der Katholischen Kirche“. In dem Film hatten sich 100 Mitarbeitende der katholischen Kirche als queer geoutet – also etwa als homosexuell oder transgender.

Es ist eine große konzertierte Aktion: Auf einer Internetseite und im Rahmen einer Fernsehdokumentation haben sich 125 Menschen in der katholischen Kirche geoutet. Sie alle sind haupt- oder ehrenamtlich in der Kirche tätig und zugleich Teil der queeren Community, wie die Initiative „#OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ mitteilte. Die Initiative fordert unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, „dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität“ nicht zur Kündigung führe. (KNA, 24.1.2022)

Zeitgleich zur Ausstrahlung der Doku im Januar war die Initiative #OutInChurch an den Start gegangen, in der neben den Protagonisten des Films weitere Katholikinnen und Katholiken öffentlich über ihre Sexualität und Geschlechtsidentität sprachen. Film und Initiative hatten große öffentliche Debatten hervorgerufen – über die Sexualethik der Kirche und über das kirchliche Arbeitsrecht, nach dem bisher etwa in einer homosexuellen Partnerschaft lebenden Mitarbeitenden gekündigt werden kann.

Wie weit – oder auch nicht weit – die Debatten in den vergangenen Monaten geführt haben, zeigte der Abend der Preisverleihung. Die Journalistin und Moderatorin Anne Will nannte den Film des Autoren-Teams um Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny in ihrer Laudatio eine „kollektive Erleichterung“: „Es brauchte diesen Film, damit 100 von ihnen den Mut fanden, sich zu öffnen. Der Film ist damit mehr als ein Film. Er ist ein monumentaler Befreiungsschlag.“

Die Doku habe zudem geleistet, was die Kirche „selbst hätte leisten müssen“, fügte Will hinzu. Hinter das Coming-Out ihrer Mitarbeitenden könne und dürfe sie nicht mehr zurück. Nach der Dokumentation hatten viele deutsche Bischöfe Gespräche angeboten und versprochen, sich für eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts einzusetzen. #OutInChurch sprach aber häufiger von „Lippenbekenntnissen“, denen bisher keine Taten gefolgt seien.

Eine weitreichende Liberalisierung des katholischen Arbeitsrechts galt lange Zeit als sicher, mittlerweile vermuten einzelne Beobachter, es könne vielleicht doch nur eine eher kleinere Kurskorrektur werden. Wie es weitergeht, werden die Bischöfe am 21. und 22. November entscheiden. Sollten sie für den derzeitigen Entwurf votieren, könnte es zu gravierenden Änderungen kommen. Als einziger Kündigungsgrund würde dann „kirchenfeindliches Verhalten“ erhalten bleiben – und die „Schlafzimmer“ der Mitarbeitenden wären nicht mehr von Interesse.

Bei der Preisverleihung sprach sich der Münchner Kardinal und katholische Medienbischof Reinhard Marx für eine rasche und grundlegende Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts aus: „Queere Menschen gehören zu uns und müssen auch in der Kirche arbeiten dürfen.“ Zuvor hatte Will erklärt: „Auch ich bin lesbisch und weiter – auch zahlendes – Mitglied der katholischen Kirche – und auch ich möchte, dass die menschenverachtende Diskriminierung queerer Menschen endlich aufhört!“ Marx reagierte darauf mit einem: „Ich will auch, dass das aufhört!“

Filmautor Hajo Seppelt und Anne Will ergänzten, mit der Auszeichnung des Films allein sei noch nicht viel gewonnen. Die Kirche müsse im Alltag beweisen, dass sie es ernst meine, und ihre Sexualmoral grundlegend verändern: „Menschen müssen ihre Sexualität frei ausleben dürfen, das kann nicht am Veto der katholischen Kirche scheitern.“ Marx entgegnete, Sexualität habe immer eine ethische Dimension. Daher müsse die Kirche hier Antworten geben.

Der spontane Schlagabtausch zwischen den Journalisten und dem Kardinal gipfelte in der Debatte um die katholische Sexualmoral. Will betonte noch einmal, dass der Reformprozess der deutschen Katholiken, der Synodale Weg, aus Sicht der Reformer kürzlich einen „krachenden Rückschritt“ erlitten habe. Im September hatte dort eine Sperrminorität der Bischöfe ein Grundlagenpapier zu einer erneuerten Sexualmoral verhindert und damit für heftige Debatten gesorgt.

#OutInChurch hatte sich nach diesem bischöflichen Votum ernüchtert gezeigt. Auch vor der Vergabe des Medienpreises warfen sie den Bischöfen den Versuch „einer reinen Imagekampagne auf dem Rücken queerer Menschen“ vor. Die Bischofskonferenz hingegen erklärte, dass die Entscheidung über den Preisträger von einer Jury und nicht von den Bischöfen getroffen worden sei.

Auch waren Vertreterinnen und Vertreter von #OutInChurch nach eigenen Aussagen nicht offiziell zur Preisverleihung eingeladen worden.

Letztlich waren dann doch etwa ein Dutzend Mitglieder in Bonn anwesend. Zu lauten Protesten kam es nicht. Doch standen sie während der Preisverleihung auf und hoben ein Banner hoch: «Diskriminierung beenden, neues Dienstrecht, jetzt!» Die Gäste quittierten es ihnen und den Filmemachern mit stehenden Ovationen.

Die Deutsche Bischofskonferenz, gemeinsam mit der Gesellschaft Katholischer Publizisten (GKP) und dem Katholischen Medienverband, vergibt seit 2003 jährlich den „Katholischen Medienpreis“, der in der Nachfolge des seit 1974 verliehenen „Katholischen Journalistenpreises“ steht. Der Preis soll Journalistinnen und Journalisten zu qualitäts- und werteorientiertem Journalismus motivieren.

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November 4, 2022 at 09:45AM