Religiöses Trauma: Die Schattenseite des Glaubens

Religion kann traumatisieren. Um dem vorzubeugen, müssen Gemeinden ihre „Schattenseiten“ in den Blick nehmen, meint die psychologische Beraterin Claudia Stangl.

Ein religiöses Trauma – was ist das? Claudia Stangl spricht in einem Artikel des Eule-Magazins von einem religiösen Trauma, wenn „Menschen mit Hilfe biblischer Aussagen, theologischer Inhalte oder religiöser Praktiken manipuliert und unter Druck gesetzt werden.“ Das geschehe oft schneller als gedacht, unbeabsichtigt trotz bestem Wissen und Gewissen. Umgekehrt könne sich ein religiöses Trauma auch ohne konkreten Missbrauch entwickeln. Das kirchliche System und die christliche Lehre in sich beinhalten laut Stangl schon das Potenzial dafür.

Als potenzielle Auslöser für religiöse Traumata nennt Stangl Glaubenszweifel, die entstehen könnten, wenn der Glaube sich verändere. Diese könnten jedoch auch erst die Folge von erlebtem Missbrauch sein. Die Zweifel würden gedankliche Widersprüche erzeugen und zu Konflikten mit dem bisherigen sozialen System führen.

„Zweifel sind in vielen religiösen Kreisen nur willkommen, solange sie lediglich ein ‚Durchgangsstadium‘ darstellen auf einem Weg zu einem noch festeren Glauben“, schreibt Stangl. Führten sie dagegen weg vom etablierten Glauben, folgten laut Stangl mitunter übergriffige Missionierungsversuche, Ermahnungen, Entzug von Aufgaben, öffentliche Bloßstellung oder Gemeindeausschluss. Das führe dazu, dass viele Betroffene stumm leiden würden, statt ihre Glaubensprobleme offen anzusprechen.

Therapeutin: Soziales Netz geht verloren

Aussteigerinnen und Aussteiger „verlieren häufig ihr gesamtes Netz, werden von ihrer Familie verstoßen, fühlen sich ohne das vertraute Raster ihrer Religion hilflos und verloren“, sagte die Psychotherapeutin Suzanne Goodwin gegenüber dem Deutschlandfunk. Religionstraumatisierte Menschen hätten Schwierigkeiten, selbstständig und kritisch zu denken, ein geringes Selbstwertgefühl sowie Informations- und Erziehungslücken.

Für Christinnen und Christen, die seelsorgerlich oder therapeutisch tätig seien, sei eine ergebnisoffene Begleitung von Zweifelnden und religiös Traumatisierten „eine echte Herausforderung“, schreibt Stangl. Goodwin lehnt das grundsätzlich ab: „Ein religiöses Trauma sollte von einer neutralen Person behandelt werden. Jede Form der religiösen Therapie ist voreingenommen […] Da gibt es einen Interessenkonflikt.“

Religiöse Traumata seien auch eine theologische Herausforderung, meint Stangl. „Werden Christen den Blick auf die Schattenseiten ihres Glaubens wagen?“, fragt sie. Dazu brauche es Mut und Ehrlichkeit, sichere Zweifelräume und kreative Spiritualität. „Vor allem aber braucht es Barmherzigkeit, Mitgefühl und ein offenes Ohr füreinander.“

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Date: April 20, 2023 at 02:11PM
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