Die Würde des Menschen ist unendlich, sie ist unveräußerlich in seinem Wesen begründet. Was das aus katholischer Sicht bedeutet, formuliert das Vatikanische Glaubensdikasterium in der Erklärung „Dignitas infinita“, die heute im Vatikan veröffentlicht wurde. Der Papst bekräftigt mit dem knapp 70 Abschnitte umfassenden Papier eine Reihe von bekannten traditionellen Positionen rund um die menschliche Anthropologie, möchte zugleich aber auch daran erinnern, dass aus katholischer Sicht die Frage nach der Würde des Menschen mehr betrifft als nur die Anthropologie, sondern dass etwa soziale Fragen ebenso dazugehören. Abtreibung, Leihmutterschaft und Euthanasie lehnt der Vatikan weiter strikt ab. Auch die für Papst Franziskus typische Verurteilung der Gender-Theorie findet sich in dem Papier. Der Präfekt des Glaubensdikasteriums, Kardinal Victor Manuel Fernández, betonte bei der Vorstellung, dass etwa das Nein zu Geschlechtsumwandlungen nicht bedeute, dass betroffene Menschen abgelehnt oder verurteilt würden. Mit Nachdruck forderte er weltweit die Abschaffung jeglicher gesetzlicher Bestimmungen, die homosexuelle Menschen diskriminierten, verurteilten, zu deren Inhaftierung, Folter oder gar Hinrichtung führten. Katholische Kirchenvertreter, die solche gesetzliche Regelungen unterstützten, kritisierte er scharf.
Kritik an Gender-Theorie
Das Papier war mit Spannung erwartet worden. Schon lange war zu hören, der Vatikan bereite ein Papier zur Anthropologie und der „Gender-Idelogie“ vor. Während die einen damit die große Hoffnung verbanden, dass der Papst endlich ein Machtwort sprechen werde zu dem Thema, bangten andere, die katholische Kirche würde sich mit einem ebensolchen weiter ins Abseits stellen mit Blick auf den Diskurs zur Anthropologie und Identitätsfindung des Menschen. Das Papier fällt nun überraschend kurz aus und bietet damit wenig Fläche für Angriffe. Die besonders strittigen Punkte sind im vierten Teil enthalten, in dem „einige schwere Verstöße gegen die Menschenwürde“ aufgeführt werden. 13 Bereiche macht der Vatikan aus, die zusammenhanglos nebeneinander gestellt werden: vom „Drama der Armut“, den Krieg, das „Leiden der Migranten“ über den Menschenhandel, sexuellen Missbrauch, die Gewalt gegen Frauen, Abtreibung und Leihmutterschaft bis hin zur Euthanasie und assistiertem Suizid, dem Ausschluss von andersfähigen Menschen, der Gender-Theorie und der Geschlechtsumwandlung.
Es werden zu den jeweiligen Punkten die bekannten Positionen benannt. Dass mit Blick auf die Menschenwürde Aspekte der Gerechtigkeit und des sozialen Miteinanders stark betont werden, lässt die klare Handschrift von Papst Franziskus erkennen. Zwar ist der Vatikan bemüht zu betonen, dass schon Papst Johannes Paul II. die soziale Dimension der Menschenwürde ins Zentrum kirchlichen Handelns gestellt und Benedikt XVI. diesen Gedanken fortgeführt habe, doch dass die Themen Armut, Krieg, Migration vor Abtreibung, Leihmutterschaft und Euthanasie genannt werden, dürfte kein Zufall sein. Negativ fällt dabei übrigens auf, dass der sexuelle Missbrauch als Verstoß gegen die Menschenwürde gerade einmal mit sieben Zeilen abgehandelt wird. Ausführlicher hingegen behandelt das Papier „Gewalt gegen Frauen“ und verurteilt neben Frauenmorden auch die Diskriminierung von Frauen scharf. Erwartbar war die Kritik an der Gender-Theorie. Papst Franziskus hatte schon mehrfach vor deren vermeintlichem Ziel gewarnt, alle Unterschiede auslöschen und den Unterschied der Geschlechter leugnen zu wollen.
Lange Entstehungszeit des Papiers
Im einleitenden Teil versucht das Papier eine kurze grundsätzliche Klärung. So gebe es eine vierfache Unterscheidung im Verständnis von Würde: die ontologische Würde, die sittliche Würde, die soziale Würde und schließlich die existenzielle Würde. Während der Mensch die ontologische Würde nie verlieren könne, könne er etwa beim Handeln gegen sein Gewissen mit Blick auf die sittliche Würde „unwürdig“ handeln. Die soziale Würde beziehe sich auf die Bedingungen, unter denen ein Mensch lebe. Die existenzielle Würde schließlich beziehe sich auf Lebensumstände, in denen Menschen etwa von Krankheiten oder bestimmten pathologischen Abhängigkeiten betroffen seien und deren Leben als „würdig“ oder „unwürdig“ bezeichnet werde. Im zweiten Kapitel gibt das Papier einen Überblick über die Entwicklung des Gedankens der Menschenwürde von der klassischen Antike bis heute und versucht, die Kirche als Förderer und Garant der Menschenwürde aufzuzeigen. Hier fehlt es dem Dokument an Selbstkritik angesichts der belasteten Geschichte der katholischen Kirche bei der Anerkennung der Menschenwürde für alle, etwa mit Blick auf die Position der Kirche zur Sklaverei oder Andersgläubigen in der Vergangenheit. Im dritten Abschnitt geht es um die Menschenwürde als Grundlage für Menschenrechte und -pflichten.
Das Papier scheint eine schwere Geburt hinter sich zu haben. Der Startschuss fiel vor fünf Jahren. Mehrfach wurde der Text neu erarbeitet und gekürzt. Papst Franziskus wünschte offenbar im vergangenen November noch einmal eine grundlegende Überarbeitung, so dass ein „neuer, erheblich veränderter Textentwurf“ entstand, der den Mitgliedern der Glaubenskongregation Anfang Februar diesen Jahres vorgelegt wurde mit dem Hinweis, dass dieser neue Entwurf aufgrund der ausdrücklichen Bitte des Papstes angefertigt worden sei. Das ließ den betreffenden Kardinälen und Bischöfen kaum Handlungsspielraum, so dass aus dem Papier zu großen Teilen nun der Papst spricht. Ergänzt durch die Äußerungen des Glaubenspräfekten Fernández zeigt sich einmal mehr ein typisches Phänomen des aktuellen Pontifikats: bei Beibehaltung der traditionellen Lehre bleiben Türen für den seelsorglichen Umgang mit den Betroffenen offen. Die Sünde wird verurteilt, nicht der Sünder.
Papst erwartet Gehorsam
Interessant war bei der Präsentation heute im Vatikan, dass Kardinal Fernández zunächst noch einmal ausführlich zur umstrittenen Erklärung „Fiducia suplicans“ vom Dezember Stellung bezog. Papst Franziskus habe damals den Segnungsbegriff erweitern wollen. Die sei sicherlich eine Neuerung in der katholischen Kirche gewesen und manche Liturgieexperten hätten das kritisiert. Doch der Papst habe das machen wollen und er habe das Recht dazu, das zu machen. So gebe es jetzt in der katholischen Kirche die Möglichkeit, außerhalb der Liturgie einen Segen zu erteilen, ohne dass die gesegnete Realität in allen Aspekten der kirchlichen Lehre entsprechen müsse. Franziskus und sein engster Zirkel pochen immer wieder auf das Recht, das ihm als Pontifex maximus zustehe. Sei das nun beim Ausplaudern von Konklavegeheimnissen, wie jüngst in einem Interviewbuch geschehen, oder eben bei der Neuerfindung von Segensformen. Auf jeden Fall müsse man dem Papst Folge leisten, erklärte Fernández. Auf die Frage, welche Anerkennung er für das neue Papier erwarte, hatte er ein entsprechendes Zitat aus dem Kirchenrecht parat, demzufolge Kleriker dem Papst Ehrfurcht und Gehorsam zu erweisen hätten. Das aktuelle Papier taugt sicher nicht, um die Wogen, die nach der Erklärung zur Segnung hochgeschlagen sind, zu glätten. Dazu wird noch immer zu heftig über „Fiducia suplicans“ gestritten.
Title: Vatikan: Verstöße gegen die Menschenwürde
URL: https://blog.zdf.de/papstgefluester/2024/04/08/vatikan-verstoesse-gegen-die-menschenwuerde/
Source: Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog
Source URL: https://blog.zdf.de/papstgefluester
Date: April 8, 2024 at 09:30PM
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