Vorsatz oder Fahrlässigkeit / Kirchenrechtler sieht Sakramenten-Dokument differenziert

DOMRADIO.DE: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Sie am Wochenende die Erklärung "Gestis verbisque" aus dem Vatikan gelesen haben?

Prof. Dr. Matthias Pulte (Seminar für Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz): Als ich die Erklärung gelesen habe, fiel mir gleich ein, dass es ja nicht die erste Erklärung ist, die zur Frage der Gültigkeit und der Erlaubtheit der Sakramentenspendung in letzter Zeit erlassen worden war. Denn tatsächlich hat es gerade in jüngerer Zeit, im Jahr 2003 und im Jahr 2020, Erklärungen der Römischen Kurie zur Frage der Gültigkeit oder Erlaubtheit von Sakramentenspendung insbesondere bei der Taufe gegeben.

"Diese Wortabweichungen sind ganz offensichtlich ein immer wieder auftretendes Problem, das in der Diskussion auftaucht."

Diese Wortabweichungen sind ganz offensichtlich ein immer wieder auftretendes Problem, das in der Diskussion auftaucht. Daher hat sich die Römische Kurie damit beschäftigt. Aber nicht nur die Römische Kurie, seit es sie gibt, sondern man kann ganz weit in die liturgische und auch in die Rechtsgeschichte der Kirche zurückgehen; bis zum Heiligen Bonifatius, dem Apostel der Deutschen. In seiner Auseinandersetzung mit Papst Gregor II. (715-731) spielte so etwas schon eine Rolle.

DOMRADIO.DE: Wodurch wird ein Sakrament gültig und wirksam?

Pulte: Das Sakrament hat aus kirchenrechtlicher Perspektive betrachtet zwei wesentliche Aspekte: einmal die Form und zweitens die Materie. Genau das ist in dem Dokument "Gestis verbisque" noch einmal dargelegt worden unter Bezugnahme auf unterschiedliche Stellen. Leider liegt uns das Dokument bisher auf der offiziellen Homepage des Vatikan nur in italienischer Sprache vor, sodass es für ein breites Publikum nicht so ohne Weiteres zu lesen ist.

Beschränken wir uns jetzt einmal auf die Taufe, um es nicht an allen sieben Sakramenten durchzudeklinieren. Bei der Taufe ist es so, dass die Form des Sakraments einfach die Taufworte sind, die der Taufspender bei der Feier der Taufe spricht: "Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" auf einen christlichen Namen, der dann näherhin zu nennen ist. Die Materie des Sakraments ist das Übergießen mit fließendem Wasser.

Das sind die Minimalanforderungen an eine gültige und erlaubte Taufspendung, wie sie auch der Codex in Canon 846 vorsieht, wo es heißt: "Bei der Feier der Sakramente sind die […] liturgischen Bücher getreu zu beachten; deshalb darf niemand dabei eigenmächtig etwas hinzufügen, weglassen oder" – und das ist das, worauf es hier in diesem Kontext ankommt – "ändern."

DOMRADIO.DE Das klingt ganz so wie die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Aber wie wird denn jetzt ein Sakrament ungültig? Reicht es da im Umkehrschluss schon, wenn man sich bei der Formel unwissentlich vertut, weil man sich beispielsweise beim Sprechen verhaspelt?

Pulte: Das ist genau die Frage. Und da ist "Gestis verbisque" ebenso wie das Dekret der Glaubenskongregation von 2020 aus meiner Perspektive etwas problematisch. Gregor II. hat in der Auseinandersetzung mit Bonifatius im 8. Jahrhundert erklärt, dass das Handeln in Unwissenheit, also die relevante Unfähigkeit des Spenders, nicht zur Ungültigkeit des Sakramentes führt, weil es letztendlich darauf ankommt, die richtige Intention zu haben, also das tun zu wollen, was die Kirche tut.

Hier scheint es jetzt etwas schwieriger zu sein. Denn sowohl 2020 als auch jetzt, 2024, wird noch einmal genau darauf gedrängt, dass die Wortwahl strictissime einzuhalten ist. Dabei unterlassen es beide Dokumente zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu unterscheiden.

"Wenn jemand vorsätzlich die Form des Sakramentes verändert oder die Materie verändert, dann führt das unweigerlich zur ungültigen Sakramentenspendung."

Als Kirchenrechtler würde ich hier genau unterscheiden und damit komme ich zu der Antwort: Wenn jemand vorsätzlich die Form des Sakramentes verändert oder die Materie verändert, dann führt das unweigerlich zur ungültigen Sakramentenspendung. Es reicht nicht aus, mit fließendem Wasser zu übergießen oder es reicht nicht aus, die trinitarische Formel zu verwenden und dabei das Wasser zu vergessen. Beide Dinge gehören notwendig zusammen. Fehlt eines der beiden Elemente oder ist es willentlich falsch, kann das zur Ungültigkeit des Sakramentes führen.

DOMRADIO.DE: Kardinal Fernandez, der Chef-Dogmatiker des Papstes, betont, die Gläubigen hätten das Recht, die Sakramente so zu empfangen, wie es die Kirche vorsehe. Es gibt aber auch Gläubige, die die Abweichung von der Norm als erfrischende Abwechslung befürworten, wenn der Priester zum Beispiel selbstgeschriebene Texte in der Liturgie verwendet und ein Ringbuch anstelle eines der approbierten Bücher auf dem Altar liegt. Wieviel Kreativität und Spontaneität ist sinnvoll und erlaubt, ohne dass die Gültigkeit von Sakramenten gefährdet wird?

Pulte: Letztendlich wird man sagen müssen, was Kardinal Fernandez zitiert, ist ein Grundrecht der Christgläubigen, dargelegt im Canon 214, also im Verfassungsrecht des Codex relativ hoch gehängt, dass die Leute darauf einen Rechtsanspruch haben. Das ist das eine. Das andere ist der schon zitierte Canon 846, die Verpflichtung aufgrund dieses Grundrechts der Gläubigen, die Verpflichtung der Sakramentenspender, sich an das zu halten, was letztlich vorgeschrieben ist.

"Das sind Amtspflichten, die sind einzuhalten."

Das sind Amtspflichten, die sind einzuhalten. Das Abweichen ist erstens unerlaubt und kann nach Maßgabe der Entscheidung der zuständigen kirchlichen Autorität tatsächlich zur Ungültigkeit führen. Denn Canon 841 informiert darüber, dass allein die höchste kirchliche Autorität beurteilt und festlegt, was zur Gültigkeit der Sakramente erforderlich ist.

Ich spreche ja hier nur als Kirchenrechtler, und deshalb kann ich die Frage, was sinnvoll ist oder ob Kreativität erforderlich und möglich ist, in dem Sinne gar nicht so gut beantworten. Man möchte sich das manchmal vorstellen, dass etwas mehr Kreativität in der Liturgie vorkommt. Aber diese Kreativität kann sich tatsächlich aus kirchenrechtlicher Perspektive betrachtet nur im Rahmen dessen abspielen, was die zuständige kirchliche Autorität – hier der Apostolische Stuhl – an Kreativität zulässt.

DOMRADIO.DE: Was ist mit den Sakramenten, die nach den strikten Anordnungen des Vatikans ungültig gespendet worden sind? Müssen jetzt so viele Taufen wiederholt werden und müssen die Gläubigen Angst um ihr Seelenheil bekommen? 

Pulte: Das ist eine relativ heikle Frage. Angst ums Seelenheil muss – glaube ich – niemand haben, weil die Möglichkeiten Gottes immer größer sind als die Kleinigkeit, die wir uns als Menschen vorstellen, auch wenn sie von höchster kirchlicher Autorität stammt.

Im Hinblick auf die Frage der Wiederholungspflicht von Sakramentenspendungen gibt es auch unterschiedliche Rechtsauffassungen. Meine Rechtsauffassung geht eher dahin, mich an dem zu orientieren, was einerseits Gregor II. an Bonifatius geschrieben hat und zweitens genau in dieser Linie das, was die Sakramentenkongregation 2003 entschieden hat. Da ging es darum, was eine relativ winzige Veränderung ausmacht: anstelle des "Ich taufe dich" und dann die trinitarische Formel ein "Wir taufen dich" und trinitarische Formel. Da hatte die Kongregation gesagt, dass das zwar unerlaubt, aber letztlich die Taufe gültig sei.

Nach mehrjähriger Arbeit hat der Vatikan die Neuordnung der römischen Kurie veröffentlicht. Die Apostolische Konstitution "Praedicate evangelium" regelt den Aufbau der Kurie, darunter die Zuschnitte der sogenannten Dikasterien (Ministerien), Justiz- und Wirtschaftsorgane sowie der Büros des Heiligen Stuhls. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) stellt die Organe kurz vor:

Das ist "state of the art" auf jeden Fall bis zum Jahr 2003. 2020 haben wir dann die Erklärung der Glaubenskongregation, damals noch verantwortet von Kardinal Ladaria, die sagt, es komme ganz präzise und genau auf diese Wortwahl an. So könnte man dazu tendieren zu sagen, dass zumindestens alle Taufen, die seit 2020 unter Abweichung der Wortwahl der Forma sacramenti gespendet worden sind, ungültig sind und wiederholt werden müssen.

Schwierig ist es zu fragen, ob das auch rückwirkend für Sakramente gilt, die vor der Erklärung der Glaubenskongregation auf diese Weise abweichend gespendet worden sind. Da neige ich zu der Ansicht zu sagen, dass die Sakramente, die bis 2003 gespendet worden sind, auf jeden Fall nicht wiederholt werden müssen. So kann man rechtssicher handeln, weil das das amtliche Dokument ist, das seine Gültigkeit bis 2020 hatte.

Jetzt ist "Gestis verbisque" nur eine Einschärfung dessen, was seit 2020 gilt. Insofern haben wir diesbezüglich einen entsprechenden Rahmen. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob das Dokument das wirklich hergibt, zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zu unterscheiden, wie ich das anfangs gesagt habe.

Wohl aber bin ich der Auffassung, dass diejenigen, die fahrlässig etwas vergessen haben, keine Sorge haben müssen, dass das Sakrament ungültig gespendet ist. Denn hier überwiegt auf jeden Fall die Intention das zu tun, was die Kirche tut, deutlich und von daher ist von der Gültigkeit der Sakramentenspendung auszugehen.

Wer allerdings nachdrücklich vorsätzlich als Sakramentenspender gehandelt hat, da sieht die Sache natürlich anders aus. Da würde ich sagen, wäre die Wiederholung erforderlich.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.


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Date: February 7, 2024 at 04:34PM
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