Warum mache ich das eigentlich? Würde ich wieder Lehrer werden? Kann ich das empfehlen? (2023)

Warum mache ich das eigentlich? Würde ich wieder Lehrer werden? Kann ich das empfehlen? (2023)

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“Ich könnte das nicht. Muss ja schlimm sein.”
“Ach, alle Lehrer jammern ständig.”

Was ist mein Beruf?

Lehrer für die Fächer Deutsch, Englisch und Informatik an einem bayerischen Gymnasium außerhalb von München. An anderen Schularten, in anderen Bundesländern kann alles anders sein.

Kann ich diesen Beruf empfehlen?

Ja. Ich habe noch das Gefühl, etwas Sinnvolles zu machen. Es macht Spaß, Dinge zu wissen; es macht Spaß, vor einer Klasse zu stehen und zu erklären, oder auch nur zuzuschauen, wie sie etwas lernen. Einmal im Jahr sind Sommerferien, da hat man einen leeren Schreibisch und kann gründlich verschnaufen. Wenn man nicht an einer Ganztagsschule ist, hat man relativ viel Verfügungsgewalt über die eigene Zeit. (Aber ja, man kann immer nur während der Schulferien Urlaub machen.) Das Geld ist nicht schlecht. Die Arbeit ist anstrengend, aber machbar,

Würde ich das wieder machen?

Puh. Immer schwierig. Vielleicht. Entweder das, oder etwas mehr mit Computern? Andererseits hat mich das Anglistikstudium unglaublich bereichert, und das Germanistik-Studium schon auch. Klugscheißen liegt mir, aber akademische Karriere nicht, denke ich. Wenn ich etwas anderes machen würde, dann nicht, weil ich unzufrieden mit dem Beruf als Lehrer bin.

Was braucht man, um eine gute Lehrkraft zu sein?

Was weiß ich. Es gibt wohl viele Möglichkeiten, eine gute Lehrkraft zu sein. Vermutlich gehört eine Sache immer dazu: Die Arbeit muss einem dauerhaft Spaß machen. Nicht an jedem Tag, aber doch meistens. (Oder ist das Projektion? Wenn einem die Arbeit keinen Spaß macht, kann man nicht gut sein. Ich kann nicht hineinschauen in die Leute.) Dazu müssen manche ihre Erwartungen herunterschrauben, andere eher nicht. Und eine gute Lehrkraft heißt nicht nur, guten Unterricht zu machen, sondern auch, gut im Kollegium zusammenzuarbeiten. Und guten Unterricht zu machen, da braucht es vor allem eines: sich hineinversetzen können in die Position der Schüler und Schülerinnen. Und Classroom Management.

Wie anstrengend ist das?

Ah, die Kernfrage. Ich kann nur etwas zu Vollzeit ohne eigene Kinder sagen. Und das ist auch sehr fachabhängig, Deutsch kostet mehr Zeit als Englisch, Englisch mehr als Mathematik. Es gibt immer wieder Phasen im Jahr, in denen es besonders viel Arbeit gibt (Dezember, Abitur). Ich arbeite eigentlich an jedem Wochenende einen, an manchen zwei Tage, und auch in den meisten Ferien an den meisten Tagen, da aber nicht so viel. Es gibt auch Phasen, wo ich mehr Ruhe habe. Und es ist wichtig, dass man seine Zeit einteilt. Am Anfang und auch noch zur Mitte meiner Laufbahn bin ich ab und an eine Stunde früher aufgestanden, weil noch etwas erledigt werden musste; heute bleibt das dann halt liegen. Nach acht Uhr abends habe ich noch nie gearbeitet und ich höre oft deutlich vorher auf. Andere machen das anders, gerne, wer mag und kann. Es ist jedenfalls wichtig, auf sich zu achten und notfalls schlampig zu arbeiten. Perfekt geht halt nicht.

Allerdings bin ich wohl recht belastbar, arbeite schnell, habe viel Zeit. Für Leute wie mich sollte das System nicht ausgelegt sein. Ich zitiere mal einen alten Blogeintrag:

Das erinnert mich ein bisschen an “Der Minimalforscher” von Robert Sheckley, eine nicht ganz ernst gemeinte Science-Fiction-Kurzgeschichte. Fremde Planeten werden dort erst auf Tauglichkeit geprüft, indem ein Kolonist dort alleine ein Jahr überleben muss, um sicherzustellen, dass es keine Gefahr durch wilden Tiere, Bakterien, Umweltgifte, in den Wahnsinn treibende Naturphänomene gibt. Die Behörde, die das organisiert, ist allerdings davon abgekommen, tüchtige, kräftige, geschickte Männer als Kolonist einzusetzen, weil die die Gefahren oft gar nicht mitkriegen. Stattdessen werden eher ungeschickte Tölpel eingesetzt – wenn die die Zeit als Kolonist überstehen, dann ist der Planet auch wirklich für alle tauglich.

Ich kenne Lehrkräfte, die das System krank gemacht hat; Lehrkräfte, die freiwillig ihre Stundenzahl reduzieren, um den eigenen Ansprüchen zu genügen. Schlimm ist vor allem, wenn Führungspersonal solche Maximalforscher sind. Die Hauptsache ist nicht, dass der Laden läuft, sondern dass es allen so gut geht wie möglich.

Was sollte man am Anfang wissen?

Die Noten aus der Uni sind wichtig für die Karriere, die Noten aus dem Referendariat weniger. Und: Man kriegt nicht mehr Geld oder eine Beförderung, weil man eine gute Lehrkraft ist. Es mag gute und schlechte Lehrkräfte geben, aber die kriegen alle genau gleich viel Geld (von gelegentlichen, eher seltenen Bonuszahlungen abgesehen). Theoretisch sind alle Lehrkräfte gleich gut, man kriegt, ich wiederhole es, nicht mehr Geld, weil und wenn man eine gute Lehrkraft ist. Mit einer guten Beurteilung fühlt man sich gut, mit einer schlechten nicht so, aber man kriegt genau das gleiche Geld. Mehr Geld kriegt man dann, wenn man eine mehr oder auch weniger verantwortungsvolle Aufgabe übernimmt. Und dafür ist die Beurteilung dann wichtig. Manchmal geht die Aufgabe an die richtigen, manchmal nicht.

Das Unterrichten

Weit verbreitet ist die Vorstellung, Unterricht bestehe darin, etwas gut und anschaulich erklären zu können. Vor allem Laien, also aus Politik und Wirtschaft, glauben das oft. Kritik an der Schule besteht dann darin, dass die Lehrkräfte nicht gut erklären können und keine guten Beispiele verwenden. Ach, wenn es doch nur so einfach wäre. Es gibt immer noch Erklärunterricht, und den kann man schlecht oder auch gut machen, aber Unterricht ist so viel mehr als das.

Das traditionelle Konzept sieht Lehrkräfte als wohlwollende Könige oder Königinnen in der Klasse, die Lernsituationen schaffen. So bin ich sozialisiert. Dennoch sollte man Gelegenheiten suchen und nutzen, Schüler und Schülerinnen mit entscheiden zu lassen. Modernere Konzepte gibt es auch.

Ist es nicht langweilig, jedes Jahr das gleiche zu machen? Oder immer nur mit Kindern und Jugendlichen zu tun zu haben?

Überhaupt nicht. Es ist ja nicht das gleiche jedes Jahr. Lehrpläne und Inhalte ändern sich, Lektüren wechseln sich ab, aber vor allem: Klassen sind unterschiedlich. Ich mache nie jedes Jahr das gleiche. Intellektuell stimulierend ist das alles auch, wenn man will; die Inhalte der Oberstufe, aber auch der Mittelstufe sind keineswegs trivial, und wie man sie aufbereitet, das ist ohnehin immer eine schwierige Frage.

Stimmt es, dass man irgendwohin geschickt werden kann?

Wohl ja. Zumindest im Referendariat und danach kann man sich nicht aussuchen, wo man eingesetzt wird. Später kann man sich versetzen lassen; ich kenne nur Fälle, wo das relativ schnell geklappt hat, aber ich kenne ja nur wenige Fälle. Wichtig: So eine Versetzung ist kaum mehr möglich, wenn man alt und befördert ist. Als A15 wäre man bei der Marine Fregattenkapitän, und geht dementsprechend als letztes von Bord.

Was schön ist

Relativ freie Zeiteinteilung, relativ freie Wahl bei der Gestaltung. Das Gefühl, Entscheidungen treffen und etwas bewirken zu können. Ja, man muss sich an viele Regeln halten. Manche scheinen willkürlich (bis man selber mal am anderen Ende der Regeln gesessen ist, weshalb ich finde, dass möglichst viele Lehrkräfte möglichst viele Jobs an der Schule mal gemacht haben sollten), manche sind willkürlich. Damit muss man leben. Aber ich war bei Bundeswehr, da ging das auch.

Sind die Kinder wirklich so schlimm? Und die Eltern?

Nein, gar nicht, weder die einen noch die anderen. Klar sind da manchmal schwierige dabei, aber das sind Ausnahmen, und das ist schon okay.

Spannungsfeld Pädagogik-Politik

Damit muss man leben. Die Politik trifft oft aus sachfremden Gründen Entscheidungen. Und Pädagogik und Didaktik – da gibt es viel Kluges, aber auch Moden; in der akademischen Forschung geht es ja auch darum, Neues auszuprobieren und zu bewerten.

Verbeamtung

Die meisten Lehrkräfte in Bayern sind verbeamtet, viele aber auch angestellt. Manche Bundesländer haben mehr Angestellte, manche verbeamten inzwischen wieder mehr. Der Unterschied im Schulalltag ist sehr gering: Streiken dürfen nur Angestellte, das kommt in Bayern kaum vor. Hoheitliche Aufgaben erfüllen beide, die theoretische Begründung für das Beamtentum halte ich also für sehr wackelig, aber das ist ein anderes Thema. Einen Unterschied gibt es beim Geld: Angestellte Lehrkräfte zahlen Arbeitslosen‑, Pflege‑, Rentenversicherung, beamtete nicht; die einen sind oft gesetzlich krankenversichert, die anderen oft (aus besoldungstechnischen Gründen) privat. Bei beamteten Lehrkräften bleibt also mehr übrig.

Oft heißt es, dass Beamte besonders unkündbar seien. Das gilt ähnlich für den öffentlichen Dienst allgemein, man muss sich auch als angestellte Lehrkraft nicht sorgen.

Ein Problem des Beamtentums ist das hier: Wenn man mittendrin feststellt, dass der Beruf nichts für einen ist, kann man nicht so leicht aussteigen. Das heißt, man kann natürlich schon. Dann zahlt der Arbeitgeber seinen Anteil der Rentenversicherungsbeiträge nach. Der Arbeitnehmeranteil wird allerdings nicht nachgezahlt, es ist also insgesamt nicht so viel in die Rentenversicherung eingezahlt worden und man kriegt entsprecht wenig Rente. Das macht das Loslösen vom Beamtentum schwer. Hätte man von dem Mehr-Netto-vom-Brutto ja zurücklegen können.

Mit Beamtenstatus muss man loyal dem Dienstherrn gegenüber sein. Man hat etwas weniger Freiheiten im Vergleich zu den Angestellten.

Ja, man macht das auch fürs Geld

Es macht schon auch Spaß, und ich habe sehr viel gelernt als Lehrer, aber ich mache es auch für das Geld.

Im Referendariat kriegt man Anwärterbezüge. Danach steigt man im Gymnasium in Bayern in der Besoldungsgruppe A13 ein, wird dann nach acht oder zehn oder zwölf Jahren A14, und für etwa ein Fünftel aller Lehrkräfte gibt es eine Funktionsstelle mit A15. Schulleitungen erhalten A16. An anderen Schularten steigt man teilweise mit A12 ein, A13 für alle ist angekündigt.

Außerdem gibt es Altersstufen. Alle paar Jahre – am Anfang schneller, später langsamer – steigt man auf und erhält etwas mehr Geld, bis man die Höchststufe 11 erreicht hat. Bei mir war das mit Anfang 53 Jahren der Fall. Jetzt gäbe es nur noch mehr Geld für mich, wenn ich in eine höhere Besoldungsgruppe käme, außerdem gibt es alle paar Jahre mehr Geld wegen Inflation und so. (Dabei werden in der Regel die Tarifabschlüsse für angestellte Lehrkräfte auf die Beamten übertragen.)

Ich bin jetzt Mitte 50 und der Staat zahlt brutto für mich 7058 € im Monat bei Vollzeit, dazu noch 150 €, weil ich verheiratet bin. Ich bin A15, sitze also auf einer der begehrten Funktionsstellen, habe Altersstufe 11, mehr kann es also nicht werden, wenn ich nicht Schulleitung werden wollte. (Es gibt aber auch noch Position A15 plus Zulage.) Abzüglich Steuer und Krankversicherung bleiben davon netto etwa 4650 € im Monat. Wenn man das Weihnachtsgeld dazu zählt, sind es im Monat netto 4850 €. Details findet man, wenn man einen entsprechenden Gehaltsrechner im Web sucht.

Wenn man mit A13 und Altersstufe 5 (ich weiß nicht, ob die realistisch ist; als ich anfing, war das System noch anders) einsteigt, sind das netto ohne Weihnachtsgeld, aber mit Versicherung 3450 € im Monat. Die genaue Summe hängt natürlich von der konkreten Versicherung und der endgültigen Steuererklärung ab.

Wann kann man in Rente gehen?

(Wer das hier liest, weiß das, oder es ändert sich eh, bis das relevant wird.) Beamte gehen nicht in Rente, sondern werden pensioniert. Aktuell mit 67 Jahren, und nur zum Schuljahresanfang oder Halbjahr, Details hängen vom exakten Geburtstag ab. Es gibt Altersteilzeitmodelle, Sabbatjahre, und mit mehr oder weniger viel Abschlägen (also weniger Pension) kommt man noch früher weg.

Das Referendariat

Das ist bei mir so lange her, dass die Erfahrungen für heute kaum mehr relevant sind. Ich weiß wenig über das Referendariat heute. Im Web lese ich viele Klagen, vor allem in den Tageszeitungen, wenn sie gerade über Lehrer und Lehrerinnen schreiben und welche interviewen; wie repräsentativ das ist, weiß ich nicht.

Was nervt am meisten?

Vermutlich das Kultusministerium, aber auch nicht sehr. Ich gebrauche es zum Dampfablassen. Klar machen die viel falsch, aber das sage ich eher als Bürger. Die Ungerechtigkeit bei der Arbeitsverteilung innerhalb meiner Schulart und beim Vergleich der Schularten stört. Die Sticheleien aus der zeitgenössischen Twitterecke gegen Gymnasialkräfte stören aber auch, andererseits bin ich nicht mehr wirklich bei Twitter. Die Gesellschaft schätzt Lehrkräfte jedenfalls schon, für meine älteren Nachbarn und Nachbarinnen bin ich als Lehrer schon eine Respektsperson.

(Aus dem Sabbatjahr aus dem Urlaub gesendet. Also vielleicht mit Vorsicht zu genießen.)

Schule

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April 6, 2023 at 06:29PM