Wenn der Messias die Tür aus den Angeln tritt / 400 Jahre Advents-Evergreen „O Heiland, reiß die Himmel auf“

Wenn der Messias die Tür aus den Angeln tritt / 400 Jahre Advents-Evergreen „O Heiland, reiß die Himmel auf“

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Wieder einmal hat der Prophet Jesaja seine Spuren hinterlassen. Ungewöhnlich ist dies keineswegs, werden doch viele der alttestamentlichen Sätze in christlicher Interpretation immer wieder auf die Geburt Christi hin gedeutet. Streiflichter dieser Theologie finden sich in bekannten Adventsliedern wie „Es ist ein Ros entsprungen“, wo auf die „Wurzel Jesse“ und somit die Herkunft Christi aus dem Geschlecht Davids verwiesen wird oder „Tauet, Himmel den Gerechten“. Ein weiteres ist „O Heiland, reiß die Himmel auf“, das in diesem Jahr seinen 400. Geburtstag begeht.

Der ursprünglich sechsstrophige Text wird Friedrich Spee (1591-1635) zugeschrieben, der während des Dreißigjährigen Krieges lebte. Der Dichter und Moraltheologe verfasste viele bis heute bekannte Kirchenlieder und war als scharfer Kritiker der Hexen-Prozesse bekannt.

„O Heiland, reiß die Himmel auf“ wurde erstmals 1622 in einer Würzburger Liedersammlung zur katechetischen Unterweisung gedruckt, mit der den Gläubigen die Menschwerdung Gottes erklärt werden sollte. Es wurde anfangs auf die Melodie des Advents-Hymnus „Conditor alme siderum“ gesungen; ein erster Beleg der heutigen Melodie findet sich 1666. Von Würzburg aus verbreitete sich das Lied rasch; heute ist es im Gotteslob, dem katholischen Gesangbuch, unter der Nummer 231 zu finden.

Biblischer Bezug des Liedes ist ein Vers im Buch des Propheten Jesaja. „Tauet, ihr Himmel, von oben“ heißt es da im 45. Kapitel – es ist eine entscheidende Passage für die christliche liturgische Tradition in der Vorweihnachtszeit. So ist sie auch Namensgeberin für die adventliche und frühmorgendliche „Rorate-Messe“, einer Votivmesse zur Ehren der Gottesmutter Maria, die ursprünglich nur an den Samstagen im Advent gefeiert wurde.

Während die Rorate-Messen – mancherorts auch „Engelamt“ genannt – mit ihrem Kerzenschein in den dunklen frühen Morgenstunden oftmals ruhig und besinnlich gefeiert werden, schlägt das Lied aus der Feder Spees andere Töne an. Es ist reich an Affekten, da ist eine große Unruhe, ein Wolkenbruch, Sehnsucht nach einem Ende von Leid. Gleich dreimal erklingt in der ersten Strophe ein Ruf, der Heiland möge etwas „aufreißen“ – den Himmel, seine Toren und Türen, seine Schlösser und Riegel.

Als „rücksichtslos“ und „gewalttätig“ beschreibt der Literaturwissenschaftler und Theologe Hermann Kurzke in einem Beitrag über den Adventsschlager die erste Strophe: „Der kommende Messias soll nicht pfleglich umgehen mit den Himmeln, er soll sie aufreißen, die Türen aus den Angeln treten, allerschnellstens herabrennen.“ Die zweite Strophe sei „sanft“, die dritte „träumt inbrünstig“, die vierte fragt klagend, wann all dies geschehe, die fünfte beschreibe Finsternis und die sechste sei eine Zusammenfassung aller Bitternis und Sehnsucht.

In den Ausgaben aus dem 17. Jahrhundert finden sich Angaben, die auf die das Lied Singenden verweisen. „Seufzen der Altväter in der Vorhöll“ steht da als Überschrift. Wer das Lied singe, schlüpfe in die Rolle der Altväter Abrahams, Isaaks und Jakobs, erläutert Kurzke weiter. Es sei ein Hineinversetzen „in die alttestamentlichen Patriarchen und Propheten, die nach uraltem Glauben in der Vorhölle schmachten, einer Art Buß- und Wartesaal, wo sie auf den Messias haaren“.

Das Lied drücke die Gefühlslage des auf den Messias wartenden Volks Israel aus, schreibt die Kirchenmusikerin Johanna Schell. Leidenschaftliche Affekte seien zwar typisch für die Barockzeit, solche ausgeprägten Empfindungen seien bis dato jedoch neu für geistliche Lieder. Bei Spee komme eine „Heilssehnsucht“ zur Sprache, die noch verstärkt werde durch Klagelaute wie „O“ und „Ach“.

Spee stand zeit seines Lebens unter den katastrophalen Eindrücken des Dreißigjährigen Krieges. Und vielleicht ist sein jahrhundertealter Text deswegen in diesen Tagen so aktuell: Wenn die Welt von Krise zu Krise schlittert, der Ukraine-Krieg und alle weiteren Schauplätze von Krieg und Gewalt das Leben überschatten, dann wird aus der Zeit des besinnlichen Plätzchenbackens ein lauter Ruf nach Gerechtigkeit, eine unüberhörbare Sehnsucht nach Befreiung aus dem Jammertal.

Religion

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December 18, 2022 at 07:34AM