Wenn sich Gott als Mutter vorstellt / Theologin und Pastorin blickt feministisch auf die Bibel


DOMRADIO.DE: Ihr Buch heißt „Gott ist Feministin“. Ist Gott demnach weiblich?

Mira Ungewitter (Autorin und baptistische Pastorin in Wien): Ja und nein. Gott ist in meiner Vorstellung und auch so, wie ich die biblische Vorstellung von Gott verstehe, grundsätzlich geschlechtslos. Gott wird aber sehr häufig mit männlichen Merkmalen charakterisiert und besprochen. Im biblischen Kontext stellt er sich selbst aber auch mit weiblichen Merkmalen dar. Zum Beispiel, wenn er sich als Mutter vorstellt. Das ist ein Aspekt, den ich in dem Buch beleuchten wollte, um die Perspektive auf die weiblichen Eigenvorstellungen von Gott zu lenken.

DOMRADIO.DE: Das Buch ist sehr persönlich. Es ist auch reich an Ironie und Provokation und nicht nur für Frauen geschrieben. Ist das ein Buch für Feministinnen und Feministen?

Ungewitter: Ich hoffe. Christentum und Feminismus sind natürlich zwei getrennte „Bubbles“, wie man so schön sagt, aber ich habe auch schon säkulare Feministinnen das Buch loben hören. Daher hoffe ich, dass auch Feministinnen, die mit Kirche und Glauben wenig bis gar nichts zu tun haben, es mit Gewinn lesen können. Schlicht und ergreifend, weil wir als Gesellschaft historisch, ob wir wollen oder nicht, damit verankert sind. Das Buch setzt dem patriarchalen System Kirche aus der Theologie selbst kommend etwas entgegen. Das würde ich auch als Gewinn für säkulare Leserinnen empfinden.

DOMRADIO.DE: Wie bringt man denn das Christentum mit dem Feminismus zusammen?

Ungewitter: Das ist eine spannende Frage. Das werde ich sehr häufig gefragt. Ich bin Pastorin, Theologin und gleichzeitig Feministin. Für ganz viele geht das nicht zusammen. Das finde ich persönlich ganz traurig, weil die einfachste Definition von Feminismus, dass alle Menschen, egal welchen Geschlechts, die gleichen Rechte haben und mein christlicher Glaube, dass Gott alle Menschen mit gleichen Rechten und Würde erschaffen hat, sehr gut zusammenpassen.

Sex, Lust und selbstbewusste Frauen – dafür ist in der Bibel und in der Kirche kein Platz! Oder doch? In ihrem neuen Buch hinterfragt die Pastorin und Feministin Mira Ungewitter kritisch alte Tabus, Rollenbilder und Schamgefühle. Sie macht Schluss mit verstaubten Klischees und ruft auf zu einem selbstbestimmten, unverschämten Leben in Freiheit.

Nichtsdestotrotz haben wir mit der Bibel ein Buch, was unter anderem in patriarchalen Kulturen entstanden ist, diese aber immer wieder aufbricht. Das waren für mich Punkte, von wo aus ich mich auch als Pastorin mit dem Schreiben des Buches auf die Reise gemacht habe, um detailliert zu schauen, wie viel Feminismus, wie viel Gleichberechtigung in der Bibel steckt. Dabei bin ich immer wieder selbst überrascht worden, wie viel Schönes dort zu finden ist.

DOMRADIO.DE: Gab es einen Anlass, dieses Thema anzugehen?

Ungewitter: Ja. In meiner Konfession, dem Baptismus, können Frauen Pastorinnen werden. Trotzdem bin ich dort immer wieder auf große Widerstände gestoßen, auf eine große Ablehnung von Frauen im Amt. Ich glaube, das hat mir eine Initialzündung für das Thema gegeben und die Motivation, da genauer drauf zu schauen.

Ich habe mich dann mit feministischer Theologie beschäftigt und mit biblischen Frauenfiguren, beispielsweise mit Maria von Magdala, die als erste Apostelin, als Apostelin der Apostel gilt, weil Jesus ihr nach seiner Auferstehung als erstes begegnet. Die Beschäftigung war mir zum Teil eine Selbstvergewisserung gegen die Widerstände und die biblischen Frauenfiguren leuchtende Vorbilder, die ich mir genau anschauen wollte.

DOMRADIO.DE: In der Bibel ist viel mehr die Rede von Männern als von Frauen, die oft nicht mal einen Namen haben.

Ungewitter: Es gibt natürlich einen Überhang an männlichen Protagonisten in der Bibel, aber eben auch starke weibliche Bilder. Maria von Magdala habe ich bereits genannt, aber auch Maria, die Mutter Jesu, finde ich sehr interessant. Wenn man sie aus dieser 2000 Jahre alten Verklärung herausholt, zeigt sich eine junge, selbstbewusste Frau, die ihre eigenen Entscheidungen trifft. Zum Beispiel wenn Maria zu ihrer Verwandten Elisabeth geht. Das ist ein Weg von rund 150 Kilometern, den sie anscheinend komplett alleine und schwanger zurückgelegt hat.

Wir finden aber auch im Ersten Testament in der hebräischen Bibel starke Frauenfiguren, die als Prophetinnen agieren, als Richterinnen oder ganze Völker retten. Ich versuche bei meiner Arbeit in diese Geschichten tief rein zu zoomen, und finde, dass man dort viel herausfinden kann. Egal ob Frauen mit oder ohne Namen.

Man kann das natürlich kritisieren, dass es in der Bibel nicht ausreichend Frauenfiguren gibt, aber die, die es gibt, gilt es neu emporzuheben.

DOMRADIO.DE: Der Untertitel ihres Buches heißt „Mein Leben mit Eva, Maria und Lady Gaga“. Was haben die biblischen Frauenfiguren mit Lady Gaga oder anderen Frauen zu tun?

Ungewitter: Für mich sind die biblischen Geschichten spannende Zeugnisse von Menschen und wir sehen, dass ihnen Ähnliches widerfährt wie heutigen Frauen. Beispielsweise das sogenannte “Slutshaming“ (moralische Verurteilung von überwiegend Frauen, die ein sexuell selbstbestimmtes – mitunter freizügiges Leben führen, Anm. d. Red.).

Was nützt mir die beste Theologie; was nützt mir die Exegese, wenn kein Gefühl von Leben da drin ist?

Das ist zum Beispiel Britney Spears passiert, aber ähnlich auch Maria von Magdala, die als erste Apostelin eigentlich eine Führungsposition eingenommen hätte, der aber im Laufe der Kirchengeschichte ohne irgendein biblisches Zeugnis, also komplett unberechtigt, nachgesagt wurde, dass sie eine Prostituierte gewesen sei. Womit ich per se gar kein Problem hätte, wenn wir auch nur einen Beleg oder gar Indiz dafür hätten. Dieses Phänomen, zu versuchen, einer Frau nur mit einer Art Gerücht einen despektierlichen Ruf zu verschaffen, fand ich sehr spannend, weil es auch heute noch in der Moderne oft passiert.

DOMRADIO.DE: Welche Frauen haben Sie denn ganz persönlich als Vorbilder in Ihrem Leben begleitet? Sind da auch welche aus der Bibel dabei?

Ungewitter: Ja, definitiv aus der Bibel. Maria von Magdala habe ich schon mehrfach genannt. Aber eine, die ich für mich ganz neu entdeckt habe, ist Sulamith aus dem Hohelied der Liebe. Das war eine große Überraschung. Eine biblische Frauenfigur, die persönlich und selbstbewusst über ihre Liebesbeziehung spricht. Eine biblische Liebesgeschichte, die komplett egalitär verläuft. Sulamith ist jemand, den ich sehr mutig finde und die mir während des Schreibens zum Vorbild geworden ist.

Wenn Sie nach persönlichen Vorbildern fragen – das klingt jetzt ein bisschen kitschig oder vielleicht auch pathetisch: Mir ist beim Schreiben bewusst geworden, was für ein Vorbild meine Mutter für mich war. Sie ist im Oktober letzten Jahres, noch während ich das Buch schrieb, verstorben.

Das Persönliche war mir bei dem Buch im Ganzen wichtig. Was nützt mir die beste Theologie; was nützt mir die Exegese, wenn kein Gefühl von Leben da drin ist? Das war für mich beim Schreiben das Schwierigste, dass ich das Gefühl habe, dass das Buch die Menschen berührt. Mich hat deswegen am meisten gefreut, wenn Leute gesagt haben: Ich habe gelacht, ich habe geweint und ich habe unglaublich viel gelernt.

Das Interview führte Dagmar Peters.



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Date: September 11, 2023 at 04:37PM
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