Zehn Jahre Papst Franziskus

Zehn Jahre Papst Franziskus

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Es waren bewegte Jahre für die katholische Kirche. Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. wurde ein Papst von weither gewählt. Ein Lateinamerikaner, Erzbischof von Buenos Aires, erfahren in der Arbeit der lateinamerikanischen Kirche (CELAM), vertraut mit der nichtmarxistischen Variante der Theologien der Befreiung, welche eine edle Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils ist.

Vangelo senza glossa

Der Kraftherd des Pontifikats ist das Evangelium, und das ohne „glossa“, wie sein Namensgeber aus Umbrien es formuliert hatte, ohne Zugabe. Eine Kirche mit den Armen, die an die Ränder geht, eine verbeulte Kirche mit hoher Sensibilität für die verwundete Natur. Überhaupt kreist seine Spiritualität um die vielen Verwundungen, im Leben der Menschen, in der Weltgemeinschaft, die Wunden der Natur. Das prägt auch seine Pastoralkultur. Er hat Akzente verschoben: vom Moralisieren zum Heilen, zum Gesetz zum Gesicht (also dem Einzelschicksal), vom Ausschließen zum Hereinholen. Erbarmen als Krönung der Gerechtigkeit ist die Grundmelodie seiner Pastoral als „Weltpfarrer“.

Leidenschaft für die Welt

Die Bibel erzählt von der Leidenschaft Gottes für das Land (Joel 2,18) – das ist heute die ganze Welt. Daher führt das Evangelium den Papst ganz im Sinn des Konzils in die Welt von heute. Seine großen Themen in Wort und Schrift sind die Kriege, der Klimanotstand und die Migration. Die Welt erlebe derzeit einen dritten Weltkrieg auf Raten. Mit Blick auf Palästina, Syrien, Jemen, Mali, Eritrea, die Ukraine mahnte er tagtäglich zum Frieden, der am Ende nicht durch Waffen, sondern durch Dialog und die harte Arbeit von Versöhnung zustande kommt. Zum Klimanotstand schrieb er als erster Papst die weltweit geschätzte Enzyklika „Laudato si“. Die Migration ist für ihn ein Ernstfall der universellen Geschwisterlichkeit, die er in der bisher letzten Enzyklika „Fratelli tutti“ in die Welt hineinsingt. Beide Anliegen, jenes um die Schöpfung und das andere zur universellen Solidarität, hat er mit symbolstarken Reisen unterstrichen, nach Lampedusa, nach Abu Dhabi zum Großimam Ahmad Al-Tayyeb, nach Kasachstan zum Treffen der Führenden der Religionen der Welt.

Erneuerung der Kirche aus ihrer Tiefe

Erst an dritter Stelle kommt die Sorge um die Erneuerung der katholischen Weltkirche. Diese ist erwartungsgemäß mühsam. Er hat Synoden gehalten, an denen sich nicht nur die Bischöfe beteiligen konnten, sondern das gesamte Kirchenvolk. Zur Vorbereitung der Familiensynode hat er eine weltweite Umfrage auf den Weg gebracht. Es gab eine Synode über die Jugend, eine Amazoniensynode und jetzt den Synodalen Prozess der Weltkirche, der bis 2024 läuft. Ziel ist, dass die Kirche wird, was sie ist, synodal. Das gelingt nur, wenn die Mission der Kirche durch die Partizipation aller gemeistert wird. Der Synodale Weg sollte daher lokal beginnen und global-weltkirchlich enden. Hauptziel ist nicht nur die Einbindung aller in die Lebens- und Entscheidungsvorgänge der Kirche. Vielmehr übt der Papst die Weltkirche bereits in eine dezentralisierte Kontinentalisierung ein. Künftig sollen diese kontinentalen „Patriarchate“ die Zuständigkeit für ihre Fragen bekommen. Das kann zu einer Weltkirche mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten führen. Die hohe Kunst wird dann sein, die dynamische Vielfalt zusammenzuhalten. Wieder wird es die Kraft des Evangeliums sein, die das vermag. Der bisherige Panikzentralismus, der zwar die Einheit gesichert hat, aber um den Preis einer tragischen Stagnation der Weltkirche, wird vorüber sein. Offensichtlich hat Papst Franziskus von seinem Mentor und Jesuitenbruder Kardinal Carlo Martini gelernt. Schon in seinem Altersitz in Jerusalem lebend, vermerkte er in einem Buchinterview, dass die Weltkirche Jahrhunderte zurückhinke.

Gemischte Bilanz

Die Erwartungen an Papst Franziskus waren anfangs sehr hoch. Inzwischen hat er zwei Hauptgegner: jene, die keine Reformen wollen, die anderen, denen die Reformen zu langsam gehen; manchmal macht er sich sein Amt selbst schwer, wenn er, wie Prantl in der Süddeutschen Zeitung wohlwollend scherzte, „vom Pontifex zum Spontifex“ wird, wo ihm der Wortwitz durchgeht, was aber den Aussagen nicht die Schärfe nimmt. Dann kann er schon einmal sagen, dass Kyrill, Moskaus Patriarch, nicht den Ministranten für Putin machen soll. Oder den Bischöfen in Ungarn, dass sie sich am Evangelium und nicht an den Regierungserklärungen Orbans ausrichten sollen.

Langsamkeit bei längst fälligen Reformen fällt der Riesenorganisation katholische Weltkirche nicht leicht. Es ist unglaublich mühselig, die weltweite Kirche im Gleichschritt voranzubringen. Die einzelnen Kontinente haben unterschiedliche Sorgen und andere kulturelle Voraussetzungen. Das zeigte sich schon bei der Aufarbeitung des Missbrauchs. Wird in Europa oder Nordamerika bei Missbrauch an den sexuellen oder geistlichen Missbrauch gedacht, denken Asiaten oder Afrikaner an Kindersoldaten oder Kinderarbeit. Auch hinsichtlich des Priestermangels ist die Lage in der Weltkirche höchst verschieden. Manche afrikanische Bischöfe benötigen in ihrer Diözese ein zweites oder drittes Priesterseminar. In Westeuropa sind in den Seminaren nur ganz wenige Kandidaten, Diözesen bilden die wenigen in Verbünden aus. Auch die Frauenfrage wird in den Weltregionen ganz unterschiedlich gesehen. Wird die angestrebte Dezentralisierung mehr Entwicklung ermöglichen? Vielleicht wird die Beendigung des Zentralismus eine der wichtigsten Ergebnisse des Synodalen Prozesses 2024 sein.

Viele sind besorgt wegen des vermutlich lateinamerikanisch geprägten Frauenbildes des Papstes. Das zeigt sich daran, wie er sich mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit oder auch der Genderdebatte schwertut. Es ist zu wünschen, dass er im Hören auf den Geist und durch Unterscheidung der Geister „lernt“, so wie Petrus bei Joppe von Gott in Träumen belehrt worden war.

Hoffentlich kann Papst Franziskus der Welt und der Kirche noch lange dienen. Vielleicht wird seine Bedeutung rückblickend weniger in der Kirchenentwicklung liegen, sondern im Beitrag zur Meisterung der großen Herausforderungen in der taumelnden Welt. Wäre für die Kirche nicht optimal, für die Welt jedoch schon.

Religion

via REL ::: Paul M. Zulehner https://ift.tt/yDKhSnm

March 12, 2023 at 10:07AM