Missing Link: Digitalisierung der Schulen zurück im Dornröschenschlaf?

Nach dem Ende Corona-bedingter Schulschließungen ist der Druck raus. Distanzunterricht ist nicht mehr notwendig und schon rangiert das Thema Digitalisierung in der Schule hinter dem neuesten Hype-Thema, wie sollen Schulen mit Large-Language-Modellen und KI umgehen. Fällt die digitale Schule Deutschland langsam zurück in den Dornröschenschlaf? Nein, sagen die Praktiker. Was aber immer noch fehlt, sind konzertierte Strategien und eine digitale Ethik für die Digitalisierung der Schulen im Land.

Ja, natürlich hat der Digitalisierungsschub stark nachgelassen, nachdem wieder Präsenzunterricht angesagt ist, sagen die Praktiker. Einerseits sei das schlicht eine pragmatische Reaktion aufseiten der Lehrenden, die den Zusatzjob als eierlegende IT-Wollmichsau nicht unbedingt brauchen, sagt ein Beobachter. Andererseits treten auch die Schulträger beim Ausbau der Schul-IT auf die Bremse.

"Der Pakt Digitale Schule ist erst einmal ausgelaufen. Damit fehlt es gerade in kleineren Kommunen, deren Kassen durch Corona-geschwächte Gewerbeeinnahmen leer sind, einfach am Geld", erklärt Antje Radetzky, 3. Vorsitzende beim Bayerischen Lehrer und Lehrerinnen Verband (BLLV). Radetzky versichert zugleich, obwohl es noch an Vielem fehlt, wäre man auf eine weitere Pandemie doch besser vorbereitet.

Besser vorbereitet auf die nächste Pandemie?

Die Schulen sind nicht komplett auf das Vor-Corona-Niveau zurückgefallen, bestätigt auch Cord Santelmann vom Philologenverband in Baden-Württemberg. Auf viele Dinge würden die Kollegien und Schülerinnen nicht mehr verzichten. "Konferenzen und Besprechungen finden weiterhin zum Teil auch per Video statt. Zum Teil nutzen Lehrkräfte die in der Pandemie eingeführten
 Lernmanagementsystem wie Moodle weiterhin als willkommene Ergänzung und Bereicherung für den Unterricht." Mathelehrer schicken "Online-Challenges" vor der nächsten Klassenarbeit.

Außerdem nutzen Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Pandemie ausgegebenen oder von den 
Eltern angeschafften digitalen Endgeräte dauerhaft im Unterricht, manchmal komplett als Ersatz für Hefte, Ordner oder Schulbücher: die Pandemie als Katalysator für eine digitalere Schule.

Ein Schritt vorwärts …

Auch bei der Entwicklung der schulischen Bildungsplattform in Baden-Württemberg gehe es langsam, aber sicher voran, berichtet Santelmann für den Südwesten der Republik. Das nächste Projekt des Kultusministeriums: der "Digitale Arbeitsplatz für Lehrkräfte", für den man sich die dPhoenixSuite des öffentlich-rechtlichen Dienstleister Dataport ausgeguckt hat. Phoenix ist Open Source und modular.

Jedes Modul lässt sich bei Bedarf austauschen, erklärt eine Sprecherin von Dataport auf Nachfrage. Wer etwa das standardmäßige Jitsi als Konferenz-Tool nicht mag, kann auch Big Blue Button bekommen, so die Sprecherin.

Die bei Kiel als Anstalt des Öffentlichen Rechts von sechs Bundesländern aufgesetzte Servicedienstleister übernahm 2021 die vom Hasso-Plattner-Institut entwickelte Schul-Cloud, von der wohl mindestens die Macher gehofft hatten, dass sie ein Modell für den Bund werden könnte. Aktuell versorgt Dataport immerhin die drei auf die HP-Schul-Cloud setzenden Bundesländer Niedersachsen, Thüringen und Brandenburg und provisioniert auch die im Zuge der Pandemie geöffnete und bundesweit angebotene Schulcloud-Instanz. Insgesamt sind das 4100 Schulen und 2,1 Millionen Nutzer. Weitere Kunden sind etwa das Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) oder Kultusministerien wie das in Baden-Württemberg.

Wann genau man beim ersten großen Kunden im Süden an den Start geht, ist derzeit niemandem bekannt, vielleicht noch nicht einmal dem Kultusministerium in Stuttgart selbst. Es hat auf eine entsprechende Frage der Opposition im Landtag im März wissen lassen, das Ministerium habe die Phoenix-Suite "in der Iterationsstufe 3.09 im Rahmen eines Pilotprojekts erprobt" und werte aktuell aus. "Danach wird im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel über das weitere Vorgehen entschieden", so die Auskunft im Landtag.

Die Vorarbeiten für den späteren Regelbetrieb laufen, heißt es von Dataport. Zurzeit befände man sich in Vertragsverhandlungen mit dem Land. Die Phoenix-Suite werde in die vorhandene Infrastruktur des Kultusministeriums eingebunden, spezifischere Anpassungen seien zurzeit noch nicht vorgenommen worden. "Definition und Beauftragung der Anpassungen, die vorgenommen werden sollen, liegen beim Auftraggeber", erklärt die Sprecherin.

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

… ein Schritt zurück

Der Kurs in Richtung Open Source und die Auswahl eines heimischen Dienstleisters statt eines US-Cloudanbieters begrüßen Mitglieder der Initiative "Unsere digitale Schule", zu der Eltern, Schüler, Lehrerverbände und Organisationen wie Digitalcourage gehören. Zugleich sind sie enttäuscht, dass das Land Chancen, die sich in der Coronazeit für eine digitale Plattform aus einem Guss entwickelt hatten, vertan hat.

Von Dataport kommt der Lehrerarbeitsplatz, aus der Schweiz kaufte man Threema-Messenger-Zugänge ein. Beides dient allerdings erst einmal nur Lehrerinnen und Lehrern. Das könnte leicht dazu führen, dass Schüler statt sicherer Schulmailadressen oder Chat-Möglichkeiten eben bei Gmail oder WhatsApp bleiben, warnen Beobachter. Dazu kommen gleich zwei Lernplattformen, das Open-Source-Tool Moodle, aber eben zusätzlich noch das proprietäre Konkurrenzprodukt Itslearning.

Moodle entwickelt sich langsam, aber sicher zum Standard für Lernplattformen. Es wird an vielen Hochschulen eingesetzt und findet sich als Klassen-, Kurs- und Lernorganisationstool in unterschiedlichen Spielarten in den verschiedenen Landesbildung-Clouds vom bayerischen Mebis bis zur HPI Cloud. Auch von Universitäten und Hochschulen im Einsatz, hat es eine große Community, die es laufend weiterentwickelt.

Bei Itslearning müssen Änderungen jeweils beauftragt werden. Lange schwelte außerdem ein Streit mit den Personalräten der Gymnasiallehrer in Baden-Württemberg, die aus Datenschutzgründen Bedenken hatten. Itslearning greift anders als Moodle auf Drittanbieter wie etwa Cloudflare und AWS zurück.

Warum zusätzliche Lizenzgebühren ausgeben, um einen solchen Parallelbetrieb zu fahren, fragen sich viele.



Title: Missing Link: Digitalisierung der Schulen zurück im Dornröschenschlaf?
URL: https://www.heise.de/hintergrund/Missing-Link-Digitalisierung-der-Schulen-zurueck-im-Dornroeschenschlaf-9066783.html
Source: heise online
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Date: May 28, 2023 at 09:37AM
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