"Kirche hat heute in dieser Gesellschaft vor allem die Aufgabe zu unterbrechen, damit man zum Nachdenken kommt", sagte Udo Markus Benz beim Katholikentag vor den voll besetzten Rängen des Theaters in Erfurt.
Im Gespräch mit Europapolitikerin Katarina Barley (SPD) interpretierte der neue Erzbischof von Paderborn in einem sogenannten biblischen Dialog die Bedeutung eines Bibeltextes aus dem Lukasevangelium. Solche Unterbrechungen und Pausen zum Atemholen bot das Christentreffen in der thüringischen Landeshauptstadt auf ganz unterschiedliche Arten. Ein Rundgang:
Los geht’s beim Zentrum Bibel und Spiritualität in der Edith-Stein-Schule. Es liegt etwas abseits vom großen Katholikentagstrubel, ist aber gut besucht. "Ich hab‘ so viele Leute abweisen müssen", berichtet eine Helferin. Werkstattgespräche und Bibelarbeit haben hier ihren Platz, aber auch meditativer Tanz, der christlich-islamische Dialog und ein Raum der Stille. Hier laden Kniehocker und Bibeln zum persönlichen Gebet ein.
"Das bringt Struktur in den Kopf"
Im Eingangsbereich der Schule sitzt Regina Seyfried aus Landau in der Pfalz. Gerade hat sie das Angebot zu Beratung und Beichte genutzt: "Ich mach das immer. Das ist so wohltuend." Sie führe kein klassisches Beichtgespräch, sondern nehme sich eine halbe Stunde Zeit, um mit einer Seelsorgerin über alles zu sprechen, was ihr auf dem Herzen liege.
"Das bringt Struktur in den Kopf, wenn jemand von außen da drauf guckt", sagt sie. Die spirituellen Angebote gäben ihr neuen Input und seien eine Hilfe, Wege zu finden, den Glauben zu leben. So inspiriert komme sie dann fast schon wieder bis zum nächsten Kirchen- oder Katholikentag, sagt Seyfried.
Udos Zehn Gebote
Für eine andere Art der Unterbrechung sorgt Udo Lindenberg: Der Musiker, der auch als Maler arbeitet, zeigt seine Bilder in einer Ausstellung in der Sankt-Severi-Kirche neben dem Dom. Mit seiner Interpretation der Zehn Gebote übersetzt er die Alttestamentarische Schilderung ins Heute: Das Bild mit dem Titel "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen" zeigt einen übergroßen Menschen in den Farben der deutschen Flagge, der in einer bedrohlichen Pistolen-Geste auf einen kleinen, zusammengekauerten Menschen hinunter zeigt.
Auch das fünfte Gebot – Du sollst nicht töten – interpretiert Lindenberg politisch: Ein Skinhead mit Tarnkleidung, Springerstiefeln und einer Keule in der Hand erschlägt einen Menschen.
Brücke zwischen Bibeltext und Alltag
Wie die Kunstausstellung versuchen auch die biblischen Dialoge zum Tageseinstieg, eine Brücke zwischen Bibeltext und dem Alltag der Menschen zu bauen. Arzt und Moderator Eckart von Hirschhausen ist auf der Bühne der Alten Oper zum Trialog mit Dagmar Pruin (Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe) und Pirmin Spiegel (Misereor) eingetroffen. Die Alttestamentlerin erklärt zunächst den biblischen Kontext der Bibelstelle. Spiegel stellt fest, der Text sei zwar schon sehr alt, offenbare aber die gleichen Konflikte, die es heute gebe. Mit einem Unterschied: "Wir haben nicht nur Schwerter, wir haben Atomwaffen."
Hirschhausen sagte, der Text zeige eine Vision, die heute dringend benötigt werde. Die Menschen müssten sich darüber verständigen, wo sie eigentlich hinwollen. Ein Ruf nach Neuorientierung und Selbstvergewisserung über Ziele, Visionen und Werte, der auf dem Katholikentag immer wieder zu hören ist. Passend dazu nutzte Hirschhausen die Wartezeit, bis alle Teilnehmenden dieSicherheitskontrolle absolviert hatten, um gemeinsam mit mehreren hundert Menschen einen Wahlaufruf zur Europawahl zu drehen.
Analoge Anbetung und digitale Tankstelle
Weiter geht’s zur Allerheiligenkirche: Mit rund 20 Leuten ist das Kirchlein gegen Mittag recht gut gefüllt. Hier ist während des Katholikentags Ewige Anbetung: Menschen finden mitten in der Innenstadt Ruhe und Besinnung. Im linken Teil der Kirche ist seit 2007 ein Kolumbarium untergebracht, in dem sich auch nichtreligiöse Menschen in Urnen bestatten lassen können.
Über das Kolumbarium und Trauerrituale weltweit informiert eine "Spiri-Tankstelle". An verschiedenen Orten in der Innenstadt, auch für Nicht-Katholikentagsbesucher nutzbar, sind Stern-Symbole mit QR-Codes angebracht: Wer sie mit der Smartphone-Kamera scannt, erhält auf der Internetseite des Hilfswerks Missio die jeweils zum Ort passenden Informationen.
Am Kolumbarium lädt die Spiri-Tankstelle zum Gebet für eine verstorbene Person ein. Steht man an der Straßenbahnhaltestelle am Domplatz, gibt es Informationen über den Nahverkehr in Erfurt, weltweite Verbindungslinien zwischen Kulturen, Sprachen und Lebensweisen und die Einladung, für einen Moment im Alltag innezuhalten. Missio und das Bistum Erfurt haben auf diese Weise Orte zum Auftanken geschaffen, die über die fünf Tage des Christentreffens hinaus wirken könnten.
Den Tag spirituell begleiten
Ein weiteres digitales Angebot nennt sich "Liturgie2go". Knapp viertelstündige Audiodateien der Abtei Münsterschwarzach sind dazugedacht, sie morgens früh, unterwegs zum ersten Programmpunkt anzuhören, mittags kurz zur Ruhe zu kommen oder mit ihrer Hilfeabends auf den Tag zurückzublicken. Meditative Musik, Psalmtexte, Reflexionen und ein Segen laden ein, sich im Katholikentagsgewimmel kurz zu besinnen und nachzuspüren, was bleiben soll.
In eine ähnliche Richtung geht es beim gemeinsamen Tagesausklang – allerdings gänzlich analog. Bei Kerzenschein versammeln sich die Menschen auf dem Domplatz und blicken bei ruhiger Musik auf den Tag zurück. Der Abendsegen und das Lied "Der Mond ist aufgegangen" beschließen den Tag.
"So etwas gibt es viel zu selten"
Es sei denn, man schafft es an Fronleichnam zur "Nacht der Lichter" – so wie Marlies und Richard Braun aus München. Sie haben sich mit vielen hundert anderen auf den Weg in den abendlichen Dom gemacht. Und haben Glück: Sie waren früh genug da und haben einen Platz gefunden. Der Andrang zum traditionellen Taizegebet ist so groß, dass das nicht allen Interessenten gelungen ist.
Im stimmungsvoll beleuchteten Dom sitzen junge und alte Katholikentagsbesucherinnen und -Besucher eng beisammen, genießen Stille, Gebete und vor allem den Gesang. Von dem ist selbst Frere Matthew angetan. "Ihr singt so schön!", sagt er. Der Taize-Prior berichtet von seiner jüngsten Reise in die Ukraine und bittet, für die Menschen dort zu beten.
Nach der Nacht der Lichter sind Marlies und Richard begeistert. "So etwas gibt es viel zu selten", erklären sie. So eine volle Kirche gebe es inzwischen nicht einmal mehr zu Ostern und Weihnachten. "Das ist das Beste, was sie uns hier geschenkt haben."
Title: „So wohltuend“ / Zum Katholikentag gehörten auch viele spirituelle Angebote
URL: https://www.domradio.de/artikel/zum-katholikentag-gehoerten-auch-viele-spirituelle-angebote
Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
Source URL: https://www.domradio.de/
Date: June 3, 2024 at 10:54AM
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